Aktion hohle Hand: Das Netzwerk der Wasserkraft
Noch vor wenigen Jahren fuhren die Stromkonzerne Milliardengewinne mit der Wasserkraft ein und distanzierten sich vehement von Subventionen aller Art. Aber nachdem sie über 10 Milliarden Franken im In- und Ausland verspekuliert hatten, bettelten sie im eidgenössischen Parlament solange für finanzielle Unterstützung, bis dafür Mehrheiten vorhanden waren – gut getarnt als Nothilfe für die Wasserkraft.
Negative Wirkung auf die Kantonsfinanzen
Das Eingangstor für die Wasserkraft-Lobbyisten in Bundesbern ist der Ständerat, denn dort sitzen die Vertreter der Kantone, denen die Stromkonzerne und folglich die Wasserkraftwerke mehrheitlich gehören. Beispielsweise die 17 Kantone beziehungsweise Halbkantone, die an den beiden maroden Pumpspeicherwerken Nant de Drance im Unterwallis und Linth-Limmern im Kanton Glarus beteiligt sind: Zürich, Aargau, beide Appenzell, St. Gallen, Thurgau, Schaffhausen, Glarus, Zug, Wallis, Waadt, Genf, Freiburg, Bern, Neuenburg, Solothurn und Basel-Stadt. Allein die Ständeräte dieser Kantone ergeben eine satte Mehrheit im Ständerat.
Die finanzielle Krise der Stromkonzerne wirkt sich auch auf die Kantonsfinanzen aus, einerseits durch verminderte Einnahmen, andererseits durch Kapital-Spritzen. Deshalb haben die Ständeräte ein hohes Interesse an möglichst hohen Subventionen für die maroden Stromkonzerne. Deren direkte Subventionierung würde jedoch auf wenig öffentliche Zustimmung stossen. Deshalb konzentrierte sich die Stromlobby taktisch klug auf die indirekte Variante über die Subventionierung der Wasserkraft, die eine breite Akzeptanz geniesst.
«Form von institutionalisierter Korruption»
Ende März 2015 rollte die Energiekommission Urek des Ständerats den roten Teppich für die Wasserkraft-Lobbyisten aus, welche in einem Lobbypapier Milliarden-Subventionen für die Wasserkraft forderten, wie die «Rundschau» von SRF berichtete. Die Interessenvertreter der Strombranche hatten leichtes Spiel, denn sie trafen in der Kommission auf zahlreiche Ständeräte, die ihrerseits Interessenvertreter der Wasserkraft waren: Sechs der damaligen 13 Urek-Mitglieder sassen im Verwaltungsrat von Stromunternehmen, die an Wasserkraftwerken beteiligt sind: Axpo, Alpiq, Repower, KWO und EnAlpin.
Auch nach den Wahlen ist das Zahlenverhältnis in der Energiekommission gleich geblieben. Neu besetzen die Wasserkraft-Lobbyisten gar das Präsidium und das Vizepräsidium der Urek Ständerat, nämlich Werner Luginbühl (BDP BE; Kraftwerke Oberhasli KWO) und Roland Eberle (SVP TG; Axpo). Hinzu kommen: Martin Schmid (FDP GR; Repower, Engadiner Kraftwerke, Elettricità Industriale), Beat Vonlanthen (CVP FR; Forces motrices Hongrin-Léman, Groupe E, Präsident der kantonalen Energiedirektoren), Beat Rieder (CVP VS; Energieversorgung Talschaft Lötschen) und Werner Hösli (SVP GL; IG Kleinwasserkraftwerke Glarnerland).
Der grüne Genfer Ständerat Robert Cramer, der ebenfalls in der Energiekommission sitzt, hat diesen Wasserkraft-Filz gegenüber der «Rundschau» von SRF als «eine Form von institutionalisierter Korruption» bezeichnet.
Auch Nicht-Urek-Mitglieder im Ständerat lobbyieren für die Wasserkraft: Jean-René Fournier (CVP VS; Grande Dixence und Forces motrices de la Gougra), Stefan Engler (CVP GR; Grischelektra und EWD Elektrizitätswerk Davos), Josef Dittli (FDP UR; Kraftwerk Göschenen), Pirmin Bischof (CVP SO; AEK Energie), Germann Hannes (SVP SH; Elektrizitätswerk des Kantons Schaffhausen), Thomas Hefti (FDP GL; Kraftwerke Zervreila und SN Energie Glarus Süd) und Olivier Français (FDP VD; EOS Holding).
«Wirbelsäule Wasserkraft» in Aktion
Die eifrigen Kantons- und Stromlobbyisten versuchen logischerweise den finanziellen Schaden für ihre Kantone in Grenzen zu halten, gut orchestriert von den drei Interessenverbänden VSE (Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen), SWV (Schweizerischer Wasserwirtschaftsverband) und AVES (Aktion für vernünftige Energiepolitik Schweiz).
Professionell unterstützt werden die Lobbyisten im Hintergrund durch PR-Agenturen. Beispielsweise «Hirzel.Neef.Schmid.Konsulenten», die in einem vertraulichen Papier für den Alpiq-Konzern die PR-Strategie für die Wasserkraft wie folgt skizzierten:
«Über zwei Jahre intensive Lobbyarbeit ist es Alpiq gelungen, die Förderung der Wasserkraft gegen Wunsch und Willen von Bundesrat und Behörde via Parlament mehrheitsfähig in die Energiestrategie aufzunehmen. Dies gelang dank einer Allianz mit anderen Unternehmen in der ‚Wirbelsäule Wasserkraft‘ und in Kooperation mit Gebirgskantonen und Energiedirektoren.»
