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Sandra Maischberger, Alice Schwarzer, Murat Kayman, Samuel Schirmbeck (v.l.n.r.) © ARD

Überdruck und andere einfache Erklärungen

Jürgmeier /  «Maischberger»: Mann, Muslim, Macho. 4 M, die Frage «Was hat das mit dem Islam zu tun?» und die Verführung einfacher Erklärungen

JournalistInnen werfen PolitikerInnen gerne vor, sie versuchten, mit einfachen Lösungen WählerInnenstimmen zu gewinnen. Weil PolitikerInnen glauben, dass wir BürgerInnen es gerne einfach haben. Sie nennen das, zu Recht, populistisch. Manchmal allerdings erliegen JournalistInnen ihrerseits der Verführung einfacher Erklärungen. Weil sie unterstellen, ihre LeserInnen, ZuhörerInnen oder ZuschauerInnen hätten es gerne einfacher, als es ist.

Zum Beispiel der ehemalige ARD-Journalist Samuel Schirmbeck, der sich am Mittwochabend, 11. Mai 2016, zu später Stunde bei Maischberger der Mathematik des Über&Unterdrucks hingibt. Oder Jan Fleischhauer, der am Dienstag derselben Woche in seiner Kolumne auf Spiegel online überraschend enthüllt, die «Brüderle-Affäre» sei «die Geburtsstunde des Rechtsrucks» und damit der Alternative für Deutschland AfD & Pegida gewesen.

«…keinen Chef, der seiner Sekretärin nicht an den Hintern gefasst hätte»

Es wäre viel zu einfach, Samuel Schirmbeck – der sich an diesem x-ten Islam-Palaver wohl auch deshalb beteiligt, weil im Oktober sein Buch «Der islamische Kreuzzug und der ratlose Westen» erscheint – in irgendeine rechte & rassistische Ecke zu stellen, was ihm auch schon mal passiert und ihn, vermutlich, zu Recht empört. Der langjährige Nordafrika-Korrespondent – der immer wieder auf seine islamischen FreundInnen verweist – besteht auf der Notwendigkeit einer differenzierten und «selbstbewussten Islamkritik».

Es steht einem wie mir – der in seinem Leben nicht über den nordwestlichen Rand von Europa hinausgekommen ist, und auch dahin nur in den Sommerferien – nicht zu, ihm zu widersprechen, wenn er schildert, was er auf algerischen Strassen & Plätzen gesehen und dass ihn der Kölner Silvester 2015/2016 daran erinnert. Obwohl das, was der Philosoph Slavoj Žižek in einem Interview mit Zeit online am 8. April 2016 sagt, auch auf andere Situationen zutrifft: «Ich glaube kein Stück, dass diese armen Menschen in Syrien ein besseres Verständnis des Konflikts haben. In Syrien herrscht Krieg. Der beste Ort, um das Muster zu verstehen, ist aus der Distanz.» Samuel Schirmbeck war da und plädiert aufgrund seiner Erfahrungen für eine Islamkritik, die Muslime nicht angreife, sondern schütze – «vor seinen menschenverachtenden Auswüchsen, die sich gegen Frauen, Homosexuelle, eigenständig Denkende und sogenannte Ungläubige richten, also auch gegen Millionen von Musliminnen und Muslimen».

Allerdings: Das, was er im Talk bei Sandra Maischberger daherredet, differenziert zu nennen, gliche dem Versuch, aus dem Oktoberfest ein feministisch-philosophisches Seminar zu machen. Etwas stutzig macht bereits sein flapsiger Hinweis darauf, wie es in (seinem) Deutschland vor 1968 zugegangen sei: «Da hatten wir auch solche Verhältnisse, da gab es praktisch keinen Chef, der seiner Sekretärin nicht an den Hintern gefasst hat.» Die 68erInnen werden es ihm danken, dass er ihnen, ohne es explizit auszusprechen, die Beendigung sexueller Belästigung am Arbeitsplatz zuschreibt. Die Chefs des deutschen Wirtschaftswunders müssen sich, mehr oder weniger zu (Un-)Recht, pauschal in die Grabscherecke gedrängt fühlen. Und nicht nur Frauen werden sich fragen, wer ihnen denn in den Jahrzehnten danach sexuelle Gewalt in unterschiedlichster Form angetan. Die Nordafrikaner waren es nicht.

