JeanMichelCina

Jean-Michel Cina: «Ich verzichte auf die Beantwortung Ihrer Fragen» © srf

Die andere Seite des neuen SRG-Präsidenten

Kurt Marti /  Tagesanzeiger und NZZ loben den neuen SRG-Präsidenten über den grünen Klee. Meine Erfahrungen als Walliser Journalist sind andere.

Der Tagesanzeiger hat sich im Wallis «umgehört» und «nur Gutes» über den frisch gewählten SRG-Präsidenten Jean-Michel Cina erfahren: «Ausgeglichen, kollegial, sachlich, zielstrebig, charmant – die positiven Beschreibungen nehmen kein Ende.» Und auch laut NZZ ist Cinas Beziehung zu den Medien «unverkrampft». Der «Kontakt zu den Medien» falle ihm «leicht».

In einem Interview mit Radio SRF gab Cina nach seiner Wahl sein Hurra auf die Medienfreiheit: Die SRG müsse «stark» bleiben, «weil sie auch ein Garant ist für eine unabhängige, freie Meinungsbildung und das ist in einer demokratisch fundierten Gesellschaftsordnung zentral. Das ist eigentlich das, was mich motiviert».

Doch wie steht es um die konkrete Motivation Cinas, wenn er nicht nur angenehme Fragen zu beantworten hat? Wie ist es wirklich um die «unabhängige, freie Meinungsbildung» bestellt, wenn seine Sonntagsreden verklungen sind und wenn es brenzlig wird?

Ich war zehn Jahre Redaktor der Oberwalliser Zeitung «Rote Anneliese» und meine Erfahrungen mit dem damaligen CVP-Nationalrat Jean-Michel Cina und Walliser Staatsrat unterscheiden sich wesentlich von den Einschätzungen von Tagesanzeiger und NZZ.

Beispiel 1: Cinas Wahl zum CVP-Fraktionspräsident

Anfang September 2002 wurde Cina von den Medien als Kronfavorit für das CVP-Fraktionspräsidium gehandelt. Insbesondere im CVP-Hofblatt «Walliser Boten» erklang eine Lobeshymne auf Cina, ohne dass darin ein brisanter Report der «Roten Anneliese» (RA) Erwähnung fand. Die RA hatte kurz zuvor aufgedeckt, dass Cina im Verwaltungsrat einer Firma auf den Cayman Islands sass, die an zwei weiteren Firmen auf den Steuerflucht-Inseln finanziell beteiligt war. Zudem war Cina Verwaltungsrat einer Firma, die über einen Partnerschaftsvertrag mit einer Cayman-Firma verbunden war.

Eine Woche vor der Wahl zum CVP-Fraktionspräsident wollte die RA vom Kronfavoriten Cina per Mail wissen, ob er sein Cayman-Mandat weiterhin behalte oder abzustossen gedenke. Cina, der sich heute als Verfechter der «unabhängigen, freien Meinungsbildung» outet, verweigerte der RA kurzerhand die Beantwortung dieser Frage. «Ihnen gebe ich keine Auskunft», liess er lapidar verlauten.

Zwei Tage später, am 18. September 2002, berichtete die NZZ:

Nach dieser Rückzugs-Ankündigung in der NZZ titelte die Oktober-Ausgabe der «Roten Anneliese»:

Um die damalige Cina-Affäre aus heutiger Sicht besser einschätzen zu können, sind zwei Aspekte wichtig: Erstens die damalige politische Wertediskussion der CVP und zweitens die haarsträubenden Ausreden Cinas (siehe dazu: «Ein Nationalrat flüchtet aus dem Steuerparadies» im Buch «Tal des Schweigens»).

Im Jahr 2001 war der Zuger CVP-Nationalrat und Nationalratspräsident Peter Hess wegen seiner Firmen in den Steuerfluchtoasen Panama und Virgin Islands unter Druck geraten. Hess räumte Fehler ein und gab die VR-Mandate ab, um sich als Präsident des Nationalrats halten zu können. Dann gründete die CVP die Gruppe «Ethik und Wirtschaft». Allen voran der damalige Walliser CVP-Nationalrat Jean-Michel Cina. Ziel der CVP-Gruppe war es, das hohe C beziehungsweise die sogenannten «christlichen Werte» hochleben zu lassen.

Trotz der CVP-Wertediskussion sah Cina in seinen Cayman-Verbindungen überhaupt kein Problem. Gegenüber der «Wochenzeitung» (WoZ) erklärte er:

«Was wir da machen, ist voll legal, und was rechtlich in Ordnung ist, ist für mich auch ethisch in Ordnung.»

In einem RA-Interview entlarvte Ulrich Thielemann, Wirtschaftsethiker an der Universität St. Gallen, diese Haltung als «Legalismus» und erteilte dem Rechtsanwalt Cina eine Lektion in Rechtsphilosophie:

«Die Gleichsetzung des rechtlich Zulässigen (des Legalen) mit dem ethisch Richtigen (dem Legitimen) nennt man Legalismus. Für den konsequenten Legalisten müsste das geltende Legalrecht, also Gesetze und Verordnungen, eigentlich tabu sein. Es dürfte aus seiner Sicht nie zu Gesetzesänderungen kommen. Im Parlament hätte er also nichts verloren. Denn jede Gesetzesänderung, jedes neue Gesetz besagt ja, dass das geltende Recht unzureichend oder gar verkürzt ist und das heisst letztlich ethisch unzureichend oder verkürzt.»

