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«Sicheren, sofortigen und ungehinderten Zugang» © Spiegel

Sicherheitsrat beschliesst: Beobachter nach Aleppo

Andreas Zumach /  Verwässerte UNO-Resolution: Chance auf umfassenden Waffenstillstand oder Illusion?

Der UNO-Sicherheitsrat hat am Montag, 19. Dezember 2016, einstimmig die Entsendung von Beobachtern beschlossen, welche die weitere Evakuierung von Zivilisten aus Aleppo sowie eine ungehinderte humanitäre Versorgung aller notleidenden Menschen überwachen sollen. Zudem sollen sie für den Schutz aller Zivilisten vor Übergriffen durch eine der Kriegsparteien sorgen. Der Beschluss wurde möglich, nachdem Frankreich einen bereits am Freitag letzter Woche vorgelegten ursprünglichen Resolutionsentwurf unter der Vetodrohung Russlands verwässert hatte.
Mit der Resolution beauftragte der Sicherheitsrat UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon «in Konsultation mit Konfliktparteien umgehend Massnahmen zu ergreifen für Arrangements – einschliesslich Sicherheitsarrangements –, um die Beobachung des Wohlergehens von Zivilisten in den östlichen Stadtteilen Aleppos durch die UNO und andere relevante Institutionen zu ermöglichen». Dieser umständliche Satz ist eine Kompromissformulierung, welche die UNO-Botschafter Russlands und Frankreichs, Witaly Tschurkin und François Delattre, am Sonntagabend in mehrstündigen Verhandlungen vereinbarten. Frankreich hatte in seinem ursprünglichen Resolutionsentwurf gefordert, Ban solle «unverzüglich» bereits in Syrien befindliche Mitarbeiter von humanitären UNO-Organisationen als Beobachter nach Aleppo senden. Tschurkin hatte diesen Entwurf am Wochenende als «Desaster» kritisiert und ein russisches Veto angekündigt. Zur Begründung erklärte der russische UNO-Botschafter, man könne «Beobachter nicht ohne angemessene Vorbereitung und ohne Information der Beteiligten nach Ost-Aleppo schicken». Eine angemessene Vorbereitung würde «Wochen dauern».

Einfluss der Konfliktparteien auf die Auswahl von Beobachtern

Mit der nun verabschiedeten Kompromissformulierung können die von Generalsekretär Ban zu konsultierenden Konfliktparteien Russland, Iran und die syrische Regierung erheblichen Einfluss auf die Auswahl künftiger Beobachter sowie auf die Modalitäten ihrer Arbeit nehmen und damit die ganze Mission noch für längere Zeit verzögern. Laut dem verabschiedeten Resolutionstext soll die neue UNO-Mission «eine angemessene, neutrale Überwachung und direkte Beobachtung von Evakuierungen aus Ost-Aleppo und anderen Teilen der Stadt» durchführen. «Alle Konfliktparteien» werden «aufgefordert, den Beobachtern sicheren, sofortigen und ungehinderten Zugang zu gewähren». Weiter bestimmt die Resolution, dass «Evakuierungen freiwillig sein müssen» und dass die evakuierten Zivilisten «nur zu Zielorten ihrer Wahl gebracht werden dürfen». Die Resolution lässt jedoch offen, wie diese Bestimmung überwacht und durchgesetzt werden soll. Eine Begleitung evakuierter Personen durch UNO-Beobachter in die Orte, in die diese Menschen transportiert werden, ist nicht vorgesehen. Über die Umsetzung der Resolution soll Generalsekretär Ban dem Sicherheitsrat spätestens in fünf Tagen, also bis kommenden Samstag, einen ersten Bericht vorlegen.

Trotz aller Unwägbarkeiten im verabschiedeten Resolutionstext äusserte US-Botschafterin Samantha Power die Erwartung, dass jetzt «schnell mehr als 100 UNO-Beobachter stationiert werden, um die Evakuierung zu überwachen». Die Resolution enthalte «alle erforderlichen Bestimmungen für eine sichere, würdige Evakuierung und für den gesicherten humanitären Zugang zu den Menschen, die in Aleppo bleiben wollen sowie für den Schutz von Zivilisten». Auch der französische Botschafter äusserte sich zuversichtlich. Die Resolution gebe der UNO «die Mittel, zu verhindern, dass die Konfliktparteien – auch oppositionelle Milizen – nach dem Ende der militärischen Kampfhandlungen massenhaft Verbrechen an Zivilisten verüben». Zudem verbessere die Resolution die Chancen zur Aushandlung eines umfassenden Waffenstillstandes.

