Postwachstum – Die Wirtschaft nach dem Wachstum
Die drei hier empfohlenen Bücher kommen mit Vorworten von Harald Welzer daher. Er gilt heute in der deutschen Alternativszene nicht zu Unrecht als Garant für frischen Wind. In der Taschenbuch-Reihe des «Forums für Verantwortung» geht es um den damit durchaus verwandten Einsatz für Nachhaltigkeit. Welzer findet als Mitherausgeber, fünfzehn Jahre nach Gründung des Forums und nach bald zwanzig Bänden mit vorab wissenschaftlich fundierten Lageanalysen sei es an der Zeit, «den Blick von der Gegenwart in die Zukunft» zur richten, Bilder zu entwerfen, mögliche Szenarien zu sichten. «Wie sieht eine moderne Gesellschaft aus, die nicht mehr dem Prinzip der immerwährenden Expansion folgt, sondern gutes Leben» – und zwar für alle, weltweit – «mit nur einem Fünftel des heutigen Verbrauchs an Material und Energie sichert?» Es sind grundlegende Entscheidungen zu treffen. «Welche Werte wollen wir?» Mit konkreten Vorstellungen. «Wie werden wir arbeiten?» Grün und rot stehen diese Fragen auf den Covers.
Nachhaltigkeit – hochpolitisch!
Reinhard Loske scheint zum Skizzieren der «Konturen einer Nachhaltigkeitswende» in unseren Breiten prädestiniert: Anfangs der 1990er-Jahre arbeitete er am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie an der Studie «Zukunftsfähiges Deutschland» mit, die Postulate des Rio-Erdgipfels «in eine nationale Nachhaltigkeitsstrategie zu übersetzen» versuchte. Das vielseitig inspirierende Werk fand damals auch bei uns viel Beachtung. Später zog der Autor in verschiedenste Fachgremien sowie 1998 in den Bundestag ein, wurde umweltpolitischer Sprecher der Grünen, übernahm von 2007 bis 2011 dann Exekutivverantwortung in Bremen. Bei alledem sei ihm «der Glaube an das Veränderbare» nicht abhanden gekommen, obwohl er die «Vergeblichkeitsgefühle» kennt, wenn sozial-ökologische Erfordernisse und die Langsamkeit politischer Prozesse immer weiter auseinanderklaffen. Dementsprechend fasst der Politologe «das Politische heute anders», weiter. Zwar bleibt «die Welt der Parlamente, Regierungen und Parteien» unverzichtbar, aber zu glauben, dass von dort die entscheidenden Impulse kommen, «ist nicht mehr realistisch.» Ob die neuen, überwiegend urbanen Initiativen «eine grössere transformative Kraft entwickeln» als die mit der lokalen «Agenda 21» von Rio eingeleiteten Prozesse, müsse sich erst weisen. «Abhängen wird das nicht zuletzt davon, wie stark die formale Politik sie unterstützt.»
Die hier anklingende Differenziertheit zieht sich wohltuend durch das ganze Buch. Nie steht billiger Optimismus gegen Alarmismus; bei kleinen Schritten wird immer klargestellt, dass sie nicht reichen. Derzeit ist Effizienz im Diskurs über nachhaltiges Wirtschaften der Hauptstrom. Damit sie Teil der Lösung wird und nicht nur neue Probleme schafft, müssen Elemente wie Kooperation und Suffizienz dazukommen. Zwischentitel signalisieren die angesteuerte Richtung: «Marktwirtschaft statt Machtwirtschaft», «Gemeinwohlökonomie statt Wachstumsökonomie». In einer Zwischenbilanz steht gerade deutlich genug, «dass das ökonomisch-technische System der kapitalistischen Industriegesellschaften aus sich selbst heraus keine hinreichenden Nachhaltigkeitsstrategien hervorzubringen vermag.»
