Fassade_Front

Diese Plättli-Fassade kann die passive Solareinstrahlung nicht nutzen © cc

Nur so halten Fassaden mehrere Jahrzehnte

Paul Bossert /  Eine weit verbreitete Verluderung des Bauens geht weiter: Nicht einmal die Hauswände halten so lange wie früher.

Red. Viele Haus-Fassaden sind und werden bau- und wärmetechnisch suboptimal gebaut. Es kommt zu Schäden und vermeidbaren Wärmeverlusten. Der Bauingenieur Paul Bossert hat 25 Bedingungen für eine gute Aussenwand zusammengestellt. Seine Ansichten werden von der Baumaterialien-Lobby und manchen Architekten nicht geteilt.
25 Regeln für das Erstellen einer Hauswand

  1. Die Ästhetik ist seit dem Beginn der «Moderne» im Jahr 1925 etwas vom Wichtigsten, was es für einen Architekten gibt auf der Welt. Alle andern 24 Anforderungen sind für den Architekten häufig untergeordnete Nebensächlichkeiten, die angeblich ohne Bedeutung sind. Für manche heutige Architekten zählt nur das Eine: «Das Design»! Diese Architekten werden wohl jetzt auch nicht mehr weiterlesen.
  2. Die Statik des Bauingenieurs ist für die Fassade eines Architekten-Entwurfs ein angeblich notwendiges Übel, die nichts kosten darf. Der Architekt benutzt den eigentlich wichtigen Ingenieur seit Beginn der «Moderne» wie eine Hure, nämlich nur dann, wenn er ihn nötig hat.
  3. Die Festigkeit beschreibt mit ihrer Lehre die Verformungen infolge Last- oder Temperaturwechseln einer Wand. Missachtungen der Festigkeitslehre und der damit verbundenen Nichtbeachtung der Thermodynamik sind Ursache der meisten Bauschäden.
  4. Die Erdbebensicherheit ist Sache des Bauingenieurs im Bereich der Statik. Sie wird gewährleistet, indem Gummipuffer (teuer) die Horizontalbeschleunigung aufnehmen und/oder im Gebäudekern sowie in den Fassaden entsprechende Aussteifungen erstellt werden.
  5. Die Sturmsicherheit einer Fassade ist für einen Architekten nicht wichtig. Man sieht das vor allen Dingen bei Sturmschäden in den USA, wo eine Klimaanlage wichtiger ist als eine gut funktionierende Wand, die nicht beim ersten Windstoss einbricht.
  6. Die Ökonomie bzw. der Preis einer Wand spielen für den Architekten eine untergeordnete Rolle. Würde der Architekt die Wirtschaftlichkeit beachten, hätte er unweigerlich eine Honorareinbusse in Kauf zu nehmen. Und wer will schon weniger verdienen in dieser garstigen Zeit?
  7. Die Erstellungszeit einer Wand muss kurz sein, weshalb herkömmliche Bautechniken nicht mehr verwendet werden können. Welcher Architekt sieht denn ein, dass ein Drei-Schicht-Aussenverputz drei Monate für den Erhärtungsprozess benötigt? Billige Schmiere wird mit billigen Hilfskräften des Generalunternehmers appliziert. Das ist für heutige Architekten zeitgemäss und profitabel.
  8. Die Wetterfestigkeit einer Fassade wird von heutigen Architekten vernachlässigt, denn die Wand muss so schnell wie möglich wieder kaputt gehen, damit wieder eine neue Wand für ein neues Haus erstellt und neues Architektenhonorar bezogen werden kann.
  9. Die Dauerhaftigkeit einer Wand ist die Schwester der Wetterfestigkeit. Kein Architekt ist daran interessiert, dass eine Wand drei bis vier Generationen hält. Im alten Rom wurde laut dem römischen Architekten Vitruv eine intakte Wand auch noch nach 80 Jahren als neu eingestuft. Aus diesem Grund sollte eine Aussenwand auch heute noch eine Dauerhaftigkeit von drei Generationen aufweisen.
  10. Die Wanddicke sorgt dafür, dass der Wärmefluss gegen aussen nicht linear, sondern exponentiell abfliesst. Je dicker die Wand, desto grösser ist die Verweilzeit von solar eingestrahlter Energie und desto weniger Heiz-Energie muss dem Gebäudeinnern zugeführt werden.
  11. Die Wärmespeicherfähigkeit ist der Bruder der Wanddicke, weil er hilft, das Beharrungsvermögen der Wärme in der Wand zu vergrössern. Wie bei der rotierenden Erdkugel sorgt die Wärmespeicherfähigkeit für einen thermischen Ausgleich in einer Aussenwand. Mit Flächengewichten von 700 kg bis 1000 kg pro Quadratmeter werden die besten Energie-Speicherwerte erzielt.
  12. Die Wärmedämmfähigkeit, genannt U-Wert, ist ein Materialwert der beschreibt, wie gross der Wärmefluss in einer Wand von innen nach aussen ist. Fälschlicherweise wird der U-Wert als gesetzlicher Wert zur Energieeinsparung verwendet (EnEV / SIA 380/1). Weil Aussen- oder Zwischendämmungen die solare Energieeinstrahlung unterbinden, sind Kunstharz-Schäume und Faserdämmungen für Wärmedämmungen ungeeignet. Die Architekten und Ingenieure haben es unterlassen, die Energie-Effizienz der U-Wert-Theorie zu überprüfen.

