HochspannungValFormazza

Die geplante Hochspannungsleitung durchs Val Formazza nach Domodossola und weiter bis Mailand © google earth

Widerstand gegen Stromleitung im Val Formazza

Wolfgang Hafner /  Die geplante Hochspannungsleitung vom Nufenenpass durchs Val Formazza trifft auf harte Kritik der Gemeindepräsidenten.

Der Widerstand gegen Hochspannungsleitungen hat sich in jüngster Zeit intensiviert. Kern der Auseinandersetzungen sind die geplanten 380-kV-Leitungen durchs Obergoms ins Unterwallis und deren Abzweiger vom Nufenenpass durchs Val Formazza und das Ossola-Tal bis kurz vor Mailand. Die Leitung vom Nufenenpass bis nach Mailand soll rund 180 Kilometer lang werden mit rund 400 bis zu 100 Meter hohen Masten und unter anderem auch entlang den Bergketten der westlichen Grenze des Val Grande durchgezogen werden.

Breite Mobilisierung

In den Dörfern des Val Formazza und auch im Val d’Ossola, wo eine rund zehn Fussballfelder grosse Umformer-Station geplant ist, haben die Gegner der Leitung breit mobilisiert. Aus grundsätzlichen Überlegungen engagieren sich umweltbewusste Bewohner und Bewohnerinnen der Region. Dazu ist vor allem für die Dörfer des Formazzatals der Tourismus eine wichtige Einnahmequelle.


«Nein zu Hochspannungsleitungen, die den Himmel bedecken!»

Die Gegner der Freileitung befürchten nun, dass durch den Bau einer Freileitung ihre Region an Attraktivität verliert und fordern folglich eine Verkabelung in der Erde. Dem Widerstand gegen die Freileitung haben sich vor allem Bürgermeister aus dem unteren Teil des Formazza und aus dem Ossola-Tal angeschlossen.

Im oberen Teil des Formazza soll durch die neue 380 kV-Leitung eine 132 kV-Leitung eliminiert werden, die nahe und zum Teil direkt über die Dörfer führt. Versprochen wurde auch der Rückbau einer 220 kV-Leitung.

Petition verlangt Verkabelung

Träger des Widerstands sind vor allem neue Gruppierungen, die im Umfeld von Beppe Grillos «Fünf-Sterne-Bewegung» entstanden sind. Der Widerstand gegen die 380-kV-Leitung wird dabei vor allem über die Mobilisierung der Bevölkerung organisiert, um Druck auf die politischen Behörden auszuüben. Kürzlich wurde eine Petition lanciert, in der auch eine mögliche Verkabelung der Leitungen erwähnt wird. Ob der Widerstand Verbesserungen des Projektes oder zumindest eine Denkpause bewirkt, hängt wesentlich von den politischen Mehrheitsverhältnissen und dem allenfalls zunehmenden Einfluss des «Fünf-Sterne-Bewegung» ab.

In der Schweiz spitzen sich die Auseinandersetzungen vor allem rund um die bereits vor Jahrzehnten im Geiste der traditionellen Netztechnik geplanten Hochspannungsleitungen im Wallis zu: Bereits 1992 wurden die 380-kV-Freileitungen von Chamoson im Unterwallis bis nach Ulrichen, oben im Goms, als dringlich erklärt. Jetzt sollen sie realisiert werden. Das Projekt trifft auf Widerstand, weil sich zunehmend das Bewusstsein durchsetzt, dass als Alternativen zu Freileitungen auch Verkabelungen in den Boden möglich sind.

Umstrittende Walliser Leitung

Im Vordergrund der Auseinandersetzungen stehen im oberen Teilstück der Walliser Leitung auch landschaftsschützerische Bedenken, soll doch die projektierte Freileitung teilweise über das bis jetzt weitgehend unberührte Binntal gespannt werden. Aber letztlich sind es immer betroffene Grundeigentümer, welche sich gegen den Bau von Leitungen über ihre Häuser wehren und auch die Finanzen für juristische Verfahren aufbringen. Zur Zeit liegt der Fall beim Bundesverwaltungsgericht, da die Vorinstanz eine Einsprache zur Leitungsführung abgelehnt hat.

Im unteren, dichter besiedelten Teil der geplanten Walliser-Leitung von Chippis bis Chamoson wird von den Betroffenen eine integrale Verkabelung der Leitung in den Boden verlangt. Verschiedene Parteien bis hin zur CVP unterstützen im Walliser Kantonsrat dieses Anliegen. Ein entsprechendes Postulat wurde mit grosser Mehrheit an den Regierungsrat überwiesen: Er solle sich beim Bundesamt für Energie für eine Erdverlegung der Leitung von Chippis bis Ulrichen einsetzen. Geschehen ist bis jetzt – so der Walliser Bote – auf politischer Ebene wenig. Hingegen zeigte das juristische Vorgehen erste Ergebnisse, die einen Wandel in der Netzbauphilosophie bewirken könnten: Kürzlich hat sich das Bundesgericht für eine vorläufige Blockierung und Neuüberdenkung des Projektes ausgesprochen.