Freie, gerechte Gesellschaft …
Obwohl es für Loske bei der Nachhaltigkeit primär darum gehen müsste, «die soziale Entwicklung von Gesellschaften an den gegebenen Naturbedingungen auszurichten», sind auch Gerechtigkeit und Freiheit zentrale Themen. Dies wird nicht nur taktisch begründet, weil Grünes in einer Demokratie sonst kaum durchzusetzen wären. Da argumentiert einer, der rotgrüne Koalitionen kennt. Er bleibt sozial sensibel, obwohl oder vielleicht gerade weil er die SPD als wenig grünrot erlebte. Erhard Eppler, der dort das alternative «Ende oder Wende» bereits 1975 einbrachte, wurde von rücksichtslosen Machern wie Helmut Schmidt kaltgestellt. 2003, als das Ökosteuerprogramm auch im Verkehrsbereich greifen sollte, profilierte sich Gerhard Schröder mit einem Machtwort als «Autokanzler». Man konzentriere sich lieber auf die Subventionierung erneuerbarer Energien. Geben sei bekanntlich seliger denn Nehmen.
Doch richtig verstandene Freiheit und umfassende Gerechtigkeit – auch auf künftige Generationen bezogen – verlangen von uns «vernunftgesteuerte Selbstbegrenzung», um es nicht Verzicht zu nennen. Dies mit gut begründetem Ziel. Um einer wirklich besseren Gesellschaft näher zu kommen, ist «eine neue Balance von Erwerbs- und Eigenarbeit» nötig. Wir müssten mehr Verantwortung übernehmen. Arbeitszeitverkürzung als der beste Weg zur «Arbeit für alle» kann nebst Gemeinschaftlichkeit auch jene andere «Ökonomie des Selbermachens» fördern, die heute als Kontrast zur Konsumwelt neu belebt wirkt. Dabei wäre an klassische gewerkschaftliche Forderungen anzuknüpfen. Leider wird derzeit aus der Defensive heraus fast nur noch um höhere Einkommen gekämpft. Auch viele Linke «haben sich dadurch extrem mit der Idee permanenten Wachstums vermählt». Eine offensichtlich perspektivenlose Verbindung.
… mit neuen Arbeitswelten
Von dieser Einschätzung geht auch eine interdisziplinäre Studie aus, die den «Übergang in die Postwachstumsgesellschaft» als Neuland erkundet. Es geht darin um Veränderungen der Arbeitswelten: um schon erfolgte, im Gang befindliche, noch zu erwartende, aber auch um die für eine zukunftsfähige Wirtschaft erwünschten. Dass die Autoren und Autorinnen alle an einem Heidelberger Institut im Arbeitsbereich Frieden und Nachhaltige Entwicklung tätig sind, erklärt die Zielrichtung. Ermöglicht wurde die Untersuchung von der Stiftung, die nun auch für taufrische Verbreitung sorgt. «Die – im aktuellen System nicht unberechtigte – Angst vor den Folgen ausbleibenden Wachstums» beherrscht ja zur Zeit tatsächlich Politik und Gesellschaft. «Wenigstens aus Gründen der Vorsicht» wäre daher «ein Plan B gefragt». Wenn es gelänge, mit diesem zugleich noch Probleme wie die ökologischen Bedrohungen anzugehen, umso besser.
Auch soziale Auswirkungen von Wachstum und gesellschaftlicher Wachstumsorientierung wären vor diesem Hintergrund neu zu betrachten. Erfüllt das Wirtschaftswachstum die Hoffnungen noch, die in Bezug auf Lebensstandard, Lebenszufriedenheit und Frieden mit ihm verbunden werden? Die in der Fragestellung steckenden und in der Folge weitgehend bestätigten Zweifel machen die Suche nach Alternativen doppelt dringlich. In einer recht spannenden Tour d’Horizon werden Ökonomietheorien, philosophische Überlegungen, alte Utopien und neuere Modellvorstellungen gesichtet, auch sozialistische, anarchistische Ansätze aus der Geschichte der Arbeiterbewegung. Gerade gewerkschaftlich Aktiven sei diese Lektüre darum ans Herz gelegt, auch in der Hoffnung, sie könnte als Gegengift zum work wirken, welches trotz viel Polemik eher Mainstream-Ökonomie pflegt und daneben Peter Bodenmann von rosigen Techno-Zukünften schwärmen lässt.
