Aung_San_Suu_Kyi_17_11_2011

Der neue, starke "Mann" Myanmars: Aung San Suu Kyi © Wikipedia

Realpolitik – trotz Friedensnobelpreis

Peter G. Achten /  Aussenpolitik wird geprägt von Interessen, nicht von Freundschaft. Das Verhältnis Myanmar / China zeigt das beispielhaft.

Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi kämpfte mit Mut über zwei Jahrzehnte lang – meist im Gefängnis oder unter Hausarrest – für Menschenrechte und Demokratie. Nach langen Jahren im Ausland, unter anderem in Indien, Buthan und vor allem im englischen Oxford, war sie 1988 nach Burma zurückgekehrt, um ihrer schwerkranken Mutter beizustehen. Als Tochter von Unabhängigkeitsheld General Aung San konnte sie bei den ausbrechenden Studentenunruhen nicht beiseite stehen.

Suu Kyi erhob mächtig ihre Stimme für Demokratie und Menschenrechte. Die Generäle kartätschten die Demonstrationen brutal nieder. Mehrere Tausend Menschen starben. Wider Erwarten liessen die Militärs 1990 aber wählen. Die von Demokratie-Ikone Suu Kyi angeführte Nationale Liga für Demokratie (NLD) errang einen Erdrutschsieg. Die Uniformierten erklärten das Wahlresultat aber für null und nichtig.

Sanktionen

Die seit 1962 mit eiserner Faust regierenden Militärs liessen sich selbst durch die Mitte der 1990er-Jahre von den USA und der Europäischen Union verhängten Sanktionen nicht von ihrem Kurs abbringen. Bei den Wahlen 2010 – von der NLD noch boykottiert – galt Myanmar international als Pariah-Staat. Einige asiatische Staaten freilich suchten zumindest wirtschaftliche Kooperation, zumal die westlichen Staaten mit ihren Sanktionen ein weit offenes Feld hinterliessen. Vor allem die Nachbarn Thailand und Indien profitierten davon.

Der für die Militärs wichtigste Partner freilich war China. Das mächtige Reich der Mitte betrachtete seit Jahrhunderten Nachbarstaaten als tributpflichtig und fest in ihrem Einflussbereich. In neuester Zeit unterstützte Mao insbesondere während der Kulturrevolution (1966-76) die 1948 von den Kolonialisten unabhängig gewordene britische Kronkolonie Burma. Die heute nicht mehr existierende Kommunistische Partei Burmas hatte damals ihr Rückzugsgebiet in einem grossen Gebiet an der nordöstlichen Grenze zu China. Noch heute ist dort die Vereinigte Wa-Staat-Armee aktiv, gut und modern bewaffnet mit chinesischem, von Schmugglern geliefertem Kriegsgerät.

Effizienter Reformer

Seit den Wahlen von 2011 wird Myanmar von Zivilisten regiert. Freilich waren die meisten dieser Zivilisten früher auch Militärs, allen voran General Thein Sein, ein enger Vertrauter des ehemaligen Diktators, dem General Nummer 1 Than Schwe. Der jetzt in massgeschneidertem zivilen Tuch auftretende Präsident Thein Sein entpuppte sich als ziemlich effizienter Reformer. Er öffnete sich aussenpolitisch gegen Westen in der Absicht, die USA und EU zu überzeugen, die Sanktionen aufzuheben. Das unter den Militärs enge und freundliche Verhältnis zu China trübte sich ein. Die Beziehungen zu China, so meinen viele Militärs, seien zu eng, die wirtschaftliche Abhängigkeit zu gross. Präsident Thein Sein liess nach Demonstrationen der Bevölkerung die Bauarbeiten am Myitsone-Staudamm im Norden des Landes einstellen, einem 3,6-Milliarden-Dollar schweren burmesisch-chinesischen Gemeinschaftsunternehmen. Weitere chinesische Investitionsprojekte, u.a. auch die Letpadaung-Kupfermine in Mittel-Burma, wurden suspendiert. Die Folge: das Verhältnis zu Europa, den USA und Japan verbesserte sich schnell. Die Sanktionen wurden nach und nach aufgehoben.