Ebenso fragwürdig waren die Behauptungen, die Cina damals in einem Leserbrief im WB zum Besten gab, nachdem ihn die Juso Oberwallis aufgefordert hatten, Rechenschaft über seine Cayman-Verbindungen abzulegen oder zurückzutreten. Schon am nächsten Tag schoss Cina unmanierlich scharf zurück, indem er den Juso «Dummheit» vorwarf und einen fragwürdigen Vergleich mit dem interkantonalen Steuerwettbewerb zog:

«Die absolute Dummheit der Juso geht aber so weit, dass sie Steueroptimierung für Drittkunden mit Steuerhinterziehung gleichsetzen. Sie haben in ihrem krampfhaften Übereifer nicht begriffen, dass Steueroptimierung bereits mit der Wahl des Firmensitzes und der Produktionsstätte erfolgt. Wenn eine Firma sich an einem steuergünstigen Ort in der Schweiz niederlässt, dann ist das eine Steueroptimierung. Wenn man seinen Wohnsitz in einer Gemeinde wählt, die steuergünstig ist, dann ist das eine Steueroptimierung.»

Diese Argumentation hielt der Wirtschaftsethiker Thielemann im Interview mit der RA für «ganz und gar nicht» statthaft:

«Der interkantonale Steuerwettbewerb ist ein Steuerleistungswettbewerb. Die BürgerInnen und Firmen zahlen dort ihre Steuern, wo sie auch Steuerleistungen in Anspruch nehmen, und die Kantone besteuern diejenigen Personen und Firmen, für die sie auch Leistungen erbringen. Die Verlegung eines pro-forma Firmensitzes in Staaten, die sich vor allem dadurch auszeichnen, dass sie Firmen und Personen die Verheimlichung von Kapitalien und Einkommen zwecks Steuerhinterziehung erlauben, widerspricht klar dem Grundsatz des Steuerleistungswettbewerbs. Die Staaten erhalten so, wie es die OECD formuliert, «Money for nothing». Und die Steuerpflichtigen entledigen sich auf illegitime Weise ihrer Steuerpflicht.»

Beispiel 2: Cinas Kandidatur für den Walliser Staatsrat

Im Frühjahr 2005 fanden die Walliser Staatsratswahlen statt. Deshalb stellte die RA dem CVP-Kandidaten Jean-Michel Cina die beiden folgenden Fragen:

  1. Sie haben im Herbst 2002 gesagt, Sie fänden die «Steueroptimierung» via Offshore-Länder «voll legal» und «ethisch okay». Finden Sie es tatsächlich richtig, wenn Firmen und Personen, die im Wallis wirtschaften bzw. arbeiten und leben, ihren Geschäfts- bzw. Wohnsitz auf den Cayman Islands haben, wo sie keine Steuern bezahlen müssen?
  2. Ulrich Thielemann, Wirtschaftsethiker an der Universität St. Gallen, hat Ihre Aussage «Was rechtlich in Ordnung ist, ist für mich auch ethisch okay» kritisiert. Er bezeichnete diese Haltung als «Legalismus», aufgrund dessen konsequenterweise keine Gesetzesänderungen mehr möglich wären. Wie nehmen Sie zu dieser Kritik Stellung?

Wie bereits drei Jahre zuvor verweigerte Cina die Beantwortung der RA-Fragen, und zwar mit der folgenden Erklärung:

«Wie Sie wissen, stehe ich für die Beantwortung von Fragen der Journalisten immer gerne zur Verfügung. Mindestens ebenso gerne führe ich das politische Streitgespräch, in dem gegensätzliche Standpunkte ausgetauscht und konstruktive Lösungen gesucht werden. Sie werden nicht überrascht sein, dass mich Ihre Form der Fragestellung, welche Ihnen letztlich als Plattform für tendenziöse und kaum haltbare Unterstellungen dienen wird, an Ihrer journalistischen Unvoreingenommenheit und Objektivität ernsthaft zweifeln lässt. Ich verzichte deshalb auf die Beantwortung Ihrer Fragen und danke für Ihr Interesse an meiner Person und insbesondere an meiner politischen Arbeit in Bern.»

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Kurt Marti war von 2000 bis 2010 Redaktor der Oberwalliser Zeitung «Rote Anneliese» und er ist Autor des Buches «Tal des Schweigens: Walliser Geschichten über Parteifilz, Kirche, Medien und Justiz», das im Jahr 2012 im Rotpunkt-Verlag erschienen ist.

Zum Infosperber-Dossier:

SRG_Dossier

Medien: Service public oder Kommerz

Argumente zur Rolle und zur Aufgabe der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft SRG.

Nationalratssaal_Bundeshaus

Parteien und Politiker

Parteien und Politiker drängen in die Öffentlichkeit. Aber sie tun nicht immer, was sie sagen und versprechen.

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2 Meinungen

  • am 7.07.2016 um 17:49 Uhr
    Permalink

    Faszinierend: Strotzt der Mann wirklich der massen vor Selbstzufriedenheit und wendet die «christlichen Werte» an wie andere Sonnenschutz 50+ oder baute er sich in seiner kleinen Walliser Welt kühl berechnend ein Mäuerchen gegen alles, was nicht seinen persönlichen Interessen diente?
    Wird er auch in seiner neuen Funktion ängstlich abwehren, was nicht in sein Bild passt? Fox News à la Wallis? – Wie beengend.

  • am 11.07.2016 um 21:44 Uhr
    Permalink

    Bei den Anlagefonds gibt es solche, die nach ethischen
    Richtlinien ihre Anlagen auswählen. Vielleicht
    sollte man dieses Entscheidungskriterium auch für
    Spitzenpolitiker einführen…

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