Von der Schweiz ausgeliefert – Tortur in Italien
upg. Die italienischen Behörden feierten die Verhaftung des damals 53-Jährigen, der in Brig 34 Jahre lang als Flachmaler gearbeitet hatte, als Erfolg im Kampf gegen die Mafia. Der in den Sechzigerjahren aus Kalabrien eingewanderte Fortunato M. soll Boss der ‹Ndrangheta gewesen sein und zwei Morde begangen haben. In der Schweiz wurden alle laufenden Verfahren eingestellt, doch lieferten ihn die Schweizer Behörden trotz dürftiger Beweislage im Jahr 2010 schliesslich nach Italien aus. Dort war er im Jahr 2004 nicht wegen Mordes, sondern wegen angeblicher Mitgliedschaft in der kriminellen ‹Ndrangheta und wegen angeblichen Handels mit Waffen und Sprengstoff zu elf Jahren Gefängnis verurteilt worden. Peter Bodenmann schrieb 2006 in der Weltwoche: «Einige Indizien sprechen dafür, dass hier ein Flachmaler zu einem Mafia-Boss aufgeblasen wird, um im Kampf gegen das organisierte Verbrechen polizeiliche Erfolge melden zu können.»
Frank Garbely. Bild: Adrian Zschokke
Der Genfer Journalist Frank Garbely schildert einen grausamen Leidensweg, während dem Menschenrechte mit Füssen getreten wurden. Dieser Tage wird Fortunato M. todkrank und ohne dringende Behandlungen noch immer in einer Gefängniszelle in Parma festgehalten. Hier der erste Teil eines erschütternden Berichts.
Brig, 26. Oktober 2006. Ein Donnerstag
Es war kurz vor sieben Uhr in der Früh als sie ihn holten. Ganz unspektakulär, ohne Blaulicht und Sirene, nicht einmal Handschellen legten sie ihm an: Fortunato M., 53, angelernter Flachmaler, Italiener mit Permis C, verheiratet, Vater von drei Töchtern.
Er wollte eben seinen Wagen aus der Garage holen, um zur Arbeit zu fahren. Plötzlich war er umstellt von einem Dutzend Männern, Polizisten in Zivil. Sie brachten ihn zurück in seine Wohnung. Dort zeigte ihm Untersuchungsrichter Jo Pitteloud den Haftbefehl und klärte ihn auf, dass Italien seine Auslieferung verlange, damit er endlich eine Zuchthausstrafe aus dem Jahre 2004 absitze. Damals war er zu 11 Jahren verurteilt worden – wegen Handels mit Waffen und Sprengstoff sowie Zugehörigkeit zu einer kriminellen Vereinigung.
Fortunato M. verstand kein Wort. «Was sagt er? Was will er?», bestürmte er seine Frau Suzanne. Untersuchungsrichter Pitteloud, er kam aus Sitten, redete Hochdeutsch mit starkem Akzent. Aber Fortunato M., obwohl seit 33 Jahren in Brig, sprach nur sein kalabrisch gefärbtes Italienisch, und, aber nur wenn er getrunken hatte, auch ein paar Brocken «Walliser Tiitsch».
Suzanne hätte am liebsten geschrien vor Wut, aber sie riss sich zusammen. Wild gestikulierend ging sie auf den Untersuchungsrichter zu: «Das muss ein Missverständnis sein. Da war nichts mehr, wir haben das schriftlich».
Kaum war die Polizei weg, rief auch schon der erste Journalist an. Der Nachrichten-Flash von Radio Rottu Oberwallis (RRO) traf Suzanne wie ein Blitzschlag: MAFIABOSS IN BRIG VERHAFTET. Vor dem Haus tauchten Reporter auf, einer schoss das Foto, das am nächsten Tag im Blick stand. Es zeigte die Fassade des Wohnhauses mit einem dicken Pfeil zu den Fenstern im ersten Stock: das Versteck des Mafiabosses.
Sandra, Fortunatos zweitälteste Tochter, sass in ihrer Wohnung in Bern und las Teletext. «Plötzlich stand da: ‚MAFIABOSS‘», erzählt sie. «Ich rief sofort bei Teletext an und sagte dem Redakteur, der die Nachricht verfasst hatte: ‚Das ist eine Falschmeldung. Ich bin seine Tochter, mein Vater ist kein Mafiaboss. Sie müssen die Falschmeldung sofort löschen‘. Der Redakteur antwortete: ‚Aber nein, das ist keine Falschmeldung, sie stammt von der Polizei‘. Und ich nur noch: ‹Äh! Wie? Was?›».