Wahrung des Gesichts misslungen – ein Kommentar

Die Syrienresolution des UNO-Sicherheitsrates zur Entsendung von Beobachtern in das bereits weitgehend zerstörte und von Menschen entleerte Ost-Aleppo ist in erster Linie ein Versuch seiner fünf ständigen, vetoberechtigten Mitglieder zur Gesichtswahrung in letzter Sekunde. Russland gemeinsam mit China und auf der Gegenseite die USA, unterstützt von Frankreich und Grossbritannien, haben mit ihren egoistischen konträren Interessen dafür gesorgt, dass das höchste Gremium der Weltorganisation seine laut UNO-Charta «primäre Verantwortung für die Bewahrung und Wiederherstellung des Friedens und der internationalen Sicherheit» im Syrienkonflikt fünf elend lange Jahre nicht wahrnehmen konnte. Das ist die schlimmste Handlungsunfähigkeit in der bisherigen Geschichte der UNO.
Der Versuch der Gesichtswahrung ist allerdings misslungen. Vor allem das Gesicht der Regierung Putin in Moskau lässt sich nach den brutalen Angriffen der russischen Luftstreitkräfte der letzten 14 Monate auf militärische wie zivile Ziele in Aleppo überhaupt nicht mehr wahren. Aber auch die Obama-Administration hat durch ihre langjährige Unterstützung islamistischer, zum Teil mit der Terrororganisation Al-Kaida verbundener Oppositionsmilizen in Syrien zur Fortsetzung und Eskalation dieses fürchterlichen, opferreichen Bürgerkrieges beigetragen. China, Frankreich und Grossbritannien haben keinerlei Versuche zur Beendigung dieses Krieges unternommen.

Völlig unsicher ist, ob diese UNO-Resolution in letzter Sekunde tatsächlich zur baldigen Entsendung von Beobachtern nach Aleppo führt, ob sie irgendeine praktische positive Auswirkung haben wird auf die sichere Evakuierung und die humanitäre Versorgung von Zivilisten in Aleppo oder für deren Schutz vor gewaltsamen Übergriffen. Die von Russland und Frankreich vereinbarten Kompromissformulierungen in der Resolution bieten den daran interessierten Konfliktparteien zahlreiche Möglichkeiten, ihre Umsetzung zu erschweren, zu verzögern oder gar ganz zu verhindern. Die Hoffnung des französischen UNO-Botschafters François Delattre, die Verabschiedung dieser Resolution erhöhe die Chancen für einen umfassenden Waffenstillstand in Syrien, dürfte sich als Illusion erweisen. Viel wahrscheinlicher ist, dass – vielleicht nach einer kurzen Anstandspause über Weihnachten – der Krieg in der Provinz Idlib, in die jetzt viele aus Ostaleppo evakuierte Menschen verfrachtet wurden, in voller Brutalität fortgesetzt wird.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Andreas Zumach arbeitet als Korrespondent bei der UNO in Genf u.a. für die «Tageszeitung» (taz Berlin) und «Die Presse» (Wien).

Zum Infosperber-Dossier:

BasharalAssad

Der Krieg in Syrien

Das Ausland mischt kräftig mit: Russland, Iran, USA, Türkei, Saudi-Arabien. Waffen liefern noch weitere.

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Eine Meinung zu

  • am 20.12.2016 um 15:11 Uhr
    Permalink

    Herr Zumach wirft im Kommentar die Vetos von Russland und China auf der einen und die der Nato-Staaten auf der anderen Seite in denselben Topf. Ich ersuche darum zu reflektieren, um was für Resolutionsentwürfe es in jüngster Vergangenheit ging! imho vergleichen wir hier Granatäpfel mit Handgranaten.

    Ich empfehle den Kommentar des syrischen UN-Botschafters zur Resolution 2328 anzuhören (https://goo.gl/j8yGcu). Bemerkenswert nebst anderen Dingen:
    – Wie wenig Hilfe die UNO bisher geleistet hat bei der Versorgung von ca. 100’000 Flüchtlingen aus Ost-Aleppo seit dessen Befreiung
    – Wer die „grünen Busse“ angezündet hat, die dafür vorgesehen waren „moderate Rebellen“ nach Idlib zu fahren: ebenfalls „moderate Rebellen“
    – Eine Liste von Geheimdienst-Offizieren, welche in Ost-Aleppo verhaftet worden sind, aus den Ländern Türkei, USA, Israel, Katar, Saudi-Arabien und Marokko. (southfront hat weitere Details dazu, vgl. https://goo.gl/RXJerT, und nennt auch noch Frankreich.)

    Dieselben Staaten, welche diese Res. 2328 eingefordert haben, plus ein paar andere mehr, haben die „moderaten Rebellen“ seit Jahren mit Geld und Waffen versorgt (vgl. https://goo.gl/rqkQHf). Und von eben diesen Staaten wurden nun in Ost-Aleppo inmitten der „Rebellen“-Bunker Militärs festgenommen. Und die wollen nun vermutlich freies Geleit nach Hause.

    Ich frage mich, werter Herr Zumach, was noch passieren muss, dass Sie mal ihren „Salomonismus“ aufgeben und klar Stellung beziehen.

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