Konkreteres zu den Utopien
So viele haben aus der Tatsache, dass ewiges Wachstum unmöglich, dieser Weg auf Dauer also eine Sackgasse ist, so früh eigene Schlüsse gezogen! Und doch hatte das in der ökonomischen Theorie und der politischen Praxis kaum Konsequenzen. Schon vor der Mitte des erfreulich leicht lesbaren Taschenbuches wird denn auch «von der Theorie der Utopie zur Praxis von Arbeit und alternativen Lebensformen» gewechselt. Hinweise auf interessante Pionierprojekte machen den Anfang. Die gemeinnützige «Eden»-Siedlung etwa wurde 1893 von Vegetariern in Berlin gegründet. 1200 Menschen wohnen da heute, es gibt eine reformpädagogische Schule, eine Musikwerkstatt, ein Café, und eine ständige Ausstellung erinnert an viele Wandlungen in der eigenen Geschichte. «Longo maï» blickt inzwischen gleichfalls auf ein tatsächlich langes Leben zurück, das den Aufbau weiterer Kommunen inspirierte.
Konkretionen sind auch im zweiten Teil des Buches gefragt, der mögliche neue Formen von Arbeit, Arbeitsteilung oder Arbeitszeitregeln «in einer Postwachstumsgesellschaft» analysiert. Grundsätzliches bleibt nicht ausgespart: «Alles eine Frage des Eigentums?» Einkommen wird mit Anerkennung in Beziehung gebracht. Dabei wird zum Beispiel die von Hartmut Rosa eben erst vorgelegte Resonanztheorie gewürdigt. Aber auch Älteres findet sich. Rolf Schwendter legte bereits 1986 eine Systematik alternativer Formen der Ökonomie vor. «Die Mühen der Ebenen» wirkt als Titel noch immer passend. Einzig die feministischen Pionierinnen scheinen mir im Buch nicht angemessen präsent, obwohl auch Frauen im Team waren und einschlägige Themen nicht fehlen. Frigga Haug etwa und ihre «Vier-in-einem-Perspektive» hätte zum Blick auf künftige Arbeitswelten gehört.
Rahmen und Hilfe vom Staat
Das dritte Buch hat einen hässlichen Titel: «Ökoroutine». Doch die Unterzeile umschreibt schön, zu was diese gebraucht würde: «Damit wir tun, was wir für richtig halten.» Inhaltlich liefert Michael Kopatz viel, ja eigentlich fast alles, was für Interessierte und Engagierte in Deutschland – und auch in der Schweiz – derzeit an Informationen zur Umweltkrise als politische Herausforderung zusammengetragen werden kann. Dabei geht es dem Autor um realistische Hoffnungen. «Nicht aufgeben!» ist einer der letzten Zwischentitel und das abschliessende Exempel eine Erfahrung, die er als Projektleiter im Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie gemacht hat. In sogenannten Zeitfenstern hätten sie 1996 für «Zukunftsfähiges Deutschland» ins Jahr 2022 geblickt – und dabei das rasante Tempo der Energiewende und des Atomausstiegs schlicht unterschätzt. Dank dem EGG, dem jetzt «weltbekannten» Erneuerbare-Energien-Gesetz kam weit mehr in Gang als gedacht.
Anempfohlen sei diese Betrachtung vorab Grünliberalen, die den Staat unbefangener als Wendehelfer sehen sollten. Wir müssen «Regeln für die Freiheit» setzen, wenn wir «gegen ausufernde Eingriffe in die Natur sind». Bereits liberale Vordenker wie Adam Smith und John Stuart Mill erkannten das. Undogmatisch sucht der Autor nach Kompromissen für breitere Koalitionen. «Koevolution von Technik und Kultur, Effizienz und Suffizienz» lautet auch bei ihm der Tenor. Möglichst sanft sollen Massnahmen sein, doch zuweilen braucht es radikale Schritte und Schnitte: Nichtnachhaltige Agrarsubventionen müssen weg und umweltschädliche Verkehrsinvestitionen gestoppt werden. Nötig ist ein «Strassenbau-Moratorium», nicht nur zur Umlagerung auf die Schiene. Jede neue Strasse steigert die Unterhaltskosten. Warum weitere Projekte planen, wenn die öffentliche Hand kaum in der Lage ist, Bestehendes zu erhalten? Mit einer nachhaltigen Verkehrspolitik liesse sich die «Ökoroutine» beim Mobilitätsverhalten verankern. Doch das erfordert Mut. «Ohne mentale Wende keine Verkehrswende.» Was aber ein Stück weit auch umgekehrt gilt. An bessere Angebote gewöhnen sich Menschen gern. Kopatz lobt die Schweiz bezüglich Bahn und Bus als besonders «clever». Da wären Fragezeichen zu setzen. Aber lassen wir das.