  13. Heute beliebte Plättli-Bauten können die Wärmeeinstrahlung nicht aufnehmen (Bild: Ausschnitt aus BaZ)

  14. Die Wärmeeindringgeschwindigkeit einer Wand ist materialabhängig. Mit ihr wird die solare Energieaufnahme berechnet. Frage nie einen Architekten, wie man diese thermische Wirkung berechnet, denn er weiss es nicht.
  15. Die Strahlungsaufnahmefähigkeit einer Wand wird im Wesentlichen durch die Farbe bestimmt. Weisse Wände haben eine hohe Strahlungs-Reflektion und nehmen deshalb wenig solare Energie auf. Die Unsitte, weisse Gebäude zu erstellen, ist eine Modeerscheinung von inkompetenten Architekten, die keine Heizenergie einspart. Da Architektur-Modelle in Weiss darzustellen sind, glaubt der Architekt, dass weisse Gebäude in der Realität die gleiche Wirkung erzielen würden. Weisse Gebäude sind ebenfalls ein Relikt der «Moderne».
  16. Die Wärmebrücken bei Fassaden gelten als hohe Energie-Verschleuderer. Niemand bedenkt, dass die Abwicklungen von Wärmebrücken auch erhöhte Einstrahlungs-Flächen bilden. Bis heute gibt es keine realen, experimentellen Untersuchungen von Wärmebrücken. Wärme fliesst nur von Warm nach Kalt, die von aussen einwirkende solare Strahlung bleibt unberücksichtigt. Würde man den Energieverbrauch der Wärmebrücken bei einem im «Jugendstil» erstellten Haus berechnen, so ergäben sich Verbrauchswerte jenseits aller Vorstellungen. Dennoch ist der Energieverbrauch dieser Bauten tatsächlich geringer als bei hochgedämmten Gebäuden in aktueller Bauart.
  17. Die Sorptionsfähigkeit ist eine Wandeigenschaft, welche durch die Kapillarität der verwendeten Materialien bestimmt ist. Die Sorptionskette von innen nach aussen: Papiertapete-Gipsverputz-Ziegel-Aussenputz mit Kalk, ist bis heute optimal. Gebäude mit dieser Sorptionskette benötigen zur Entfeuchtung keine Komfort-Lüftung. Da Faser- und Schaum-Dämmstoffe keine Kapillaren aufweisen, können sie auch kein Wasser von innen nach aussen transportieren, weshalb sie als Dämmstoff ebenfalls ungeeignet sind.

  18. Besonders problematisch ist der Klinker aus Polystyrol: 1 cm Klinker auf 16 cm Polystyrol. Beispiel Zentrum beim Bahnhof Schlieren ZH (Bild pb)

