Der Schweizer Stromwirtschaft geht es glänzend
Der Reingewinn der Schweizer Stromwirtschaft im Jahr 2014 betrug 0,8 Milliarden Franken. Das zeigt die neuste, soeben veröffentlichte Elektrizitätsstatistik des Bundesamtes für Energie (die Wirtschaftsdaten fürs Jahr 2015 folgen nächstes Jahr). Diese Statistik basiert auf den Daten von 314 Elektrizitätsunternehmen, die 90 Prozent der Produktion und 80 Prozent der Stromverteilung im Inland erbringen.
Im Vergleich zum Jahr 2013 (2,5 Mrd. Fr.) ist der Gewinn 2014 zwar deutlich gesunken. Das rührt daher, dass die grössten Stromkonzerne Axpo und Alpiq zusammen 2014 einen Verlust von 1,6 Milliarden verbuchten, während sie im Jahr 2013 noch schwarze Zahlen schrieben.
Der langfristige Profit
Aussagekräftiger als die schwankenden Jahreszahlen ist die langfristige Entwicklung: In den letzten zehn erfassten Jahren (siehe Grafik) summierten sich die Gewinne der Schweizer Strombranche auf rund 21 Milliarden Franken.
Quelle: Elektrizitätsstatistik 2015 / Zusammenstellung: Guggenbühl / Grafik: «Südostschweiz»
In den zehn Jahren zuvor (von 1995 bis 2004) betrug die Gewinnsumme nur 9 Milliarden. Damit hat sich die Gewinnsumme im jüngsten Jahrzehnt mehr als verdoppelt.
Im Durchschnitt der letzten zehn Jahre resultierte damit ein Jahresgewinn von 2,1 Milliarden Franken. Zum Vergleich: Alle Stromkonsumenten in der Schweiz verbrauchen pro Jahr knapp 60 Milliarden Kilowattstunden (kWh) Strom und zahlen dafür im Schnitt 16 Rappen/kWh. Das ergibt Stromkosten von total 9,6 Milliarden. Der Anteil des Gewinns an den Zahlungen der Endverbraucher beträgt damit stolze 22 Prozent.
Allerdings: Eine Kilowattstunde Strom wird zwischen dem Kraftwerk und der Steckdose mehrmals gehandelt und fakturiert. Darum ist der jährliche Umsatz der Strombranche heute rund viermal so hoch wie die Kosten der Endverbraucher. Entsprechend kleiner ist die Rendite gemessen am Umsatz.
Gewinne mal hier, mal dort
Beim Anblick des stolzen Gewinns reibt der Leser die Augen und fragt sich: Irren Analysten und Medien, die eine «Stromkrise» diagnostizieren? Stimmt es nicht, dass die Preise im europäischen Strommarkt seit 2010 unter die Produktionskosten der Schweizer Atom- und Wasserkraftwerke fielen?
Doch, das stimmt, aber mit zwei wesentlichen Einschränkungen:
Erstens besteht die Strombranche nicht nur aus produktionsstarken Konzernen wie Axpo, Alpiq, BKW oder Repower. Es gibt auch Händler (Axpo und Alpiq treiben ebenfalls Handel) und viele kantonale und kommunale Verteilwerke mit wenig oder ohne Eigenproduktion. Diese Händler und Endverkäufer profitieren, wenn die Marktpreise tief sind. Denn sie können den Strom auf dem europäischen Markt billig einkaufen und in ihrem Verteilgebiet zu höheren Monopoltarifen an Haushalte und andere im Monopol gefangene Kleinkonsumenten verkaufen. Dazwischen stehen Unternehmen wie die Berner BKW, die Innerschweizer CKW oder die Stadtwerke von Zürich, Bern und Basel, die Strom produzieren, damit handeln und zudem in der Endverteilung tätig sind.
Dabei besteht eine klare Korrelation: In den Jahren 2005 bis 2008, als die Marktpreise noch hoch waren und die produktionslastigen Konzerne Axpo und Alpiq hohe Gewinne verbuchten, lag die Gewinnsumme der übrigen Strombranche unter der Milliarden-Grenze. Ab 2009, als die Marktpreise und Gewinne von Axpo und Alpiq schrumpften und sich später zu hohen Verlusten wandelten (2011, 2012 und 2014), stiegen die Jahresgewinne der übrigen Stromunternehmen über die Grenze von einer Milliarde Franken.
«Stromkrise» – wo denn?
Die zweite Relativierung: Unter den tiefen Marktpreisen leiden nur jene Stromkonzerne, die einen wesentlichen Teil ihrer Überproduktion auf dem europäischen oder auf dem halb geöffneten Schweizer Strommarkt verkaufen müssen. Dazu gehören Axpo, Alpiq sowie die Bündner Repower. Weniger stark betroffen sind wie erwähnt die BKW, CKW oder produzierende Stadtwerke mit eigener Endverteilung.
Selbst die mittleren Exporterlöse und Marktpreise innerhalb der Schweiz sind heute noch deutlich höher als die viel erwähnten «drei Rappen» pro kWh, welche die um Subventionen bettelnde Stromlobby gerne ins Feld führt (siehe Kasten unten).
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Zudem lässt sich der regulierbare Strom aus alpinen Wasserkraftwerken in Spitzenstunden teurer verkaufen als Bandstrom rund um die Uhr, wie ihn Atom-, Kohle- und teils Gaskraftwerke erzeugen.
Aus diesen Gründen müssten heute nicht die Besitzer von – mehrheitlich alten – Schweizer Wasserkraftwerken Subventionen bekommen, wie sie das Parlament im Rahmen der Energiestrategie kürzlich beschlossen hat, sondern die Eigentümer von unrentablen Atom-, Gas- und Pumpspeicher-Kraftwerken im In- und Ausland. Doch in der eng verfilzten Schweizer Strombranche sind das dieselben Unternehmen. Kommt dazu: Wasserkraft geniesst politisch mehr Akzeptanz als Atom- und Gaskraft.
Hohe Dividenden und Reserven
Bleibt die Frage, wie die zehnjährige Gewinnsumme von 21 Milliarden Franken verwendet wurden. Auch diese Daten lassen sich aus der Elektrizitätsstatistik herausdestillieren:
● Rund neun Milliarden Franken flossen als Dividenden und Tantiemen an die Eigentümer, also vorwiegend an Kantone und Gemeinden (90 Prozent des Kapitals der Schweizer Elektrizitätsunternehmen gehört der öffentlichen Hand). Diese Dividenden, die vorwiegend im Mittelland ausgeschüttet werden, sind etwa doppelt so hoch wie die Wasserzinsen, welche Gemeinden und Kantone vorwiegend im Berggebiet als Entschädigung für ihre Wasserkraft erhalten. Trotzdem fordert die Stromlobby heute eine Senkung der Wasserzinsen.
● Zwei weitere Milliarden landeten als «Ablieferung» ebenfalls bei Staat und Gemeinden; dies exklusiv Steuern und Wasserrechtsabgaben.
● Mehr als sechs Milliarden gelangten als zusätzliche Reserven in die Bilanzen der Strombranche. Das verhalf der Stromwirtschaft zu fetten Polstern. So konnten die erfassten Stromunternehmen ihr Eigenkapital (2014: 29,6 Mrd. Fr.) annähernd verdoppeln, und ihr Eigenkapital-Anteil an der Bilanzsumme wuchs von 30 auf 37 Prozent.
● Drei Milliarden bleiben als Gewinnvortrag in den Erfolgsrechnungen.
Und das Fazit aus den harten Zahlen: Eine Branchenkrise sieht anders aus.
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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine.