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Aung San Suu Kyi: 1991 Friedensnobelpreisträgerin – und heute? © gk

Ms. Aung San Suu Ky hat es die Sprache verschlagen

Peter Achten /  In Burma regiert eine Friedensnobelpreisträgerin, aber die muslimischen Rohingyas werden weiterhin brutal verfolgt.

Die muslimischen Rohingyas in Burma (Myanmar) werden seit Jahrzehnten verfolgt, aber ihr Leiden liefert selten Schlagzeilen für die internationalen Medien. Auch nicht, seitdem das Land von der im Westen verehrten Demokratie-Ikone Aung San Suu Kyi, Friedensnobelpreisträgerin 1991, regiert wird. 2015, vor der Wahl nach rund fünfzig Jahren Militärdiktatur, stand Myanmar im Fokus der internationalen Medien. Aber was die Rohingyas betrifft, beschied Suu Kyi Journalisten schlicht, man solle die Gefahr «nicht übertreiben». Aus dem Mund einer im Westen als «moralische Instanz» verehrten Kämpferin gegen die Militär-Diktatur, die selbst über zwei Jahrzehnte im Gefängnis sass oder unter Hausarrest lebte, waren das verstörende Worte. Suu Kyi jedoch vertritt noch heute dieselbe Meinung.

Aung San Suu Kyi, die Generalsekretärin der Nationalen Liga für Demokratie (NLD), ist zwar nicht Präsidentin geworden, denn nach der noch von den Militärs erlassenen Verfassung dürfen nur Burmesen ohne Auslandbande das höchste Amt im Staat einnehmen. Aber sie war mit einem britischen Professor verheiratet und hat zwei Söhne mit britischem Pass. (Die Einschränkung war übrigens schon in der 1947 formulierten Verfassung enthalten, damals mitunterzeichnet von Suu Kyis Vater, dem Unabhängigkeitshelden General Aung San). Doch für die zusehends autoritärer agierende Politikerin spielt das keine Rolle. Schon vor den für die NLD siegreichen Wahlen vom November 2015 sagte sie unmissverständlich, sie stehe «über dem Präsidenten». Folgerichtig wurde für die zur Aussenministerin berufene Suu Kyi noch das Amt eines «Staatsrates» geschaffen. Von dieser hohen Warte aus repräsentiert sie Myanmar nach aussen und regiert im Innern.

Minderheiten vs. «illegale Einwanderer»

Nach dem überwältigenden Wahlsieg der NLD war vor einem Jahr die Hoffnung auf nationale Versöhnung gross. Nicht nur mit den Militärs, sondern vor allem mit den 135 Minderheiten, die zum Teil seit Jahrzehnten bewaffnet Widerstand leisten. Der Friedensprozess mit diesen nationalen Minderheiten ist im Gange. Burmesische Politiker und Beobachter sind optimistisch. Die Rohingyas freilich zählen nach dem Staatsbürgerschaftsgesetz von 1982 nicht zu den Minderheiten. Sie galten bereits unter der Militärdiktatur als «illegale Einwanderer», und auch für Aung San Suu Kyi, die sonst weltweit gerne mit dem moralischen Zeigefinger herumfuchtelt, sind sie «illegale Einwanderer» aus Bangladesch. Sie bezeichnet sie als «Bengali», die in ganz Myanmar politisch korrekte Bezeichnung für die Rohingyas. Der ehemalige Staatspräsident Thein Sein (2011-2015) zeigte sich bereit, die «illegalen Einwanderer» «in jedes Land zu deportieren, das aufnahmewillig ist». Staatsrätin Suu Kyi verfolgt nun im Zeichen der Demokratie die exakt gleiche Politik.
Die Rohingyas leben zum Teil seit zig Generationen im Nordwesten des Rakhine-Staates, auch Rakhaing- oder Arakan-Staat genannt. Im Norden dieser Provinz der Union von Myanmar – an Bangladesch grenzend – bilden die muslimischen Rohingyas die Mehrheit der Bevölkerung. Insgesamt jedoch halten die buddhistischen Arakanesen in dieser Provinz die Mehrheit. Die Migrationsbewegungen in diesem Teil Südostasiens sind sehr komplex.

Masseneinwanderung unter den Briten

Dass die Rohingyas von arabischen Seefahrern abstammen, ist mittlerweile von Historikern widerlegt. Aber bereits im 15. und 16. Jahrhundert kamen im Zuge des Vorstosses des Islam nach Asien erste Rohingyas in das Gebiet des heutigen Rakhine-Staates. Im 17. Jahrhundert lebten die muslimischen Einwanderer friedlich im damaligen buddhistischen Arakan-Königreich. Im 19. Jahrhundert kam es dann unter den britischen Kolonialherren zu dem, was heute als Masseneinwanderung qualifiziert wird. Notabene nicht nur nach Arakan, sondern in alle Teile Burmas. Landarbeiter, Reisbauern und untere Beamte waren gefragt. Ein Beispiel: allein 1927 erreichten über 400’000 Migranten Burma bei einer Gesamtbevölkerung von 13 Millionen. In den Jahren von 1900 bis 1925 waren es jährlich weit über 100’000. Die internationalen Grenzen waren damals viel poröser und weniger genau definiert, zudem war das heutige Myanmar damals Teil von Britisch-Indien.