Mit 127 zu 60 Stimmen wurde am 9. März 2017 das Postulat des Walliser SP-Nationalrats Mathias Reynard im Nationalrat überwiesen, das verlangt, dass der Bundesrat die Verkabelung der Hochspannungsleitung von Ulrichen nach Chamoson prüft. Mit der Überweisung dieses Vorstosses dürfte der Kampf für eine Verkabelung neuen Aufschwung erhalten.

Prinzip des Sachzwangs

In diesem Entscheid des Bundesgerichtes zeigt sich ebenso wie in dem vorläufig nicht absehbaren Ausgang des Kampfes um die Leitung durchs Formazza die geringe Sensibilität der Leitungsbauer für Umweltanliegen sowie deren fehlende Breitschaft, neue Technologien in ihre Planungsvorhaben zu integrieren. Es scheint auch nicht mehr immer möglich, Einsprecher durch Geldzahlungen zur Duldung der Leitungen zu bewegen. Dabei erfolgt der Ausbau der Hochspannungsleitungen kaum nach langfristig übergeordneten Zielen sowie Strategien.

Vieles ist die Folge zufälliger Entscheide. Es wird nach dem Prinzip des Sachzwangs vorgegangen: Flaschenhälse werden erzeugt, die anschliessend wieder beseitigt werden müssen. Dazu kommt die prioritäre Fixierung der Schweizerischen Netzgesellschaft Swissgrid auf die Sicherheit der Stromversorgung in der Schweiz. Heute ist die Stromversorgung jedoch zunehmend gesamteuropäisch organisiert. Die Swissgrid hat diese Veränderungen nur zögernd in ihrer Planung berücksichtigt. Das trifft vor allem auf die 380 kV-Hochspannungsleitung zu, die zur Sicherstellung der unterbrechungsfreien Versorgung der Schweiz vor Jahrzehnten als Ringleitung durch den Alpenkamm projektiert wurde und welche die Regionen mit den grössten Stromproduktionen miteinander verbindet.

Dabei erfolgt vor allem der nationale Leitungsausbau nach den Kriterien der Versorgungssicherheit, wie die nationale Netzgesellschaft Swissgrid in ihrem Strategiebericht «Netz 2025» zu zukünftigen Netzausbauten schreibt. Prioritär soll nach Swissgrid vor allem die Leitung Chippis im Unterwallis nach Lavorgo auf 380 kV ausgebaut werden. Denn «ohne Projektrealisierung käme es künftig während rund 1⁄4 des Jahres zu Netzüberlastungen resp. kritischen Netzsituationen.(…) Das Projekt bildet eine wichtige Übertragungsschiene, die sowohl das Wallis mit dem Tessin mit einer stabilen 380-kV-Achse verbindet, als auch eine wichtige Voraussetzung für weitere Projekte darstellt, die langfristig auf EU- und CH-Ebene geplant sind.»

Sechs Prozent Verluste bei Freileitungen

Schwer verständlich ist angesichts der hohen Priorisierung des Projektes das Beharren der Swissgrid auf Hochspannungsleitungen, deren Realisierungschancen schwer zu beurteilen sind. Denn obwohl es zum Teil in der Vergangenheit grossen Widerstand gegen Hochspannungsleitungen gab, was zu entsprechenden zeitlichen Verzögerungen oder eventuell gar zur Blockierung schon weit vorangetriebener Projekte führte, wird weiterhin am Freileitungsbau festgehalten.

Eine Verkabelung wird von Swissgrid aus ökonomischen Gründen abgelehnt. Dies, obwohl Swissgrid aufgrund der in den letzten Jahren zögerlich erfolgten Ausbauten zur Zeit volle Kassen hat. Gestritten wird dabei vor allem um die Höhe der Vollkosten der umweltfreundlichen Lösung. Dabei ist jeweils die Höhe des Strompreises ein wichtiger Parameter zur Berechnung der Kosten. Bei Freileitungen muss normalerweise mit einem Verlust von rund 6 Prozent der übertragenen Leistung gerechnet werden. Die Verluste bei Verkabelungen im Boden sind wesentlich kleiner, weil mit stärkeren Leitungsquerschnitten verkabelt wird. Damit sinkt der Kabelwiderstand.

