Der Spieler: Die Wiedergeburt eines Klassikers
Red. Der «Spieler» Synes Ernst macht bis Mitte Januar Pause. Deshalb veröffentlichen wir unterdessen einige frühere «Spieler»-Beiträge, die besondere Aufmerksamkeit gefunden hatten. Diesmal vom 3. August 2013.
250 US-Dollar für ein Brettspiel? Laien mögen den Kopf schütteln über den Preis, zu dem aktuell ein Exemplar von «Crude – The Oil Game» aus dem Jahr 1974 auf Ebay angeboten wird. Kenner hingegen meinen, das sei gar nichts, ein Schnäppchen höchstens. In den 1980er Jahren hätten manche Freaks mehr als 1000 DM für eine Originalausgabe von «Crude» bezahlt. Diese Sammler hätte man damals benieden, bewundert, verehrt als Besitzer des «Grals» unter den Spielen. Ich kann mich noch gut erinnern, wie an den Spieltagen in Essen ein solcher Schatzjäger an einen Stand kam, den Kollegen dort zur Seite nahm, sein Köfferchen öffnete und mit glänzenden Augen seine Trophäe präsentierte – das wie eine Gutenberg-Bibel aufgemachte Spiel.
Gewundert hat sich niemand über solches Gehabe. Denn «Crude – The Oil Game» war ein Spiel, dem ein sagenhafter Ruf vorausging. Es war ein Kultspiel, von dem alle schwärmten, auch jene, die es nur vom Hörensagen her kannten. Und das waren die meisten, weil es vorerst nur in englischer Originalsprache in den USA erhältlich war. Nicht bei einem Grossverlag, wie Parker oder Mattel, der die Mittel für eine internationale Vermarktung gehabt hätte, sondern im kleinen Eigenverlag des Autors James St. Laurent.
So funktioniert Wirtschaft
St. Laurent wollte mit einem Spiel zeigen, wie Wirtschaft funktioniert und wie verschiedene Produktions- und Konjunkturfaktoren das Geschehen beeinflussen. Als leitender Angestellter einer Versicherungsgesellschaft wusste St. Laurent über die Mechanismen, welche die Kosten, Preise und Gewinne beeinflussen, bestens Bescheid. Seine Leistung bestand darin, seine Idee in ein funktionierendes und spannendes Spiel umzusetzen, und zwar nicht nur für Insider und Spielefreaks, sondern auch für ein breiteres Publikum. Während «Crude» von der Kritik begeistert aufgenommen wurde, blieb der Geschäftserfolg aus. Der Absatz der von St. Laurent zusammen mit seiner Frau selbst konfektionierten Spiele verlief schleppend.
1988 kamen endlich die «Crude»-Fans im deutschsprachigen Europa auf ihre Rechnung: Der Hexagames-Verlag veröffentlichte das Kultspiel unter dem Titel «McMulti». Da die Autorenrechte aus unverständlichen Gründen leider ungeklärt waren, blieben dem Spiel höhere Weihen, wie etwa die Auszeichnung «Spiel des Jahres», die es aufgrund seines spielerischen Gehalts durchaus verdient hätte, verwehrt. Nichtsdestotrotz vermochte sich das Spiel, obwohl es seit längerem nicht mehr auf dem Markt war, im Gespräch zu halten. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis ein deutscher Verlag sich die Rechte für eine Neuauflage sichern würde. Das ist jetzt der Fall: Seit Frühjahr 2013 ist «Crude – The Oil Game» unter dem Titel «McMulti» wieder da. An der Neuausgabe im Pegasus-Verlag hat auch St. Laurent mitgearbeitet, doch konnte er die Wiedergeburt nicht mehr mitfeiern. Er ist nach langer Krankheit im August 2011 gestorben.
Ein wuchtiges Spiel
«McMulti» ist ein wuchtiges Spiel. Das spürt man, wenn man die Verpackung in die Hand nimmt. Sie ist schwer, prallvoll mit Material, Bohrtürmen, Öl-und Benzinfässern, Tankstellen, und Geld. Geld vor allem. Denn um Geld geht es in diesem Spiel, dessen Ziel ganz einfach ist: Möglichst rasch sein Startkapital von 200 Mio auf 750 Mio USD zu vermehren. Wem das als Erster gelingt, hat gewonnen. Kapitalismus und Marktwirtschaft pur. Spielerinnen und Spieler beherrschen auf dem Spielbrett je ein Quadrat mit 36 Feldern, auf die man Bohrtürme, Raffinerien und Tankstellen platziert. Hier bohrt man nach Öl, fördert und raffiniert es zu Benzin, das man dann über Tankstellen verkauft. Mit einem roten und einem schwarzen Würfel wird entschieden, auf welchem Feld man aktiv werden darf. Dabei gelten die Würfelergebnisse nicht nur für den Spieler, der an der Reihe ist, sondern auch für seine Nachbarn zur Linken und zur Rechten.
Gerade in diesem Mechanismus liegt die Stärke von «McMulti»: Man schaut nicht bloss zu, wie einer würfelt und dann eine Aktion ausführt, sondern ist selbst in das Geschehen involviert. Entsprechend fiebert man auch mit, und entsprechend sind auch Emotionen im Spiel. Weil Vieles über Würfel gesteuert wird, ist der Glücksfaktor relativ hoch. Doch diesen nimmt man in Kauf, weil noch genügend andere Einflussmöglichkeiten bestehen. So darf man die sich ankündigenden Wirtschaftsnachrichten nicht aus dem Blick verlieren, weil sie das Geschehen beeinflussen. Wirtschaftskarten regulieren Angebot und Nachfrage. Bei Hochkonjunktur kostet es mehr, Anlagen zu kaufen. Also investiert man, wenn Rezession herrscht. Und gegen Schluss des Spiels muss man darauf achten, seine Anlagen möglichst hochpreisig zu Cash zu machen. Nur das Bare zählt.
«McMulti» hat mittlerweile 39 Jahre auf dem Buckel. Die meisten Spiele aus den 1970er und 1980er Jahren wirken auf uns ältlich, weil die Mechanismen und die Komplexität heutiger Spiele anspruchsvoller sind und viel mehr bieten. «McMulti» ist demgegenüber erstaunlich frisch geblieben. Der Grund ist wohl der, dass James St. Laurent Elemente eingebaut hat, die der Zeit weit voraus waren. Das macht die Qualität eines Spiels aus, das es noch richtig zu entdecken gilt.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Spielekritiker für das Ausgehmagazin «Apéro» der «Neuen Luzerner Zeitung». War lange Zeit in der Jury «Spiel des Jahres», heute noch beratendes Mitglied. Als solches nicht an der aktuellen Wahl beteiligt.
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