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Auch Präsident Erdoğan ist kein Freiwild für Beleidigungen © cc

Folgt die Schweiz Deutschland? Staatsbeleidigungen

Urs P. Gasche /  Erdoğan, Trump oder Xi Jinping sollen sich gegen Verleumdungen und Beschimpfungen gleich wehren können wie Normalbürger.

Die deutsche Bundesregierung hat am 25. Januar beschlossen, mit einem alten Zopf im Strafgesetzbuch Schluss zu machen: Der Artikel 103 zur strafbaren «Majestätsbeleidigung» wird ab 1. Januar 2018 abgeschafft. Dieser Straftatbestand existiert bereits seit der Kaiserzeit. Im Mai vergangenen Jahres war dieser Artikel 103 in die Schlagzeilen geraten, nachdem es zum Eklat um ein Satire-Gedicht auf den türkischen Präsident Recep Tayyip Erdoğan gekommen war. Die Bundesregierung musste das Strafverfahren gegen den Satiriker Böhmermann bewilligen und hat dies nach längerem Zögern auch getan. Das Verfahren ist unterdessen eingestellt worden.
Ähnlicher Strafrechts-Artikel in der Schweiz

Auch das Schweizer Strafgesetzbuch kennt einen, wenn auch etwas weniger weit gefassten, Artikel «Beleidigung eines fremden Staates in Form seines Oberhauptes».

Auch in der Schweiz brauchen ausländische Staatsvertreter eine Bewilligung des Bundesrats, wenn sie sich gegen strafrechtlich relevante Verleumdungen oder Beschimpfungen in einem Schweizer Medium vor Gericht wehren wollen.

Der letzte Fall in der Schweiz betraf den damaligen libyschen Präsidenten Ghadafi: Der Bundesrat erlaubte ihm, vor einem Genfer Gericht gegen den Politiker Eric Stauffer vom Mouvement Citoyens Genevois (MCG) zu klagen, weil dieser den libyschen «Staat in Person seines Oberhaupts» beleidigt habe. Auf einem Abstimmungsplakat liess Stauffer den libyschen Diktator abbilden mit dem Zitat «Er will die Schweiz zerstören». Eine solche Aussage hatte Ghadhafi vor der Uno-Generalversammlung tatsächlich gemacht.

Wegen dieses Plakats beantragte Ghadhafi ein Strafverfahren in der Schweiz: Mit Erfolg
Nachdem in Libyen Unruhen ausgebrochen waren, forderte Stauffer vergeblich, dass das Verfahren eingestellt wird. Als Ghadhafi getötet wurde, lag das Strafverfahren für einen Zwischenentscheid immer noch beim Bundesgericht. Über die Einstellung des Verfahrens wurde nicht kommuniziert.
Der Bundesrat habe dem Begehren Muammar Ghadhafis sofort stattgegeben und die Bundesanwaltschaft das Verfahren «ungewöhnlich rasch» vorangetrieben, hatte Eric Stauffer damals kritisiert. Libyen lieferte der Schweiz Erdöl bester Qualität und war ein guter Geschäftspartner vieler Konzerne. Infosperber hatte vor sechs Jahren darüber berichtet.
Gleich behandeln wie alle

Jede Bürgerin und jeder Bürger der Welt kann gegen eine Schweizer Zeitung, eine Sendung des SRF oder eines Privatsenders Straf- und/oder Zivilklage wegen Ehrverletzung einreichen, wenn er oder sie öffentlich verleumdet oder beschimpft worden sind. Warum soll dies nicht auch ein ausländischere Staatschef, Minister oder Diplomat tun dürfen – ohne ausdrückliche Bewilligung des Bundesrats? Warum sollen Medien ungeliebte ausländische Staatsvertreter beleidigen und beschimpfen können, ohne dass diese wie alle andern ihre Persönlichkeitsrechte wahrnehmen können?
Journalistinnen und Journalisten dürfen wie alle andern die Ehre öffentlicher Personen weiterhin verletzen, sofern die Vorwürfe wahr sind und ohne unnötige Beleidigungen darüber berichtet wird. [Das sollten sich auch Leute merken, die sich in Meinungsspalten äussern.]
Deshalb meine ich:

  • Das Abschaffen der entsprechenden Bestimmungen im Strafgesetzbuch (StGB Art. 302 in Bezug auf Art. 296) würde unseren Bundesrat künftig vor peinlichen und politisch heiklen Situationen verschonen.
  • Zu prüfen wäre das Abschaffen auch des strafrechtlichen Beleidigungsartikels 296. Ausländische Regierungsvertreter können gegen Ehrverletzungen sowohl strafrechtlich (Art. 173-177 StGB) als auch zivilrechtlich wie alle andern Bürgerinnen und Bürger vorgehen.

Artikel 296 des Strafgesetzbuches (siehe oben) hat zum Ziel, die Beziehungen zum Ausland nicht zu stören. Doch strafrechtlich verfolgen kann man nur eine natürliche Person und keinen Staat. Voraussetzung laut Strafgesetzbuch ist, dass ein (Staats-)-Oberhaupt oder Regierungsmitglieder oder ein offizieller Delegierter an einer Konferenz in der Schweiz öffentlich beleidigt wurde. Eine Beleidigung muss sich strafrechtlich immer auf ein persönlich verantwortetes Verhalten beziehen und nicht auf das Verhalten eines Staates.
Bundesrat bewilligte auch Strafprozess des Schahs von Persien
Über einen ähnlich gelagerten Fall hatte der Bundesrat Anfang der Siebzigerjahre zu entscheiden. Der Schah von Persien fühlte sich beleidigt, weil ihn die Westschweizer Satire-Zeitschrift «La pilule» (Die Pille) als persönlichen Besitzer von Mohnfeldern, als Produzenten und Händler von Opium sowie als Mörder kleiner Haschisch-Konsumenten aufs Korn nahm. Nachdem der persische Monarch Strafantrag gegen «La Pilule»-Herausgeber Narcisse René Praz wegen «Beleidigung eines fremden Staates in Form seines Staatschefs» beantragte, gab der Bundesrat sofort grünes Licht.

Karikatur von Jean Leffel aus dem Jahr 1972. Schah «Chat»=Katze
Darauf wurde Praz in einem Genfer Strafprozess «unter Berücksichtigung ehrenhafter Motive» zu ein paar hundert Franken Busse verurteilt.

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

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