Sprachlupe: Wo man Feudel und Bodenlumpen findet

Daniel Goldstein /  Geputzt wird überall, aber was man dazu braucht, hat im deutschen Sprachraum viele Namen. Ein Fall fürs Variantenwörterbuch.

Willst du einen Brief, so schreibe «Bodenlumpen». Nachdem ich hier über ein Lehrmittel berichtet hatte, das sich für Helvetismen wie diesen einsetzt, teilten mir drei Norddeutsche mit, bei ihnen heisse das besagte Stück Tuch «Feudel». Dazu gehört im Norden das Verb «feudeln», wie das Variantenwörterbuch des Deutschen (VWB, Verlag De Gruyter) festhält, etwas weiter südlich «aufwaschen», bei uns «fegen» und «(feucht) aufnehmen», und sonst einfach «wischen». Das (grobe) Tuch, das dazu dient, heisst im westlichen Deutschland «Aufnehmer», in Österreich «Fetzen» oder «Reibtuch».

Ein gemeindeutsches, also allgemein verbreitetes Wort dafür scheint es nicht zu geben. Ein weiterer Leser schreibt: «Wenn ich mich recht erinnere, war es in Bochum das Scheuertuch.» Dieses Wort steht ohne regionale Eingrenzung im Duden, ebenso «Scheuerlappen». Beide finden sich auch im digitalen Grimm-Nachfolger dwds.de, mit der Zusatzinformation, dass sie eher selten sind, besonders «Scheuertuch». Auch scheint man damit nicht nur Böden zu scheuern. Beschränken wir uns nicht auf den Boden, so finden wir – auch das ein Lesertipp – im «Atlas zur deutschen Alltagssprache» 22 regionale Synonyme für «Putzlumpen».

Vielfalt anerkannt

Der Atlas und das Variantenwörterbuch gehören zu den erfolgreichen Bemühungen, die regionale Vielfalt des Deutschen nicht nur zu erfassen, sondern auch als Teil des sprachlichen Standards gelten zu lassen. Was in der regionalen Schriftsprache üblich ist, ist also auch anderswo nicht einfach falsch. Die Verwendung eines Worts ist allerdings nur dort ratsam, wo es auch verstanden wird und dem Stil entspricht, den man schreiben will. So markiert das VWB mundartliche Wörter als «Grenzfall des Standards», wenn es sie überhaupt aufnimmt (je nach Art und Häufigkeit der Verwendung).

Nach der ersten Ausgabe von 2004 ist das VWB 2016 neu aufgelegt worden. Der «Bodenlumpen» wurde dabei zum Grenzfall herabgestuft und verlor den Vermerk, das Wort werde auch in Vorarlberg verwendet. Für die Neuauflage stützte sich die internationale Herausgeberschaft systematisch auf die Genios-Datenbank mit über 130 Millionen Zeitungsartikeln. Von den 12’000 Wörtern im VWB wurde etwa ein Zehntel ersetzt – zum Teil wegen der präziseren Erfassung, zum Teil aber auch, weil ein Sprachwandel zu beobachten war. So haben sich manche einst nur in Deutschland gebräuchlichen Wörter (Teutonismen) ausgebreitet und sind damit gemeindeutsch geworden – beim Reinigungsmaterial etwa «Müllkippe» oder «Handbesen».

Wir importieren nicht nur

Diese Wörter stehen nun nicht mehr im VWB, und aus dem gleichen Grund auch folgende nicht: denkste, futtern, quatschen, sabbern, Sause, Tussi. Sie galten in Deutschland als «salopp», verloren aber beim Export diese Einstufung. Einige VWB-Autoren vermuten in einem Fachaufsatz, dies sei so, weil «vielen Sprachteilhabern in den kleineren Zentren Deutschland immer noch als sprachliches Vorbild gilt». Egal, wie gut uns solche Importe gefallen, können wir uns immerhin freuen, dass auch Wörter in umgekehrter Richtung wandern; so verzeichnet das Wörterbuch nun, dass es auch ein Stück weit ennet der Grenze heissen kann: Abendverkauf, CD-Taufe, Offenausschank, zu reden geben. Etliche ehemalige Helvetismen sind gar keine mehr, weil sie gemeindeutsch geworden sind, so: degustieren, Gondelbahn, Schuldenbremse, Urnengang.

Der genaueren Erfassung ist im VWB auch «abverheien» zum Opfer gefallen – ein Eintrag, der von Anfang an «abverheit» war. So etwas kann in einem fast tausendseitigen (und gut 100 Franken teuren) Werk passieren. Für den Hausgebrauch ist man hierzulande mit dem zehnmal dünneren und billigeren Duden «Schweizerhochdeutsch» gut bedient. Weil «abverheien» nie drinstand, wird man auch nicht dazu verführt, es zu schreiben.

— Zum Infosperber-Dossier «Sprachlupe»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor ist Redaktor der Zeitschrift «Sprachspiegel» und schreibt für die Zeitung «Der Bund» die Kolumne «Sprachlupe», die auch auf Infosperber zu lesen ist. Er betreibt die Website Sprachlust.ch.

Zum Infosperber-Dossier:

Portrait_Daniel_Goldstein_2016

Sprachlupe: Alle Beiträge

Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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