Erste Verkabelungen auf europäischer Ebene

Doch ob die Vollkostenberechnungen tatsächlich immer matchentscheidend sind, ist eine offene Frage. Jedenfalls äusserte die Swissgrid gegen die Verkabelung einer privaten 1,2 GW-Gleichstrom-Leitung im Boden von Thusis bis ans Ende des Comer-Sees Vorbehalte. Das Projekt weise für die Schweiz «einen deutlich negativen monetären Nutzen aus».

Swissgrid selbst stellt hingegen für den Bau der als Freileitung konzipierten Hochspannungsleitung mit 380-kV-Strängen und einer Übertragungskapazität von rund 2 GW aus dem oberen Teil des Wallis über das Ossola-Tal die Anschlusskapazitäten von Lavorgo bis zum Nufenen zur Verfügung. Die Gommer-Leitung – ein Teilstück der schweizerischen West-Ost-Ringleitung um die Versorgungssicherheit zu garantieren – wirft dann Gewinn ab, wenn als Abzweiger die Leitung nach Mailand erstellt wird. Das entspricht der anders gearteten Strategie des internationalen Netzausbaus. Denn für den Ausbau der internationalen Linien sind jeweils die Marktbedingungen von entscheidender Bedeutung, wie Swissgrid in ihrem Strategiebericht «Netz 2025» schreibt.

Während auf europäischer Ebene bereits erste Schritte für die Verkabelung von Höchstspannungsleitungen auf der Basis von Gleichstrom – eigentliche Stromautobahnen – vorgenommen wurden, ist diese Technologie bei der schweizerischen Netzgesellschaft Swissgrid noch nicht angekommen. Setzt sich die moderne Leitungs-Technologie breiter durch, könnten die jetzt geplanten Hochspannungsleitungen durchs Wallis und durchs Fomazzatal weitgehend überflüssig werden.


Das italienische Komitee gegen die Hochspannungsleitung lädt zu einer Veranstaltung ein; Piedimulera, eine Gemeinde unterhalb von Domodossola, unterstützt den Kampf.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Wolfgang Hafner ist Wirtschaftshistoriker und beschäftigt sich seit Jahren mit den Energie- und Finanzmärkten.

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4 Meinungen

  • am 16.03.2017 um 18:18 Uhr
    Permalink

    Europaweit wehren sich die Betroffenen gegen neue Hochspannungs-Freileitungen.
    Wenn diese Leitungen verkabelt würden, könnte der Netzausbau bedeutens schneller geschehen. Die Zukunft der Hochspannungsleitungen ist im Boden. http://www.hsub.ch

  • am 18.03.2017 um 18:01 Uhr
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    Das Panoramabild Richtung Süden, s. oben, zeigt die absurde Leitungsführung der Formazza- und Gommerleitung: von Brig führt die geplante Hochspannungsfreileitung durchs ganze Goms bis Ulrichen und von dort über den Nufenenpass ins Bedretto nach All’Acqua, und von dort über den südlichen Alpenkamm ins Valle Formazza und nach Domodossola. Die Länge dieser Leitung ist 2 bis 2,5 mal solang wie die Bahnlinie von Brig nach Domodossola. Mit einer Kabelleitung entlang oder parallel zur Bahnlinie könnte eine viel effizientere Stromleitungsverbindung vom Wallis nach Domodossola erstellt werden, bei der die Stromverluste nur noch ein Bruchteil so hoch sind wie bei der geplanten Verbindung. Diese Stromsparende Direktkabelverbindung sollte unbedingt ernsthaft geprüft werden, bevor die Leitung durchs Goms und das Valle Formazza in Angriff genommen wird.

  • am 19.03.2017 um 11:00 Uhr
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    Die Netzkosten betragen pro Kilowattstunde etwa 7 Rappen. Davon betragen die Kosten im Höchstpannungsnetz (380 + 220 Kilovolt) unter einem 1 Rappen. Die Stromverluste verhalten sich linear zur Länge. Mit der Verkürzung der Leitung durch eine Verkabelung sinken die Übertragungsverluste nur dadurch um das 2.5-fache! Noch mehr Verluste können durch die Optimierungen in der Kabeldimensionierung erreicht werden. In Riniken kämpften wir Jahrzente für eine Verkabelung. Schlussendlich hat das Bundesgericht einer von uns ausgearbeiteten Kabelvariante den Vorzug gegeben!

  • am 20.03.2017 um 21:51 Uhr
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    Unbegreiflich, wie Swissgrid und Bundesämter mit undifferenzierten Argumenten (nicht machbar, zu teuer, etc.) an einer Strategie festhalten, die 25 Jahren adäquat war, als sowohl Technologie als auch Energiesituation noch ganz anders aussahen. Es ist zu wünschen, dass der an immer mehr Orten sich manifestierende Widerstand gegen solche anachronistische Projekte endlich Wirkung zeigt. Es kann ja nicht sein, dass im Wallis die letzte Stromwäscheleine der Schweiz gebaut wird.

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