  19. Die Oberflächenstruktur einer Fassade mit Lisenen, Gewänden, Stürzen, Vor- und Rücksprüngen bestimmt, ob eine flache Wand infolge laminarer Luftströmung schnell auskühlt oder ob die Auskühlung bei einer strukturierten Wand mit turbulenter Luftströmung vermindert geschieht. Auch grobkörnige Putze wie z.B. ein Kellenwurf kann den Strahlungsgewinn infolge der vergrösserten Fassaden-Oberfläche verbessern.
  20. Die Schalldämmfähigkeit einer Wand steigt exponentiell mit der Wanddicke und dem spezifischen Gewicht des Wandmaterials. Es gelten die gleichen Erkenntnisse wie bei der Wärmespeicherfähigkeit (siehe Punkt 11). Plant ein heutiger Architekt eine Wand mit Polystyrol-Aussendämmung, hat er zu wissen, dass Resonanzen und Nebenweg-Übertragungen des Schalls den Wohn-Komfort in einem Gebäude drastisch beeinträchtigen können.
  21. Die Gesundheitsverträglichkeit einer Wand ist für den Menschen ein hohes Gut. Gips auf der Wand-Innenseite ist hygroskopisch und entfeuchtet den Raum optimal, wobei ein konventioneller 3-Schicht-Kalkverputz auf der Aussenseite für die aus dem Gebäudeinnern transportierte Entfeuchtung mit hoher Desorption sorgt, gleichzeitig Ungeziefer fernhält und den Algenbewuchs verhindert. Fassadenanstriche mit organischen Bindemitteln aus Kunstharzen vermindern krass die Gesundheitsverträglichkeit von Fassaden. Architekten sollten wieder lernen, wie anorganische Farben angewendet werden können.
  22. Die Diffusionsfähigkeit ist die Mutter der Sorptionsfähigkeit. Poren und Kapillaren sind für das Entfeuchtungssystem einer Wand zuständig. Drei Wassermoleküle bilden in einer Pore einen Tropfen Wasser, der mit dem raumseitigen Partialdruck über die Kapillaren an die trockene Aussenluft transportiert wird. Wie bei der Gesundheitsverträglichkeit behindern organische Farbanstriche die Diffusionseigenschaften einer Fassade.
  23. Die Feuersicherheit einer Wand wird durch das Verwenden nichtbrennbarer Baustoffe gesichert. Brennbare Dämmstoffe wie Holz, Kunststoff, Kunststoffschäume aus Polystyrol, Polyurethan, Phenolharz, Harnstoff etc. und auch mit Phenolharz gebundenen Mineralfasern sind zu vermeiden bzw. zu verbieten.
  24. Die Entsorgungsfähigkeit einer Wand sollte von Beginn an bei einer Planung beachtet werden. Jedes Gebäude wird irgendeinmal abgebrochen und sollte dann keine giftigen Stoffe in die Umwelt freisetzen. Der Architekt sollte schon bei der Planung an das Recycling seiner «freigesetzten» Stoffe denken, um die Ressourcen – z.B. Betonkies – zu schonen. Im Energiebereich einer Wand ist die Entsorgung von Ziegel problemlos, wogegen Kunststoffschäume wie Polystyrol sehr problematisch sind, weil diese verbrannt werden müssen.
  25. Die Nachhaltigkeit – Ökologie – ist ein viel gehandelter Begriff, welcher für eine Wand beschreibt, dass eine gute Investition länger halten soll als Ramsch. Deshalb ist ein Architekt dafür verantwortlich, dass die Dauerhaftigkeit der von ihm geplanten Bauteile gesichert ist. Die in Mode gekommenen Wände aus «isoliertem Pappendeckel», hochgedämmte Ständerkonstruktionen, «Glasschwarten-Bauten» etc. sind deshalb nicht nachhaltig.
  26. Die Gesamtenergiebilanz einer Wand wird durch die Energie-Verbrauchs-Leistung (EVL) in Watt pro Kubikmeter Gebäude und der gemessenen Temperaturdifferenz in W/m3K beschrieben. Allerdings wird es noch gefühlte hundert Jahre dauern, bis die Wissenschaft der Bauphysik diesen Wert verinnerlicht hat, obwohl dieser Norm-Wert bereits vor neunzig Jahren in ganz Europa als «Kennziffer» zu Vergleichszwecken bekannt war.
  27. Für den Energieverbrauch einer Wand oder eines Gebäudes – vor allem den spezifischen Energieverbrauch – interessieren sich weder Architekten noch der SIA noch die staatlichen Institutionen wie ETH, EMPA, UVEK inkl. BfE. Obwohl es seit 90 Jahren klare Vergleichsregeln gibt, wurden keine diesbezüglichen Versuche und aussagekräftigen Experimente gemacht, welche die aktuellen Energievorschriften in der Schweiz in der Realität bestätigen würden. Nicht einmal über Fenster existieren solche Versuche. Alles wird mit trivialen Formeln hingerechnet und das Resultat geglaubt.
    Ausser einem von mir mitfinanzierten EMPA-Versuch mit Nummer 136’788 aus dem Jahr 1994 gibt es in der Schweiz keine weiteren aussagekräftigen Messungen. Kommt hinzu, dass die EMPA bei dieser Grundlagen-Messung die gemessenen Vorteile des Versuches mit nicht validierten Berechnungsprogrammen weggerechnet hat.

    Allgemein wird der Energieverbrauch einer Wand durch die acht energierelevanten, vorgenannten Faktoren 10. bis 17. bestimmt. Wer sich für die mathematischen und physikalischen Grundlagen interessiert, findet sie HIER.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Paul Bossert ist diplomierter Bauingenieur, Architekt, Bauphysiker, Energie- und Bauschadenexperte. Er lebt und arbeitet in Basel.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.

Eine Meinung zu

  • billo
    am 7.10.2016 um 12:03 Uhr
    Permalink

    Sehr interessanter Artikel, danke!
    Ich frag mich so im Stillen, wie wohl 1966 im Aufbruch Italiens die Eisenbetonwand des Mehrfamilienhauses gebaut worden ist, hinter der ich jetzt wohne. Das liegt immerhin zwei Architektengenerationen zurück, der Verfall des Wissens bezüglich Hauswänden war damals vielleicht noch nicht so gross; andrerseits wurde das Haus zehn Jahre vor dem grossen Erdbeben erstellt, aus dem man im Friaul dann Konsequenzen im Bauen gezogen hat.
    Eisenbeton als Aussenhülle mag für ein sechstöckiges Haus baustatisch naheliegen, aber aus bauphysikalischer Sicht gibt es da wohl Fragezeichen. Feuchtigkeitsflecken an den aussenliegenden Zimmerwänden und Faradeikäfigeffekte bei der Handyverbindung nehm ich jedenfalls auch als Laie wahr…

Comments are closed.

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...