«Der Überdruck und der Unterdruck erzeugen diese Übergriffe»

Wirklich simpel wird es, als er das Umfeld beschreibt, das es «bestimmten Männern, die dazu neigen, erleichtert, so etwas zu machen.» Gemeint sind sexuelle Übergriffe & Gewalt – von Afrika bis Köln. Zu diesem kulturellen Kontext gehöre zum einen das Frauenbild des Islam, «das ich ein sehr erniedrigendes Frauenbild finde». Zum anderen das Verbot des sexuellen Verkehrs vor der Ehe. «Da entsteht ein wahnsinniger Sexualdruck. Stellen Sie sich doch mal diese 14-jährigen Typen vor, die höchstens mit 25 heiraten können, was die drauf haben. Sie haben einen sexuellen Überdruck, und Sie haben eine unterrepräsentativ geschützte Frau – der Überdruck und der Unterdruck erzeugen diese Übergriffe. Das können Sie sich mathematisch ausrechnen.» Da müssen Männer ja zu Vergewaltigern werden. Will er, vermutlich, sagen.

Konfrontiert mit eingeblendeten Koran&Bibel-Zitaten, räumt er ein, die Bibel sei «Frauen gegenüber genauso furchtbar wie der Koran». Den Satz «Der Mann ist nicht geschaffen um der Frau willen, sondern die Frau um des Mannes willen» kann oder will auch er nicht der Bibel oder dem Koran zuordnen. Er steht im 1. Korinther 11. Im Koran finden sich dafür die Aussagen «…die Männer stehen eine Stufe über ihnen» (Sure 2, 228) oder «Und wenn ihr fürchtet, dass … Frauen sich auflehnen, dann vermahnt sie, meidet sie im Ehebett und schlagt sie!» (Sure 4, 34). Das Frauenbild ihrer jeweils Heiligen Schrift können sich die beiden Religionen gegenseitig um die Ohren schlagen.

Die Sternstunde SRF «Erlaubt oder verboten? Sex vor der Ehe in den Weltreligionen» am 11. Mai 2014 dokumentiert, dass in Hinduismus, Islam, Judentum und Katholizismus Sexualität vor der Ehe verboten ist. Nur die Vertreterin der Reformierten nimmt zu dieser Frage nicht eindeutig Stellung und erklärt: «Christen und Christinnen leben nicht aus Gesetzlichkeit, sondern aus Freiheit und Liebe.» Der sexuelle «Überdruck» aufgrund der Diffamierung von vor- beziehungsweise ausserehelicher Sexualität als «Unzucht» ist also keine Spezialität des Hauses Islam. Unterschiedlich ist – darauf weist Samuel Schirmbeck zu Recht hin – der Einfluss religiöser Gebote auf ihr jeweiliges gesellschaftliches Umfeld. Das gilt allerdings auch innerhalb derselben Religion, in verschiedenen Ländern beziehungsweise Regionen (z.B. Stadt/Land).

Von Dampfkochtöpfen und Niedergarpfannen

Alice Schwarzer – von ihr erscheint in diesen Tagen das Buch «DER SCHOCK – die Silvesternacht von Köln» – wird es bei den druck-vollen Ausführungen von Schirmbeck etwas unheimlich geworden sein. Aber um das Vorstandsmitglied der Ditib (Türkisch Islamische Union der Anstalt für Religion e. V.) in Nordrhein-Westfalen gemeinsam mit Schirmbeck in die Zange nehmen zu können, beisst sie sich vermutlich auf die Zunge und beschränkt sich auf den Hinweis, dass es an diesem von vielen Seiten instrumentalisierten Kölner Silvester nicht um Sexualität, sondern um Machtdemonstrationen gegangen sei. Murat Kayman seinerseits macht es sich mit der These, sexuelle Übergriffe & Gewalt von Muslimen hätten mit dem Islam nichts tun, ebenso einfach wie jene, die keinen Zusammenhang von sexueller Ausbeutung Minderjähriger durch Priester, Diakone, Ordensangehörige usw. und dessen katholischem Umfeld sehen wollen.