In den Städten weiter voran
Nützlich für die Praxis ist in diesem Buch vor allem das Kapitel, dessen Überschrift mich speziell nervte: «Wirtschaftsförderung 4.0». Wieder dieser zeitgeistige Jargon! Angelehnt an das «Zukunftsprojekt Industrie 4.0», mit dem die Bundesregierung eine Digitalisierung der Industrie ankurbeln, dem Volk als neue Fortschrittshoffnung verkaufen will. Braucht nun auch das vielfältig alternative Geschehen so einen Stempel? Doch die Überlegung, mit einer konsequenten kommunalen Wirtschaftsförderung in den dazu prädestinierten Städten tatsächlich «Öko zur Routine» werden zu lassen, hat Hand und Fuss. Heute fördern alle, was sie in Konkurrenz zu andern für aussichtsreich halten. Doch wie eine Wirtschaft genau aussieht, «die nicht oder nur noch bedingt am Wachstum hängt», weiss niemand. Wichtig wäre heute, Abhängigkeiten zu minimieren. Dazu tragen kommunale Initiativen, regionale und kooperative Wirtschaftsformen bei – «besonders Unternehmen, die der Daseinsvorsorge und dem Gemeinwesen vor Ort dienlich sind.» Solche werden in ihrer nachgerade erfreulichen Fülle vorgeführt. Grössere, mittlere, auch kleinste und höchst originelle. So das «Pumpipumpe»-Konzept, in Bern lanciert und nun als geradezu ideal für die Stadtstrukturen von Berlin propagiert. Piktogramme an Briefkästen signalisieren, was wo ausleihbar wäre. Also in nächster Nähe, ohne digitale Vernetzung und weite Wege. Der animierenden Auflistung von Möglichkeiten folgt das politische Postulat, derartige Ansätze anderer Lebensweisen und anderen Wirtschaftens nicht nur nicht zu behindern, sondern gezielt zu unterstützen. Warum dieser Strategie keinen Slogan mit auf den Weg geben? «WF4.0 statt TTIP» gefällt mir schon fast.
Neustart im Kleinen – Ein letzter Hinweis
«Nach Hause kommen», letzte Woche in Zürich von «Neustart Schweiz» präsentiert, liefert auf gute Art ein Konzentrat der drei deutschen Publikationen. Sympathisch, global gedacht, mit lokalen Akzenten. Auch hier wird die Welt der Commons nicht neu erfunden, nur – für einmal im besten Sinne werbend – zusammengefasst. Wer bekäme beim Lesen nicht Lust, in eine der überschaubaren Nachbarschaften zu ziehen, in denen «Dichte ohne Stress» stattfindet? Real, nicht als Utopie. An immer mehr Orten sind «Kraftwerke» in Betrieb, die mit zunehmender Strahlkraft auch ideelle Alternativenergie liefern. Die jüngste Streitschrift des 2010 zwecks Vernetzung geschaffenen Vereins für ökologisch-soziale Erneuerung bleibt politisch nüchtern, macht Dringlichkeit und Dimensionen des Wandels deutlich, spitzt im «Rückblick aus der Zukunft» auch satirisch zu. Ermutigend frisch.
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Reinhard Loske: Politik der Zukunftsfähigkeit. Konturen einer Nachhaltigkeitswende. Fischer Taschenbuch, Band 3221, Frankfurt am Main 2016, 303 Seiten, 13 Euro
Zwischen den Arbeitswelten. Der Übergang in die Postwachstumsgesellschaft. Beiträge von Hans Diefenbacher u.a. Fischer TB 3592, Frankfurt 2016, 416 Seiten, 14 Euro
Michael Kopatz: Ökoroutine. Damit wir tun, was wir für richtig halten. Oekom-Verlag, München 2016, 412 Seiten, 25 Euro
Nach Hause kommen. Nachbarschaften als Commons. Hrsg. vom Verein Neustart Schweiz in der Edition Volles Haus, Baden 2016, 160 Seiten, 15 Franken
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Dieser Text ist erstmals im PS erschienen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine