Pestizid-Plan: Bauern dürfen noch lange giften
«Wir haben einen ganz wunderbaren Kompromiss gefunden», jubelte Eva Reinhard, stellvertretende Direktorin des Bundesamts für Landwirtschaft (BLW), Anfang Juli gegenüber Radio SRF, als das BLW den Aktionsplan zur Pestizid-Reduktion in die Vernehmlassung schickte. Und vom Bauernverband kam es wie aus der Pistole geschossen: «Der Schweizer Bauernverband unterstützt den Aktionsplan.» Auch Scienceindustries, der Lobbyverband der Pestizid-Industrie, äusserte sich auffallend wohlwollend: «Die Pflanzenschutzindustrie unterstützt Massnahmen für den sicheren und nachhaltigen Einsatz von Pflanzenschutzmitteln.» Diese positiven Verlautbarungen lassen aufhorchen. Sie sind ein weiterer Beweis für die gute Zusammenarbeit von BLW, Bauernverband und Pestizid-Industrie (siehe auch Infosperber: «Landwirtschafts-Amt im Netz der Pestizidindustrie»).
Skandalöse Nachsicht des Bundes
Mehrere Studien zeigen deutlich, dass die Pestizidbelastung vieler Flüsse und Bäche in der Schweiz über den vorgeschriebenen Grenzwerten liegt (siehe Infosperber: «Berner Wasseramt und Eawag schlagen Pestizid-Alarm»). Deshalb forderte der Nationalrat aufgrund eines Postulats der GLP-Nationalrätin Tiana Angelina Moser den Bundesrat auf, einen Aktionsplan Pestizide vorzulegen. Dieser Aktionsplan ist zur Zeit in der Vernehmlassung.
Beim Blick in den Aktionsplan fallen vor allem die sehr pestizidfreundlichen Zwischenziele auf. Sie zeigen, wieso die Interessenvertreter der Pestizid-Industrie und der Bauern allen Grund zur Freude haben können:
Zwischenziel 5.1: Reduktion der Anwendungen und Emissionen
«Die Anwendungen von PSM (Pflanzenschutzmittel bzw. Pestizide; Anm. d. Red.) mit besonderem Risikopotential werden bis 2026 um 30% gegenüber der Periode 2012 – 2015 reduziert. (…) Als PSM mit besonderem Risikopotential gelten PSM, die als hochgiftig, gesundheitsschädigend und/oder sehr giftig für Wasserorganismen mit langfristiger Wirkung eingestuft sind und als Rückstände in Lebensmitteln, bzw. in der Umwelt wiederholt Höchst- oder Anforderungswerte überschreiten.»
- Im Klartext: 70% der hochgiftigen und gesundheitsschädigenden Pestizide, welche die gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwerte wiederholt überschreiten, dürfen auch nach zehn Jahren weiterhin von der Pestizid-Industrie verkauft und von den Bauern angewendet werden.
Zwischenziel 5.5: Schutz der Gewässer
«Die Anzahl Abschnitte des Schweizer Fliessgewässernetzes mit Überschreitungen der numerischen Anforderungen an die Wasserqualität gemäss Gewässerschutzverordnung GSchV wird bis 2026 halbiert.»
- Im Klartext: In der Hälfte des Fliessgewässer-Netzes, in dem heute die Grenzwerte vorschriftswidrig überschritten werden, dürfen auch nach einer zehnjährigen Frist die Grenzwerte vorschriftswidrig überschritten werden.
Fazit: Die Pestizid-Industrie und die Pestizid-Bauern dürfen also mit dem Segen des Bundes die Schweizer Fliessgewässer noch lange vorschriftswidrig vergiften. Diese Nachsicht des Bundes ist skandalös! Umso mehr als die illegale Pestizid-Belastung vieler Schweizer Fliessgewässer bereits seit Jahren bekannt und wissenschaftlich gut belegt ist. Deshalb muss der Bund jetzt eine Frist von maximal drei Jahren setzen, innert der die Fliessgewässer pestizidfrei sind.
Geringes Problembewusstsein beim Bauernverband
Wie gering das Problembewusstsein beim Bauernverband ist, zeigt dessen Reaktion auf die Plakat-Aktion «Keine Pestizide in unseren Gewässern» von Pro Natura, die auf den offiziellen Zahlen des Bundesamtes für Umwelt (Bafu) und der eidgenössischen Forschungsanstalt (Eawag) basierte.
Der Bauernverband verurteilte diese Plakat-Aktion in einer Medienmitteilung vom 10. Mai 2016 «aufs Schärfste». Sie sei «inhaltlich einseitig, emotional aufgeladen und undifferenziert». Die Schweizer Landwirtschaft habe in den letzten Jahren «grosse Anstrengungen» unternommen, um «den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zu optimieren.» Beispielsweise unterstütze die Schweizer Landwirtschaft den Aktionsplan Pflanzenschutz des Bundes.
Wie oben gezeigt, lässt der Aktionsplan den Bauern in den nächsten zehn Jahren einen grossen Spielraum. Der Bauernverband hat also gar keinen Grund, diesen Aktionsplan abzulehnen. Vielmehr kann er sich über das erfolgreiche Pestizid-Lobbying die Hände reiben.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine
Ein aufschlussreicher Artikel, doch hätte ich gerne mehr Informationen zur konkreten Belastung einzelner Gewässer, z.B. des Bieler- und des Murtensees. Als Anwohnerin des Murtensees (Vully-Region) bekomme ich jährlich mit, wie intensiv die hiesigen Weinbauern Gift versprühen (ca. 10mal pro Saison). Nachfragen bei diversen Ämtern zur Belastung des Sees durch Pestizide und Herbizide führten zu keinem Ergebnis. Man verwies jeweils auf ein anderes Amt. Eine journalistische Recherche könnte hier womöglich Klarheit bringen.
Dass die Pestizidindustrie den Plan gutheisst, zeigt schon rein logisch, dass es sich nicht um einen ausgewogenen Kompromiss handeln kann, sondern dass die Industrie und die ihr hörigen Bauern und politischen Parteien ihre Interessen durchsetzen konnten.