Der Überdruck bei Schirmbeck ist gross, immer wieder weist er auf das Verbot des vorehelichen Geschlechtsverkehrs und seine Folgen hin, zum Beispiel auf die «ratternden Reparaturmaschinen von Jungfernhäutchen». Was als Islamkritik gedacht war, entpuppt sich am Ende nicht nur als allzu einfache Erklärung, sondern als altbekannte – und von Feministinnen seit Jahrzehnten bekämpfte – Rechtfertigung sexueller Gewalt. Die Vorstellung männlicher Sexualität als Dampfkochtopf – bei Frauen wäre es gemäss dieser Logik dann wohl eine Niedergarpfanne – liegt auch dem (sogar von Frauen) oft gehörten Satz zugrunde: Besser Männer gehen zu Prostituierten als Frauen zu vergewaltigen. Eine einfache Lösung für Überdruck.

Der Herrenwitz als Partei-Erzeuger

Einfach ist auch Jan Fleischhauers Antwort auf die Frage, die viele in Deutschland – und in anderen Ländern umtreibt –, die Frage nach den Ursachen «des Rechtsrucks, der nun allenthalben für Aufsehen sorgt» (Spiegel online, 10.5.2016). «Wenn es einen Moment gibt», schreibt er, «an dem die neue soziale Bewegung ihren Ausgang nahm, deren sichtbarster Ausdruck die AfD ist, dann in der Brüderle-Affäre … Am Anfang steht die gesellschaftliche Vernichtung eines Mannes, der einer Frau ein zweifelhaftes Kompliment gemacht hatte …» Fleischhauer denkt das nicht als Möglichkeit, nicht mit Fragezeichen, sondern als Fakt – Punkt. Im Klartext: Hätte der damalige Spitzenkandidat der deutschen FDP Rainer Brüderle zur Reporterin Laura Himmelreich nicht gesagt «Sie können ein Dirndl auch ausfüllen», und hätte der Stern Ende Januar 2013 deren Artikel «Der Herrenwitz» nicht als Titelgeschichte veröffentlicht – es gäbe weder AfD noch Pegida.

Viele AfD-WählerInnen seien «es einfach leid, dass aus jedem Ausrutscher ein Skandal gemacht wird, weil irgendwelche Antidiskriminierungsaktivisten den Alarmknopf drücken». AfD- und Pegida-Demonstrationen als Überdruck-Reaktionen? Weil Herrenwitze als das bezeichnet werden, was sie sind – Sexismus? Weil es nach wie vor ein Deutschland gibt, «dem Politiker, die Weinköniginnen um sich versammeln, näherstehen als Studentenräte, die dafür kämpfen, dass überall dort, wo bislang das Binnen-I stand, jetzt ein Unterstrich steht»? Weil mann (und frau) keine sexistischen Sprüche mehr machen kann, ohne mit Reaktionen rechnen zu müssen? Weil die «Advokaten der diskriminierungsfreien Sprache» gerne hätten, dass wir Lehrerinnen und Lehrer sagen oder gar Fischer*innen schreiben? Deshalb haben Menschen das Gefühl, «dass die Welt aus den Fugen ist»? Lupft es Zehntausenden den Deckel? Gründen sie die AfD, gehen gegen die Islamisierung des Abendlandes auf die Strasse, rufen nach geschlossenen Grenzen, schreien «Wir sind das Volk» und Schlimmeres?

So einfach wäre die Welt, wenn sie wäre, wie Journalist_innen sie uns manchmal erklären. Manchmal. Nicht immer. So einfach ist es auch mit Journalist*innen nicht. Zum Glück.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

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