Die Zeit der abgeschlossenen Kanäle ist vorbei!
In einem kleinen Satz hat die SRG eine grosse Änderung ihrer Strategie bekanntgegeben. «Die SRG optimiert ihr Angebot gemäss den Besonderheiten eines jeden Landesteils.»
Das war im November 2011. Die SRG teilte mit, dass etwa ab 2020 das neue «Web LA2» den zweiten Fernsehkanal der italienischen Schweiz RSI LA 2 ablösen soll Die Medienmitteilung wurde nördlich der Alpen nicht gross zur Kenntnis genommen. Dabei enthält der kleine Satz den Bruch eines Tabus, der noch unter der Führung von Roger de Weck vollzogen wird.
«Das ist so», bestätigt der künftige Generaldirektor Gilles Marchand. «Es ist ein strategischer Zug.»
Seit über 20 Jahren läuft innerhalb der SRG die Diskussion, ob in jeder Region von der Deutschschweiz bis ins Puschlav und ins Tessin die gleichen Radioprogramme und Fernsehkanäle laufen müssen. Aber das war wie ein eisernes Gesetz, unabhängig von der Finanzkraft der Region und der Anzahl von Zuschauerinnen und Zuschauern. Da konnte auch ein mächtiger Deutschschweizer Fernsehdirektor Protest anmelden: Es gab daran nichts zu rütteln. Dieses Gesetz soll nun in absehbarer Zeit durchbrochen werden.
Der Programmauftrag ist kein Vertriebsauftrag
Im Rahmen seines grossen Interviews erklärte der künftige SRG-Generaldirektor Marchand: «Die SRG hat einen Programmauftrag, keinen Vertriebsauftrag. Das Radio- und Fernsehgesetz verlangt, dass die gesamte Bevölkerung der Schweiz mit gleichwertigen Programmen versorgt wird, also mit gleichwertigen Inhalten. Auf welchem Weg diese Inhalte zu den Nutzern kommen, kann verschieden sein.» Gleichwertig sind die Angebote also dann, wenn grundsätzlich die gleichen Inhalte greifbar sind, auch wenn das auf verschiedenartigen Kanälen geschieht, in der einen Region also vielleicht im Internet, in einer anderen Region vielleicht noch auf dem klassischen Fernsehkanal.
Selbstverständlich macht die SRG heute schon Angebote im Internet. Da ist swissinfo.ch als Ersatz für das frühere Schweizer Radio International (noch früher: Kurzwellensender Schwarzenburg). Da sind die Sprachregionen der SRG mit ihren regionalen Online-Angeboten, wie srf.ch, das heisst: Die regionalen Internet-Angebote sind Online-Plattformen, zusätzlich zu den bestehenden Fernsehkanälen.
Marchand: «Wenn ‚Web LA2’ kommt, streichen wir einen traditionellen Fernsehkanal. Das ist ein strategischer Beschluss, weil wir damit einen entscheidenden Übergang ins digitale Zeitalter schaffen. Wir gehen weg vom traditionellen Fernsehen, von der Logik des Broadcasting, und wir bauen stattdessen eine Internet-Plattform. Wir gehen also zum Broadband, zur Breitband–Logik, zum digitalen Angebot.» Der angekündigte Wechsel in der italienischen Schweiz von RSI LA 2 ist daher kein Zusatzangebot.
Vom Kanal zur Plattform
Selbstverständlich wird das Radio und Fernsehen der italienischen Schweiz RSI auch weiterhin Sport zeigen oder Kultur. Aber bei «Web LA2» spricht Marchand nicht mehr von «Fernsehen», sondern von «Video». Und «Web LA2» ist die Plattform, von der man sich das Kulturvideo holt oder das Sportvideo – oder das «Live Streaming», die Live-Übertragung eines Ereignisses.