Im Oberwallis schlug die Nachricht von Fortunatos Verhaftung wie eine Bombe ein. «Unglaublich, nicht einmal im Traum hätte ich mir das vorstellen können: Ein so friedliches Städtchen – und auf einmal das», sprach ganz verdattert ein Mann ins Mikrophon eines RRO- Reporters, der in der Briger Bahnhofstrasse erste Reaktionen einholte. Eine junge Frau sagte dem Reporter, sie sehe plötzlich die Welt ganz anders: «Ich habe immer gedacht, sowas gibt es nur im Ausland, und jetzt passiert es vor deiner Haustür. Das macht Angst, vor allem wenn man kleine Kinder hat».
Aber: Wer in Brig den als Mafia-Boss abgeführten Fortunato M. persönlich gekannt hat, der rieb sich verwundert die Augen. Was die italienische Justiz ihm vorwarf, nämlich ein gefährlicher Mafiagangster zu sein, konnte sich keiner der Handwerker Kollegen vorstellen. Im Gegenteil, wer mit ihm zu tun hatte, erlebte ihn als ganz tollen Kerl. Er war sehr beliebt, hilfsbereit und über die Massen fleissig. »Fortunato ein Mafiaboss, ich lach mich tot, nein, dann bin ich die Königin von England», lacht Reinhard Jossen, ein bekannter Oberwalliser Malermeister. Er kennt Fortunato als früheren Arbeitskollegen und von gemeinsamen Baustellen. «Über Fortunato gibt es nur Gutes zu berichten, im ganzen Städtchen werden sie nicht ein böses Wort über ihn zu hören kriegen», versichert der heute pensionierte Malermeister.
Inzwischen hatte der Sittener Untersuchungsrichter Jo Pitteloud gegenüber der Nachrichtenagentur SDA die Verhaftung bestätigt und präzisiert: «Die Festnahme wurde gemeinsam von Beamten der Polizei der Region Reggio Calabria und der Schweizer Bundespolizei durchgeführt».
«Plötzlich war sogar die Rede von Doppelmord», erinnert sich Jolanda, Suzannes Schwester. Sie wohnt nur ein paar Häuser weiter oben. Als sie von der Verhaftung erfuhr, eilte sie sofort zu ihrer Schwester. Doch die rührte sich nicht, weder kam sie an die Tür noch nahm sie das Telefon ab. Sie hatte sich in ihrer Wohnung verschanzt, sass vor dem Fernseher, wie das Kaninchen vor der Schlange, und starrte auf die Schlagzeile: «MAFIABOSS». Erst als Jolanda ihr eine SMS schickte, öffnete sie die Haustür.
Bis Mittag wurde die Nachricht von Fortunatos Verhaftung von allen Agenturen, Radiostationen und Online-Zeitungen verbreitet. Die aufregendsten Details stammten von italienischen Journalisten, denen ihre Schweizer Kollegen munter abschrieben.
Tagelang hielt das mediale Trommelfeuer an. Suzanne M. war wie betäubt, traute sich kaum mehr aus dem Haus. Von allen Seiten prasselten Mafia-Vorwürfe auf sie nieder: Mafia-Boss – Doppelmord – Doppelmord – Mafia-Boss… Nur gerade ein einziger Zeitungsartikel aus der ganzen Flut von Depeschen, Breaknews, Polizeimeldungen und Reportagen setzte ein Fragezeichen. Kolumnist Peter Bodenmann, Hotelier in Brig und ehemaliger Präsident der SP Schweiz, zweifelte in einem Weltwoche-Artikel an der Version Mafia-Boss. «Mafiaboss oder doch eher unfähige Justiz»?, fragte er und gab gleich selbst die Antwort: «Einige Indizien sprechen dafür, dass hier ein Flachmaler zu einem Mafia-Boss aufgeblasen wird, um im Kampf gegen das Organisierte Verbrechen polizeiliche Erfolge melden zu können».
Fortunato M. kam in Auslieferungshaft nach Sitten. Suzanne besorgte ihm sofort einen Anwalt. Der richtete sie wieder etwas auf: «Ich glaube, es bestehen reelle Chancen, ihrem Mann die Auslieferung zu ersparen».
Doch die rechtlichen Auseinandersetzungen dauerten an. Im Jahr 2010 lieferten Fortunato M. nach Italien aus – aufgrund nur dürftiger Indizien für die vorgeworfenen Straftaten.
Parma, 16. Juli 2016. Zehn Jahre später
Am frühen Vormittag verlässt eine Ambulanz den Hochsicherheitstrakt des Gefängnisses von Parma. Schwer bewaffnete Polizisten, begleitet von zwei Sanitätern, fahren einen Häftling zum Gericht nach Bologna. Sein Name des Häftlings: Fortunato M., der «Mafia-Boss aus Brig».
