AIIB: Lean, clean and green …
Jin Liqun, der Präsident der Asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank (AIIB), sagte neulich vor Journalisten am Sitz in Peking, die Infrastruktur-Bank wolle ihre Kritiker nicht mit Worten, sondern mit Leistung überzeugen. Die Bank sei auch keine Bedrohung für die andern multilateralen Entwicklungsbanken. Im Gegenteil. Bereits jetzt, nur knapp ein halbes Jahr nach Geschäftsbeginn, verlaufe die Zusammenarbeit mit andern Banken reibungslos.
«Strategisch wichtig»
Mit der Weltbank (WB) und der Asiatischen Entwicklungsbank (ADB) zum Beispiel werde bei der Finanzierung von Infrastruktur weltweit kooperiert. Auch mit der von der EU betriebenen Europäischen Investitionsbank (EIB) sei man Ende Mai übereingekommen, die Zusammenarbeit bei Investitionen in «strategisch wichtige» Projekte auszuweiten. EIB-Präsident Werner Hoyer meinte denn auch, solche und ähnliche Partnerschaften dienten dazu, Herausforderungen zu bewältigen, welche eine einzelne Institution alleine nie stemmen könnte. Auch Weltbank-Präsident Jim Yong Kim gab sich angesichts der AIIB-Gründung gelassen. Der Investitionsbedarf in Infrastruktur sei in Entwicklungs- und Schwellenländern derart gross, so Kim, dass neue Organisationen höchst willkommen seien.
So soll nach chinesischer Auffassung die AIIB eine Plattform für Kooperation und Koordination in der internationalen Wirtschaftsarena sein anstatt nur ein simples Finanzinstrument für Infrastrukturprojekte. «Wir sind für alle Ideen offen, woher sie auch kommen mögen», sagte Jin Liqun, «und das wird gut sein für die AIIB und ihre Mitglieder.» Für die AIIB-Mitgliedschaft sei das «Tor offen für alle» gewesen und werde das auch in Zukunft bleiben. Bis Jahresende, hofft Jin, werde die Zahl der Mitglieder auf gut 100 ansteigen. Das AIIB-Kapital beläuft sich derzeit auf 100 Milliarden Dollar, was zwei Dritteln der ADB- und der Hälfte der WB-Kapitalisierung entspricht. An den 100 AIIB-Milliarden ist China mit 26 Prozent beteiligt, gefolgt von Indien, Russland und Deutschland.
Globale Machtverhältnisse
Vor drei Jahren, kurz nach Amtsantritt von Staats- und Parteichef Xi Jinping, lancierte China die Idee einer Asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank. Diese Idee fügte sich nahtlos in den von Xi erdachten «chinesischen Traum» zur «Wiedererstarkung der Nation» sowie der Wiederbelebung der Seidenstrasse zu Wasser und zu Land zum Wohle der Menschen auf dem Eurasischen Kontinent und darüber hinaus. Aus der Sicht Pekings nämlich dominieren die Amerikaner, Japaner und Europäer die Bretton-Woods-Institutionen IWF (Internationaler Währungsfonds), Weltbank sowie Asiatische Entwicklungsbank. Diese Institutionen, gegründet vor 70 Jahren am Ende des II. Weltkrieges, widerspiegelten nicht die aktuellen globalen Machtverhältnisse. In der ADB beispielsweise verfügten die USA und ihr Verbündeter Japan über 26 Prozent der Stimmrechte, während China gerade mal auf 5,47 Prozent komme. Auch die Reformen innerhalb der Bretton-Woods-Institutionen, bemängelten die roten Mandarine, kämen nur langsam voran.
Expansion und Vorherrschaft?
Die USA reagierten auf die AIIB-Gründung umgehend ablehnend, ja, aggressiv, mit dem Argument, China strebe sowohl geopolitisch als auch finanz- sowie wirtschaftspolitisch nach Expansion und Vorherrschaft. Diese Argumentation wurde ohne Überprüfung der Fakten von den westlichen Leitmedien, auch in der Schweiz, kritiklos übernommen. Dem wirtschaftlich erstarkten China ist mit der Gründung der AIIB jedoch finanz- und entwicklungspolitisch ein globaler Coup gelungen. Dieser lässt sich als Zeichen der sich abzeichnenden neuen Weltwirtschaftsordnung interpretieren. Seit dem Ende des II. Weltkrieges hat sich das wirtschaftliche und politische Zentrum langsam vom atlantischen in den pazifischen Raum verlagert. Während die USA als pazifische Macht das begriffen haben, tut sich Europa damit immer noch schwer. Bei der AIIB-Gründung allerdings signalisieren die Europäer ein Umdenken.
Längere Zeit bemühte sich das Weisse Haus, seinen engsten europäischen Verbündeten, Grossbritannien, davon abzuhalten, AIIB-Gründungsmitglied zu werden. Vergeblich. Diplomatischer Druck aus Amerika verpuffte auch bei andern westlichen Staaten. Mittlerweile zählen Neuseeland, Australien, Südkorea, Brasilien, Indien, Russland, Südafrika, aber auch die US-Verbündeten Deutschland, Frankreich, Italien, ja, selbst die Schweiz, Luxemburg und Österreich zu den Gründungsmitgliedern.