Mit «Web LA2» macht die SRG den strategischen Schritt in die Zukunft des audiovisuellen Angebots. Es umfasst dann
– im ersten Programm (RSI LA1) das klassische, lineare Fernsehprogramm.
– auf Web LA2, im Internet: Live Streaming, und ebenfalls
– Video-Angebote, die aktuell oder aus dem Archiv den ganzen Programmauftrag der SRG abdecken, von Information über Kultur und Bildung bis zur Unterhaltung. Diese Angebote kann man jederzeit abrufen, es ist Video on demand, «Video à la carte».
Das heisst: «Web LA2» ist kein Programmausbau. Es ist ein strategischer Programmumbau mit Blick auf das digitale Zeitalter und seine Technologie.
«Es ist ein Experiment», sagt Marchand, «Wir können das machen, weil auf dem zweiten Kanal von RSI praktisch keine Werbung läuft. Die Online-Werbung ist zurzeit verboten, also könnten wir das in der Deutschschweiz und in der Romandie nicht machen. Dort sind die zweiten Kanäle für die Werbeeinnahmen wichtig.»
Aus der Gegenwart in die Zukunft
Die Entscheidung wurde angeregt vom gegenwärtigen SRG-Generaldirektor Roger de Weck und, das betont sein Nachfolger Gilles Marchand, sie wurde getragen von der gesamten Geschäftsleitung. Sie zeigt aber auch schon in wesentlichen Zügen das Denken des künftigen Generaldirektors. Seine Freude am Experiment und die Bereitschaft zum Risiko. Seine Ausrichtung am Inhalt des Programmauftrags. Seine Bereitschaft zur vielfältigen und unterschiedlichen Umsetzung in den Regionen der Schweiz. Und seine klaren Vorstellungen über die Gestaltung der Medienschweiz im digitalen Zeitalter.
Marchand: «Die Sicht der Welt als abgeschlossene Kanäle, Radio, Fernsehen, gedruckte Presse – das ist vorbei. Game over.»
Alles wird Internet. Das ist vielleicht auch ein Grund für Marchands Aussage mit Blick auf die privaten Medienhäuser. Alle treffen sich im Internet, die bisherigen Zeitungshäuser, die auch Radio und Fernsehen machen (oder wieder machen werden), und die audiovisuelle SRG, die ohne Text nicht auskommen wird. «Wir sind zur Zusammenarbeit verdammt.»
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Der Autor war bis 2004 Mitarbeiter der SRG und ist heute freier Autor für verschiedene Medien.
Wie wenn sich die Eliten dieser Welt, die Verantwortlichen, die Strategen und Entscheider ihre dafür notwendigen Informationen nur aus dem Internet holen???
Wohl kaum den sonst wären diese Menschen, kein Mensch in der Lage über den Tellerrand hinaus zu blicken. Ausserdem empfinde ich die Überwachung, Kontrolle, Zensur welche digitale Übertravung immer ermöglicht eine Zumutung für jeden einzelnen und für jede gesellschaftliche Entwicklung.
Passt dazu das der neoliberale Bundesrat die ganze digitale Geschichte noch möglichst unreguliert halten möchte so das jeder kann wie es grad passt und das eben auch mit den generierten Daten die so anonym schon lange nicht mehr sind.
Dabei sind Innovation und Fortschritt innerhalb der IT, Computer, Algorithmen, Internet, Soziale Netzwerk Blase reine Staffage die niemanden wirklich befriedigt. Wird doch so an und innerhalb einem künstlichen von Unternehmen geschaffenen Konstrukt gedacht über dessen Grenzen man gar nicht so leicht hinaus kommt.
Wichtige Gespräche, Entscheidungen, Informationen finden nach wie vor persönlich vor Ort statt. Wohin also mit den Menschen und der Gesellschaft?
Freiheit, Unabhängigkeit, Demokratie, Teilhabe oder künftig doch eher eine zentral gesteuerte überwachte gesteuerte Dystopie?