Er ist inzwischen gesundheitlich so stark angeschlagen, dass er das Gefängnis nur noch im Krankenwagen verlassen kann. Er leidet an zahlreichen Beschwerden. Ganz besonders zu schaffen macht ihm ein Herzleiden. Heute aber geht es nicht um sein Herz, sondern um seinen Leistenbruch. Die Richter des «Tribunale di Sorveglianza» in Bologna sollen endlich grünes Licht für einen operativen Eingriff geben.
Im letzten Halbjahr haben die Richter in dieser Sache bereits vier Mal zusammengesessen, aber nie entschieden. Aus verschiedensten Gründen. Einmal ging ein Arzt-Bericht verloren, ein anderes Mal fehlte eine Unterschrift. Oder einer der Richter verlangte mehr Zeit zum Nachdenken. Und auch heute wird nun doch nicht entschieden. Gerichtspräsident Dottore Francesco Maisto verkündet, er möchte noch ein zusätzliches Gutachten einholen.
Jetzt platzt Fortunato M. der Kragen. Meist macht er sich ganz klein, sagt kein Wort. Er möchte auf keinen Fall die Richter verärgern, wohl aus Angst, sie könnten danach an ihm ihre Wut abreagieren. Aber heute vergisst er sich für ein Mal.
Er springt auf, reisst mit beiden Händen sein Hemd auf und zeigt dem hohen Gericht seinen entblössten Bauch. Der Gerichtspräsent wendet sich wie angeekelt ab, versteckt seine Augen hinter der linken Hand und schreit: «Was fällt ihnen ein! Machen sie sofort ihr Hemd wieder zu oder ich lasse sie aus dem Saal schaffen.» Fortunato gehorcht nicht. Ausser sich vor Zorn hält er das Hemd weit offen und schiebt seinen Bauch nach vorne, damit ihn ja jeder gut sehen kann. Fürwahr, kein schöner Anblick. Mitten auf dem Bauch: Eine riesige Geschwulst, fast so gross wie der Kopf des Gerichtspräsidenten. Und die Haut über der Geschwulst ist dunkelblau-violett gefärbt und so angespannt, dass man fürchten muss, sie werde jeden Moment platzen.
Unter dem Nabel hat sich bei Fortunato vor bald zwei Jahren die Bauchleiste geöffnet, zuerst kaum sichtbar, aber inzwischen auf einer Länge von mehreren Zentimetern. Seither drücken dort die Eingeweide heraus. Um das zu verhindern, trägt Fortunato M. Tag und Nacht eine 25 cm breite elastische Bauchbinde. Heute hat er diese Binde absichtlich weggenommen, um dem Gericht zu zeigen, wie dringend eine Operation seines Leistenbruchs ist. Doch auch der etwas gruselige Zwischenfall beeindruckt den Gerichtspräsidenten wenig, trotz Ekel-Gefühl. Er schliesst kurzerhand die Sitzung. Ohne Entscheid, der wird wieder einmal auf später verschoben.
Fortunato M. wird aus dem Saal geführt und mit der Ambulanz zurück ins Gefängnis von Parma gebracht.
«Patient in prekärem Zustand»
Fortunato M., der von den Medien zum «Mafia-Boss aus Brig» hochstilisiert wurde, sitzt in Italien eine 11-jährige Gefängnisstrafe ab. Er war schon krank, lange bevor er in die Mühlen der italienischen Justiz geriet. Im Juli 1995 erlitt er einen ersten Herzinfarkt. Er war damals knapp 42-jährig und arbeitete als Flachmaler in der Firma seines Schwiegervaters in Brig. Auslöser des Infarktes: Eine starke Verengung eines Herzkranzgefässes. Fortunato M. musste operiert werden. Dabei implantierten ihm die Chirurgen ein Stent, eine Spiraldrahtprothese, um so eine erneute Verengung des Blutgefässes zu verhindern. Drei Jahre später erlitt Fortunato M. einen weiteren Herzinfarkt. Diesmal wurden ihm noch zwei zusätzliche Stents eingesetzt.
Nur ein Jahr danach, im März 2010, musste er schon wieder unters Messer. Zu der Zeit sass er im Gefängnis in Sitten und wartete auf seine Auslieferung nach Italien. Nur wenige Tage nach der Verhaftung musste er notfallmässig ins Spital gebracht werden. Eine ärztliche Untersuchung ergab: Alle drei Stents waren bis zu 90 Prozent verstopft und mussten ersetzt werden.