Hohe Standards
In der Zwischenzeit sind die Amerikaner etwas flexibler geworden. Aussenminister John Kerry spricht sich inzwischen «grundsätzlich» für die von China gegründete Bank aus: «Wir begrüssen die AIIB und ermutigen sie, Projekte mit bestehenden Institutionen wie Weltbank und Asiatische Entwicklungsbank gemeinsam zu finanzieren.» Aber die Bank, so fügte Kerry hinzu, müsse sich an die hohen Standards für globale Finanzinstitutionen halten. Dazu gehören etwa Transparenz, Einhaltung von stringenten Sozial- und Umwelt-Standards sowie Rechenschaftspflicht und ein Beschwerde-Mechanismus. «Mindestens auf Weltbank-Niveau», hiess es dazu in den Debatten im Deutschen Bundestag bei der Verabschiedung der deutschen AIIB-Mitgliedschaft.
Wie AIIB-Präsident Jin Liquen vor Journalisten in Peking beteuerte, werde «nachhaltige Entwicklung, Umweltschutz und Transparenz» bei der Projekt-Finanzierung durch die AIIB ganz gross geschrieben. Jin brachte es, auf Neu-Deutsch formuliert, markant auf den Punkt: «Lean, clean and green». Von Umweltorganisationen, aber auch von westlichen Politikern wird kritisiert, die AIIB sei noch weit davon entfernt, diese Kriterien zu erfüllen. Allerdings hört man jeweils von denselben Kritikern wenig bis nichts, wenn es um verschleierte Transparenz sowie fragwürdige Umwelt- und Sozialstandards bei Projekten der Weltbank oder der Asiatischen Entwicklungsbank geht.
Enorme Investitionen
Für den Ausbau der Infrastruktur in Asien, aber auch etwa in Afrika, braucht es enorme Investitionssummen. Nach Schätzungen der Asiatischen Entwicklungsbank sind auf absehbare Zeit allein in Asien mehrere Billionen Dollars für eine ädaquate Infrastruktur nötig. Es braucht den Ausbau von Flughäfen, Container-Terminals, Tiefseehäfen, Öl- und Gas-Pipelines, Telekommunikation, Autobahnen, Energie und vor allem Unterhalt sowie Weiterentwicklung des interkontinentalen eurasischen Schienennetzes. Der Investitions-Bedarf ist enorm. Nur ein Beispiel: Allein in Indonesien veranschlagt die Regierung die Investitionen zur Verbesserung der maroden Infrastruktur auf eine halbe Billion Dollar. Oder: Nach Schätzungen der von Japan geführten ADB sind bis 2020 jährlich 750 Milliarden Dollar für Infrastruktur nötig. Die ADB ist bei solchen Summen überfordert, vergab sie doch 2012 nur Kredite im Wert von 7,5 Milliarden.
Multipolare globale Struktur
In den westlichen Hauptstädten und von Medien wird seit Längerem die Frage gestellt, ob denn die AIIB-Gründung eine eigene, neue Version der Bretton-Woods-Institutionen sei. China, so hiess es, suche die Hegemonie nun auch in internationalen Finanz-Fragen. Ist das der Anfang vom Ende der globalen Dollar-Vorherrschaft, raunten fragend die überforderten Finanz-Analysten von Frankfurt, Zürich, London oder New York .
Unterdessen ist die Beteiligung Chinas an der künstlichen Währung, den IMF-Sonderziehungsrechten, Tatsache. Neben dem Dollar, dem Euro, dem britischen Pfund und dem japanischen Yen wird auch die chinesische Volkswährung Yuan Renminbi Teil des Währungskorbes. Das ist natürlich noch nicht das Ende der Dollar-Weltherrschaft, aber der Anfang vom Ende beziehungsweise der Übergang zu einer multipolaren globalen Struktur.
Gotthard-Tunnel
Die AIIB-Gründung kann auch als Verlängerung des chinesischen Wachstumsmodells seit Beginn der Reform Ende 1978 angesehen werden. Langfristiges Wirtschaftswachstum, so Reform-Übervater Deng Xiaoping, kann nur mit systematischen und breit gestreuten Infrastruktur-Investitionen erreicht werden. Doch ein solches Wachstumsrezept ist ja nicht genuin chinesisch. Das zeigte schon die industrielle Revolution in England vor über 200 Jahren. Entwicklung und Ausbau der Infrastruktur in Amerika sowie Europa seit Mitte des 19. Jahrhunderts bis heute kamen stets der Wirtschaft und dem Handel zugute. Siehe etwa die massiven Investitionen in den längsten Tunnel der Welt …
China allerdings ist derzeit nach über 35 Jahren erfolgreichem Reform-Wachstum in einer delikaten Lage und befindet sich im Übergang von einer einseitig export- und investitionsorientierten Wirtschaft hin zu einem offeneren Wirtschaftsmodell mit mehr Binnennachfrage, Konsum, Innovation und umweltverträglichem Wachstum. Um den «chinesischen Traum» zu erfüllen, müssen deshalb Staats- und Parteichef Xi Jinping und Premierminister Li Kejiang jetzt eine ausgeklügelte Balance finden.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Peter Achten arbeitet seit Jahrzehnten als Journalist in China.