Fremd ist nicht gleich fremd; mein Land, dein Land
Red. Die deutsche Tageszeitung «taz» fährt bis zur Bundestagswahl im September 2017 unter dem Motto «meinland, deinland, unserland» durch Deutschland. Um mit möglichst vielen Menschen «ins Gespräch zu kommen und für eine offene Gesellschaft zu streiten». Die «taz»-Mitarbeitenden wollen «zuhören und verstehen, was funktioniert oder wo Probleme keine Lösung finden». Die freie Journalistin und Autorin Gina Bucher gehört zum taz.meinland-Team.
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Theoretisch bin ich in Deutschland so fremd wie die vielen anderen Zuzüger auch: Ich bin Nicht-EU-Ausländerin, spreche eine andere Sprache und kenne eine andere Währung. Viele Dinge sind mir fremd: die Art Schlange zu stehen, einjährige Elternzeit, der Umgang mit Behörden, die sportliche Art zu debattieren, Pfandflaschensammelnde, das «ß». Manche Differenzen mag ich, andere nicht.
Heimat bedeutet für mich, dass mir solche Unterschiede nicht mehr sofort ins Auge stechen. Und dass die Türen sich öffnen, im metaphorischen Sinn, ohne dass zuerst gefragt wird, woher ich denn eigentlich komme. Nun kann ich leicht reden, denn mir sieht man das Fremdsein nicht sofort an – als Schweizerin in Deutschland. Allenfalls hört man es: Meistens wird lediglich nachgefragt, warum ich das «R» anders rolle. Im schlimmsten Fall wird mein Geburtsland als niedlich bezeichnet und meine Landsgenossen als «diplomatisch».
Ich wünschte, das erginge allen so: Dass man sich die Welt ansehen kann, offen und herzlich aufgenommen wird. Offene Gesellschaft, das ist für mich ein Hintergrundgeräusch, mit dem ich sehr selbstverständlich aufgewachsen bin und das ich kaum je hinterfragt hatte. Wer wie ich in den Neunzigerjahren gross geworden ist (und – ein Hohn, dass daraus eine Klammerbemerkung wird: ausserdem im begüterten, nordwestlichen Teil der Erde), hat eine plüschige Welt kennengelernt, in der vieles möglich ist. Weil man – Erasmus sei dank – hier ein Semester studiert hat, obwohl man dort aufgewachsen ist, mit Interrail leicht ans Meer gefunden hat und mit Easyjet nach Kopenhagen. Wir haben vieles ausprobiert und zuerst einmal für gut gefunden, was uns die Globalisierung auf dem Silbertablett serviert hat (auch wenn man abends auf der Anti-WEF-Party sein Bier getrunken hat). So ist auch für viele eine neue Art von Heimat entstanden, die nicht mehr so sehr an geografische Grenzen gebunden ist und einen auch leicht in Sphären bringen kann, in denen man sich nicht mehr verantwortlich fühlt für den Quartiertreff oder die lokale Bibliothek.
Zwischen Deutschland und der Schweiz
Wenn ich jetzt in Berlin in den Besprechungen zu «taz.meinland» sitze – einem Projekt der «taz», die bis zur Bundestagswahl diskutierend durch Deutschland reist, um für die offene Gesellschaft zu streiten –, dann fühle ich mich als Grenzgängerin davon genauso betroffen, auch wenn das eigentlich deren Land ist und mir immer wieder mal etwas fremd vorkommt. In den vielen Jahren, in denen ich zwischen hier und dort gependelt bin, ist mir das Hier genauso Heimat geworden wie das Dort. Vieles, das dort passiert, geschieht auch in meinem ursprünglichen Heimatland – meistens etwas abgeschwächter und meistens zeitlich etwas verzögert. Und nicht selten nimmt die Weltöffentlichkeit nur davon Notiz, wenn es sich medial ausschlachten lässt. Der verweigerte Händedruck zweier muslimischer Schüler mit ihrer Lehrerin etwa, die seltsame Ecopop-Initiative, das Minarettverbot. Oft werde ich im Ausland ausgerechnet dann gefragt, was ich als Schweizerin von der direkten Demokratie halte – mit leicht spöttischem Unterton, wohlbemerkt. Entsprechend oft werde ich aber in letzter Zeit auch in der Schweiz zu dort befragt: wie Deutschland die Flüchtlingspolitik stemmt, wie die Umfragewerte zu Merkels Politik seien, ob es im Osten Deutschlands wirklich so dunkel sei? So unterschiedlich die Länder im geografischen Europa sind: Es ist entscheidend, was in diesem Jahr in Deutschland passiert.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Gina Bucher, 38, lebte als Grenzgängerin jahrelang zwischen Zürich und Berlin, unterdessen wieder mehr in Zürich. Trotzdem gehört sie als Redakteurin zum taz.meinland-Team und ist seit 2009 taz.lab-Programmchefin.
Die meisten Menschen wollen, wie Bucher, überall «dazugehören"; sie wollen auch orgendwo «unter sich bleiben», d.h. sich nicht erklären, rechtfretigen oder sogar anfeinden lassen müssen.
Zwischen diesen beiden – unvereinbaren – menschlichen Bedürfnissen muss man vermitteln.
Mit «offener Gesellschaft» war ursprünglich eine Gesellschaft gemeint, die für alternative Meinungen offen war. Massenmigration führt aber – wie wir inzwischen wissen – dazu, dass zunehmend Meinungen unterdrückt, Konflikte geleugnet und Freiheitsrechte delegitimiert und ausgehöhlt werden; sie führt also gerade von der «offenen Gesellschaft» weg.