Nach der Operation hielten die Ärzte fest: «Der Zustand des Patienten ist sehr prekär; wegen der schweren koronaren Herzkrankheit ist er intensiv beobachtungs- und behandlungsbedürftig.» Und der Kardiologe, der Fortunato M. operiert hatte, schrieb in seiner Beurteilung: «In Zukunft darf sich Fortunato M. keine starke körperliche Belastung mehr zumuten.» Und: «Es ist klar, dass jederzeit ein neuer Herzinfarkt auftreten kann, namentlich bei erhöhtem Stress.»
Nur wenige Wochen nach dieser dritten Herzoperation wurde Fortunato M. noch im Jahr 2010 ausgeliefert. Zuerst kam er ins Gefängnis Opera in Mailand.
Fortunato M. wusste von den katastrophalen Verhältnissen in italienischen Gefängnissen. Auch er hatte gelesen, dass Amnesty International immer wieder dagegen protestierte. Natürlich ahnte er nicht, dass er schon bald den Zuständen im Mailänder Gefängnis Opera nachtrauern würde.
Zwar war auch der Knast Opera – wie praktisch alle Gefängnisse in Italien – gnadenlos überbelegt, aber hier herrschte zumindest ein einigermassen menschliches Klima: regelmässiger und grosszügiger Freigang; tagsüber wurden die Zellentüren jeweils aufgeschlossen, und die Gefangenen durften gemeinsam ihre Mahlzeiten zubereiten. Was Fortunato besonders schätzte: Der Gefängnisarzt sorgte dafür, dass er täglich seine Medikamente bekam. Auch sonst kümmerte sich der Dok rührend um ihn, regelmässig bestellte er ihn zur Kontrolle. Bei einer solchen Routine-Untersuchung gab es eine böse Überraschung.
Ende September 2012 entdeckte der Arzt eine auffällige Veränderung der Bauchschlagader. Die Diagnose: «Verdacht auf ein Aneurysma in der Bauchaorta». Übersetzt aus dem medizinischen Fachjargon: eine Ausbuchtung der Hauptschlager im Unterleib.
«Sieht nicht gut aus» brummte der Gefängnis-Dok in seinen Bart und erklärte Fortunato M.: «Genaueres kann ich erst nach einer Ultraschall-Untersuchung oder einem Screening sagen. Für diese Abklärungen müssen sie in eine Klinik.» Fortunato M. schien das nicht zu beeindrucken, im Gegenteil: «Bringt Abwechslung», sagte er, «so komme ich wenigstens für ein paar Stunden raus». Der Gefängnisarzt schob ein Grinsen von einem Mundwinkel in den anderen, gab aber keine Antwort, er wollte Fortunato M. nicht Angst machen.
Zu dem Mafia-Verbrechern verlegt
Zu den Untersuchungen in einer Mailänder Klinik kam es nicht. Am 10. Oktober 2012 wurde Fortunato M., ohne jede Vorwarnung, nach Parma verlegt, in die «Casa Circondariale», ein sehr spezielles Gefängnis. Die «Casa Circondariale liegt am Stadtrand und ist eine der grössten Haftanstalten ganz Italiens; vor allem aber gilt es als eines der gefürchtetsten Gefängnisse, denn hier sind besonders viele Mafia-Verbrecher eingesperrt.
Bei seiner Einlieferung in Parma wurde Fortunato M., wie alle Neuzugänge, einer Reihe medizinischer Untersuchungen unterzogen. Dabei wurde die Aneurysma-Diagnose von Mailand bestätigt. Der Gefängnisarzt stufte den Befund für ziemlich ernsthaft ein. «Sie tragen eine tickende Zeitbombe in ihrem Bauch», warnte er Fortunato M. und versuchte ihm klar zu machen, wie bedrohlich seine Krankheit war.
Die Ultraschall-Untersuchung zeigte: Die Hauptschlagader oder Bauchaorta wies eine deutliche Ausbuchtung auf. Das Blutgefäss hatte sich erweitert, und zwar auf einer Länge von gut 5 cm und mit einem Durchmesser von etwa 3 cm. So entstand eine Art kleiner, leicht länglicher Ballon, gefüllt mit Blut.
Der Gefängnisarzt ermahnte Fortunato M., er müsse sich fortan dringend schonen und sich auch sonst strikt an seine Weisungen halten. Der Arzt sprach ein absolutes Rauchverbot aus und verschrieb zudem eine Palette Pillen gegen zu hohen Blutdruck und zu hohe Blutfettwerte.