Die «Wirbelsäule Wasserkraft» besteht aus den Aktionären des Pumpspeicherwerks Nant de Drance, nämlich dem Alpiq-Konzern, den Industriellen Werken Basel (IWB) und den Forces Motrices Valaisannes (FMV). Der Bündner CVP-Ständerat Stefan Engler, der mit einem Vorstoss im Ständerat die Subventionierung bestehender Wasserkraftwerke lancierte, erklärte auf Anfrage, dass die PR-Agentur Hirzel.Neef.Schmid – «beauftragt von der Gruppe ‚Wirbelsäule‘» – das Ziel verfolgte, «mit diversen Massnahmen die bestehende Wasserkraft zu fördern». Dabei habe es «auch Kontakte mit Vertretern der Gebirgskantone und Parlamentariern» gegeben.
Flankenschutz durch «Weltwoche» und BaZ
Das Lobbying auf allen Kanälen begann bereits Anfang Oktober 2013. Willkommene Schützenhilfe erhielt die Stromlobby damals aus der rechtskonservativen Presse: Damals ritten die Basler Zeitung (BaZ) und die «Weltwoche» eine Breitseite gegen die Energiestrategie 2050 und gegen die Subventionen für die Solar- und Windenergie. Gleichzeitig warben die beiden SVP-nahen Blätter lautstark für die darbende Wasserkraft.
Des Rätsels Lösung: Dieselben Parolen verbreitete wenige Tage zuvor der Schweizerische Wasserwirtschaftsverband (SWV) im Restaurant Schmiedstube in Bern und Kurt Rohrbach, Vize-Präsident der BKW und Präsident des Verbandes Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE), auf dem Grimselpass.
Der Tenor war immer derselbe: Der günstige Solar- und Windstrom aus Deutschland drücke die Strompreise und gefährde die Rentabilität der Wasserkraft, insbesondere der Pumpspeicherwerke. Deshalb seien Öko-Subventionen aus dem Topf der kostendeckenden Einspeisevergütung (KEV) auch für grosse Speicher- und Pumpspeicherkraftwerke notwendig. Die gescheiterte Hunter-Strategie der Strombranche und die verspekulierten Milliarden wurden ausgeblendet.
Zwei Bundesämter sind Teil der Lobby
Während der VSE ein reiner Interessenverband der Stromunternehmen ist, kommt der SWV sozusagen «multikulturell» daher und ist ein Fallbeispiel für die Verfilzung der Stromwirtschaft mit den Verwaltungen des Bundes und der Kantone: Im SWV-Vorstand sitzen nämlich die Vertreter der Stromkonzerne Axpo, Alpiq, BKW, Repower und EnAlpin sowie die Beamten des Bundesamtes für Energie (BFE), des Bundesamtes für Umwelt (Bafu) und des Walliser Energiedepartementes einträchtig beisammen. Im Klartext: Wenn der SWV beim BFE für mehr Subventionen anklopft, lobbyiert das BFE bei sich selbst.
Präsidiert wird der SWV vom früheren SVP-Nationalrat und –Fraktionschef Caspar Baader, der über das Verwaltungsrats-Präsidium der Alpiq Hydro Aare mit der Stromwirtschaft verbandelt ist. Als Vizepräsident steht ihm ein weiterer Stromlobbyist zur Seite, nämlich der frühere Axpo-Manager Rolf W. Mathis, der in rund zwei Dutzend Strom-Verwaltungsräten sitzt, unter anderem ist er Präsident der Axpo-Tochter «Kraftwerke Linth-Limmern», der Bauherrin des gleichnamigen, milliardenteuren Pumpspeicherwerks.
Aggressiver Stosstrupp mit drei ParteipräsidentInnen
Neben dem VSE und dem SWV gilt die Aktion für vernünftige Energiepolitik Schweiz (AVES) als besonders aggressiver Stosstrupp der Strom-Lobby im National- und Ständerat. AVES-Präsident ist der neue SVP-Präsident Albert Rösti. Insgesamt 43 BundesparlamentarierInnen sind AVES-Mitglieder (SVP: 26; FDP: 12; CVP: 4; BDP: 1), darunter auch der CVP-Präsident Gerhard Pfister und die FDP-Präsidentin Petra Gössi.
Wie der VSE hat auch die AVES jahrelang gegen die Subventionierung des Solar- und Windstroms gewettert. Doch im Frühjahr wurde aus dem Saulus ein Paulus: Die AVES forderte nicht nur Subventionen für neue, sondern auch für bestehende Wasserkraftwerke durch Öko-Beiträge aus dem Topf der Kostendeckenden Einspeisevergütung (KEV).
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Dieser Artikel ist erstmals im Pro Natura Magazin 4/2016 erschienen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Kurt Marti war früher Geschäftsleiter, Redaktor und Beirat der Schweizerischen Energie-Stiftung (SES)
Bin ich richtig informiert, dass «man» gleichzeitig die Wasserzinsen – für viele kleine Berggemeinden eine wichtige Einnahme-Quelle – reduzieren will?