«Über dem Präsidenten»

Bei den Wahlen im vergangenen Jahr errang die NLD dann einen überwältigenden Sieg. Doch Aung San Suu Kyi konnte wegen eines Verfassungsartikels nicht Präsidentin werden, da sie mit einem Ausländer verheiratet war und zwei Söhne mit britischer Staatsbürgerschaft hat. So wurde Suu Kyi Aussenministerin. Zudem wurde für sie der neue Posten eines Staatsrats geschaffen. Doch die Demokratie-Ikone liess schon vor dem Wahlsieg wissen, dass sie «über dem Präsidenten» stehe.

Auf ihren Auslandreisen wird Myanmars Staatsrätin und Aussenministerin denn auch wie ein Staatsoberhaupt empfangen. In den USA hatte sie natürlich alle Türen offen als mutige Verteidigerin der Menschenrechte und der Demokratie, kurz: der westlichen Werte. Präsident Obama, immer darauf bedacht, im Zuge seiner neuen Asien-Pazifik-Politik die richtigen Zeichen zu setzen, versprach enge, freundschaftliche Beziehungen. Doch was ist geographisch enger – näher – als Nachbarn?

Diskret

China hat seit je wirtschaftliche und strategische Interessen im südlichen Nachbarland. China reagierte nach der Verschlechterung der Beziehungen 2011 schnell und pragmatisch. Bereits vor dem Wahlsieg der NLD konnte Aung San Suu Kyi noch als Oppositions-Führerin ihre Aufwartung in Peking machen und wurde von Staats- und Parteichef Xi Jinping in der Grossen Halle des Volkes am Platz vor dem Tor des Himmlischen Friedens Tiananmen empfangen. Seit längerer Zeit ist Peking auch im innerburmesischen Friedensprozess zwischen Regierung, Militärs und den zum Teil bewaffneten Minderheiten diskret aber aktiv beteiligt. Ein hoher chinesischer Diplomat ist ständig unterwegs und vermittelt. Im August nun wurde Aung San Suu Kyi in Peking wie ein Staatsoberhaupt mit allen Ehren empfangen. Mit Xi Jinping wurde eine umfassende strategische Partnerschaft und Zusammenarbeit vereinbart. Mit Myanmar, so Xi, wolle man die Freundschaft, die gute Nachbarschaft als Freunde, Partner und Brüder weiterentwickeln.

Taten statt Worte

Mögen die Freundschaft noch so gross, die gemeinsamen Interessen noch so offensichtlich sein, den schönen Worten müssen natürlich Taten folgen. Die unterbrochenen Arbeiten am Wasserkraftwerk Myitsone sollen baldmöglichst wieder aufgenommen werden. China zählt auf burmesischen Strom, aber auch auf für Chinas Wirtschaft essentielle Bodenschätze, wie eben Kupfer aus der zurzeit stillgelegten Mine in Letpadaung. Strategisch ist Myanmar von ausserordentlicher Bedeutung. Zunächst als Horchposten in den Indischen Ozean. China betreibt zudem Öl- und Gaspipelines quer durch Burma in die südwestchinesische Provinz Yunnan. Damit kann die von der amerikanischen Marine überwachte Strasse von Malakka ins südchinesische Meer umgangen werden.

Kein Wort über Menschenrechte

Aung San Suu Kyi erwiderte die Höflichkeiten des chinesischen Präsidenten und lobte die «tiefe Freundschaft» zwischen beiden Völkern und Staaten. Die burmesische Staatsrätin weiss, dass für die wirtschaftliche Entwicklung und den Kampf gegen die grassierende Armut in ihrem Lande Chinas Hilfe unumgänglich ist. Im Mittelpunkt werden Landwirtschaft, Erziehung, Energie, Gesundheit, Wasser und Finanzen stehen. Auch im Friedensprozess mit den ethnischen Minderheiten entlang der gemeinsamen Grenze wird China ein gewichtiges Wort mitreden. Als Realpolitikerin indes verlor Suu Kyi, die Vorzeigefigur in Europa und Amerika für Bürgerrechte und westliche Werte, in Peking kein einziges Wort über Menschenrechte. Man stelle sich vor, ein Schweizer Bundesrat auf Peking-Reisli flüsterte den Medien nicht wenigstens zu, er habe «das Thema angesprochen»…

Beide Staaten haben sich schnell an die neuen Verhältnisse gewöhnt. Sowohl Staats- und Parteichef Xi Jinping als auch Aussenministerin und Staatsrätin Aung San Suu Kyi betreiben – nach gut asiatischem Brauch – eine pragmatische Aussenpolitik. Oder, um Wladimir Ilitsch Lenin zu paraphrasieren: Freundschaft ist gut, Interessen sind besser.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

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