Schon während des Zweiten Weltkrieges kam es zwischen Arakanesen und Rohingyas zu Spannungen. Die muslimischen Rohingyas kämpften aufseiten der Briten, die buddhistischen Arakanesen aufseiten der japanischen Besetzer. Seit der Unabhängigkeit Burmas am 4. Januar 1948 kam es dann zu massiven Militäroperationen gegen die Rohingyas, zunächst unter demokratischen Regierungen, danach unter der Militärdiktatur. 1978 und 1991 unternahmen die Streitkräfte pogromartige Aktionen. Hunderttausende flohen, Tausende kamen ums Leben. Zu schweren Auseinandersetzungen kam es erneut 2012 und 2015. Die Uno spach von «Versuchen», den Rakhine-Staat «ethnisch zu säubern». Malaysias Premier Najib Razak sprach gar von einem «versuchten Genozid an der Rohingya-Minorität». Medienberichte über Gewalt an Rohingyas werden von der Regierung in Yangon – und damit von Aung San Suu Kyi – fortlaufend kritisiert.

Rechtlos

Faktum freilich ist, dass die Rohingyas in Myanmar keinerlei Rechte haben: Sie sind keine Staatsbürger, sie haben keinen Zugang zu höherer Bildung und nur beschränkten Zugang zur Grundbildung, sie können offiziell nicht ausreisen, sie dürfen keinen Grund besitzen, sie unterliegen Reisebeschränkungen innerhalb Myanmars, sie werden zu Zwangsarbeit verpflichtet, sie müssen Sondersteuern zahlen, für sie gelten Heiratsbeschränkungen. Illegale Haft, Folterungen, Vergewaltigungen und Mord durch Armee beziehungsweise Polizei sind an der Tagesordnung. Heute leben in Myanmar noch 1,3 Millionen Rohingyas, davon über 100’000 in einem Internierungslager. Nach Thailand sind 150’000 geflüchtet, wo sie ihres ungewissen Status wegen zum Teil unter sklavenähnlichen Verhältnissen arbeiten. In Saudi-Arabien leben 400’000, in Pakistan 200’000 und in Bangladesch 350’000 Rohingyas.
Staatsrätin Aung San Suu Kyi hat sich nach dem Wahlsieg Ende 2015 für «Friede und nationale Versöhnung» ausgesprochen. In der Causa Rohingya freilich hat sie wenig bis nichts getan. Sie weiss, jetzt als Realpolitikerin, dass in einem zu gut 90-prozentig buddhistischen Land ein offenes Eintreten für eine muslimische Minderheit politischen Selbstmord bedeutet. Es zeigt sich hier deutlich die burmesische Version von Rassismus, ein Gemisch aus Überheblichkeit und Angst. Hohe buddhistische Mönche hetzen im Schutz der neuen Meinungs- und Pressefreiheit auf übelste Art gegen Muslime im Allgemeinen und Rohingyas im Besonderen. Der burmesische Generalkonsul in Hongkong bezeichnete die Rohingyas mit Hinweis auf deren dunkle Hautfarbe als «hässlich wie Gnome» im Gegensatz zu den hellhäutigen Burmesen.

Kofi Annan «höchst beunruhigt»
Während die Soldateska der Tatmadaw – die burmesischen Streitkräfte – im Rakhine-Staat ohne Auflagen gegen die Rohingyas weiter wütet, hat die Regierung immerhin eine Untersuchungskommission unter dem Vorsitz des ehemaligen Uno-Generalsekretärs Kofi Annan – Friedensnobelpreisträger 2001 – gebildet. Nach seinem zweiten Besuch in Myanmar war Annan neulich höchst beunruhigt und forderte Armeechef Min Aung Hlaing auf, «innerhalb der Gesetze und des Rechtsstaates zu handeln». Die Kommission, fügte Annan hinzu, sei «höchst beunruhigt über Berichte von angeblichen Menschenrechtsverletzungen».

Am Ende der Regenzeit im nächsten Frühjahr werden wieder viele Rohingyas auf dem Seeweg zu fliehen versuchen. Viele werden von der thailändischen, indonesischen oder der malaysischen Marine abgefangen und wieder aufs offene Meer hinaus vertrieben. Viele werden ertrinken. Das sind Flüchtlings-, nicht Wirtschaftsmigranten-Dramen. Es wird dann in den Medien kurz vermerkt. Aung San Suu Kyi, das einstige moralische Gewissen, dass sich gerne mit Nelson Mandela vergleichen lässt, wird dann ungerührt weiter von «übertriebenen Medienberichten» und «illegalen Einwanderern» schwadronieren. Die im Westen noch immer hochverehrte und gelobte Demokratie-Ikone ist tief gefallen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

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Eine Meinung zu

  • am 26.12.2016 um 20:43 Uhr
    Permalink

    danke für die klaren worte!

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