Völlig geschockt kehrte Fortunato zurück in seine Zelle. Trotz einer doppelten Dosis Schlaftabletten tat er in der folgenden Nacht kein Auge zu.
Der Gefängnisarzt war offensichtlich sehr besorgt über den Gesundheitszustand von Fortunato M. In den nächsten Tagen kontrollierte er regelmässig dessen Blutwerte. Bis Ende Monat musste Fortunato nicht weniger als drei Mal ins Universitätsspital von Parma, wo er von mehreren Spezialisten untersucht wurde.
Aber der Gefängnisarzt liess seinen Patienten im Ungewissen über die Ergebnisse dieser medizinischen Tests, machte keine Angaben mehr, weder über Grösse und Gefährlichkeit des Aneurysmas, noch über die geplante Behandlung. Fortunato M. vermutete allerdings, dass er demnächst operiert werde, denn im Spital wurde er besonders lange von einem Chirurgen untersucht.
In der Tat, die meisten Fachärzte sind sich einig: Ist eine Schlagader über die Massen ausgebuchtet, muss operiert werden. Ein Aneurysma kann nicht von alleine kleiner werden. Im Gegenteil, es tendiert vielmehr dazu, sich zu vergrössern. Dann droht Lebensgefahr: Ein Hustenanfall kann reichen und die erweiterte Blutader platzt – mit fatalen Folgen für den Patienten, er droht innerlich zu verbluten.
Ärzte und Gefängnis verweigern lebenswichtige Informationen
Die Nachricht von einem Bauchaorta-Aneurysma versetzte die ganze Familie in helle Aufregung. Frau Suzanne und ihre drei Töchter surften aufgeregt durch das Internet und schreckten sich mit Horrorgeschichten über geplatzte Bauchschlagadern.
Suzanne, die ihren Mann jede Woche einmal besucht, verlangte sofort einen Termin beim Gefängnisarzt. In Mailand war das ohne Umstände möglich gewesen, aber im Superknast von Parma erhielt sie auf ihre Anfrage nicht einmal eine Antwort.
Auch die Gefängnisdirektion weigerte sich, über die Erkrankungen ihres Mannes nähere Angaben zu machen. «Warum nur will keiner über die Krankheit meines Mannes reden», fragte sie sich.
Schon die Google-Recherchen hatten sie aufhorchen lassen. Was sie aber völlig verwirrte, war eine Anweisung des Gefängnisarztes. Der nämlich hatte Fortunato M. verboten, dass er selber seine Zelle aufräumte und reinigte, weil das für ihn zu anstrengend wäre. Damit Fortunato M. sich schonen konnte, putzte ab sofort ein Mitgefangener seine Zelle. «Wie schlimm muss es um meinen Mann stehen», sagte sich Suzanne, «wenn nur schon das Reinigen der Zelle lebensbedrohlich sein kann». Sie wollte es genau wissen.
Suzanne beschloss einen Anwalt einzuschalten. Ihm müssten der Arzt und die Gefängnisbehörden bestimmt Auskunft geben, war sie überzeugt. Doch ein eigener Anwalt stellte sie vor ein ernsthaftes Problem. Sie hatte kaum genug Geld, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, wie sollte sie da teure Anwaltshonorare aufbringen. Ein entfernter Verwandter half ihr weiter, er kannte einen Anwalt in Turin, den er überredete, Fortunato M. für ein bescheidenes Honorar zu beraten.
Der Turiner Anwalt schrieb den Gefängnisarzt an, aber der wollte nur antworten, falls die Gefängnisdirektion ihm dies ausdrücklich bewilligte. Doch die Gefängnisdirektion lehnte das ab und verwies den Anwalt an das Gericht Tribunale di Sorveglianza in Bologna. Wochen verstrichen. Die Richter nahmen sich Zeit, sehr viel Zeit.
——————-
Fortsetzung folgt
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Der Genfer Journalist Frank Garbely hat das Schicksal von Fortunato M. seit Jahren beobachtet.
Die Schweiz und Italien verletzen hier schwerwiegend Menschenrechte. Wie kann die Schweiz einen geschätzten Mitmenschen trotz seiner sozialen Kompetenz ausliefern? Hier gilt doch auch die Unschuldsvermutung! Und dann die italienische Justiz; hahnebüchern! Was hier abgeht, kennen wir doch nur von Diktaturen, aber nicht von Demokratien. Ich schäme mich, dass die Schweiz für dieses Desaster mitverantwortlich ist.
Naja so ganz unschuldig kann dieser Flachmaler nicht sein. Und ja die Schweiz hat ein Abkommen mit Italien. Zwei und mehrere Seiten gibt es bei jeder Geschichte