Toleranz ist unser eigener Wert
Die Schweiz ist eine Händeschüttel-Gesellschaft. Man kann in unserem Land schütteln, bis einem die Hände abfallen. Kleine Kinder werden dazu angehalten, das Händchen zu geben, und mehr noch: «Gib das schöne Händchen!» verlangen Vater und Mutter und Onkel und Tante und manchmal sogar die Grosseltern. Die Rechte muss es sein, nicht die Linke.
Das Gesetz des Händeschüttelns
Händeschütteln ist beinahe ein Gesetz. In der jüngsten «Arena» hat Jonas Projer den Vergleich angestellt mit den Vorschriften des Autofahrens, an die sich alle halten müssen. Er hat nur nicht erwähnt, dass es keine Todesfälle gibt, wenn man die «falsche» Hand gibt (oder keine), wie beim Autofahren auf der falschen Spur.
Es war eine angenehme, friedliche Sendung, mit manchen Qualitäten und einem Problem, das einen Namen hat. Angenehm war der Moderator mit seiner schon fast asketisch entspannten Führungsarbeit. Jonas Projer hat mittlerweile eine souveräne Gelassenheit entwickelt, mit der er aus der «Arena» ein Thema mit Variationen machen kann. Diesmal zur nicht mehr ganz frischen Fragestellung «Angst vor dem Islam». Dafür mit einer ganz frischen Zusammensetzung: Es waren wohl erstmals vier Muslime in der Runde (darunter eine Muslimin) – was allein schon die Vielfalt des Islam in der Schweiz zeigte. Mit der aufklärerischen Jasmin El Sonbati, Mitbegründerin des Forum für einen fortschrittlichen Islam, mit dem «höchsten Schweizer Muslim» Montassar Ben Mrad, dem Präsidenten Islamischer Dachorganisationen FIDS und Vizepräsidenten des christlich-jüdisch-muslimischen Rats der Religionen, mit dem fortschrittlichen Schlierener Imam Sakib Halilovic, und schliesslich mit Nicolas Blancho, dem Präsidenten des islamischen Zentralrats Schweiz.
Toleranz für den Sektierer
Blanchos Einladung hatte da und dort für Aufregung gesorgt, weil sein Zentralrat nicht ganz unbegründet im Ruf allzu grosser Nähe zum Islamischen Staat IS steht. Er ist wie viele Sektenprediger ein missionarischer Langweiler, der seine Predigt loswerden und andere nicht zu Wort kommen lassen will. In der «Arena» lieferte er sich die üblichen Rededuelle mit dem strengen Sektenkritiker Hugo Stamm, den Projer als Experten aufgeboten hatte.
Und da war – heute in der «Arena» schon selbstverständlich – das aktive Publikum. Darunter die pensionierte Lehrerin Beatrix Grüter, die sich daran aufhält, «dass man jetzt soweit ist, dass sich Schüler, Buben, weigern dürfen, der Lehrerin die Hand zu geben.»
Und damit war die «Arena» bei der Händeschüttel-Debatte. Überlang. Und für manche Muslime ein kleiner, religionspolitischer Schleuderkurs. Offenbar gilt das Händeschütteln für viele eingeborene Schweizerinnen und Schweizer als Prüfstein der Integration. Wer schüttelt, ist integriert.
Man könnte auch sagen: Das Händeschütteln ist eine Frage der Toleranz. Aber Toleranz ist unser Wert, also zuallererst eine Frage an uns selber, nicht an die anderen. Eine Frage, die sich stellt in einer Welt, die sehr viel grösser ist als die kleine Schweiz. Eine Frage, die bei mir drei Erinnerungen weckt.
Jüdische Orthodoxe
Die erste ist die Erinnerung an ein festliches Diner nach einem Fussballspiel zwischen einer gemischten israelisch-palästinensischen und einer andalusischen Mannschaft in Sevilla. Der Match war ein «Spiel für den Frieden», Israels Staatspräsident Peres war da und der Verhandlungsführer der Palästinenser mit den Israelis. Und Sevilla war bekanntlich 500 Jahre lang (712 – 1248) unter islamischer Herrschaft wie der ganze spanische Süden. Es war eine immer wieder kriegerische Zeit, aber auch eine Epoche toleranten Zusammenlebens von Juden, Christen und Muslims. Ein gut gewählter Schauplatz.
Bei dem Diner, an dem wir in offizieller Mission teilnehmen durften, sass meine Frau neben einem eleganten, politisch sicher bedeutenden Israeli, der beim Toast nicht mit ihr anstiess, kein Wort mit ihr wechselte und keinerlei Blickkontakt mit mir und uns aufnahm. Seine Frau und seine Tochter hielten es gleich. Sie trugen die üblichen Perücken, die bekanntlich die gleiche Funktion haben wie das Kopftuch der Muslimas. Sie bedecken das Haar der Frau. Die Söhne bedienten den Vater.
Ein befreundetes liberales jüdisches Ehepaar aus der israelischen Delegation erklärte uns nach dem Diner, dass es sich bei dem Mann um einen hochrangigen, streng orthodoxen Juden handelte, der Frauen nicht nur nicht berührt sondern mit fremden Frauen auch nicht spricht.
Mitten in der multikulturellen, friedensorientierten Sportveranstaltung war unsere Toleranz gefragt.
Iranische Schönheit
Die zweite Erinnerung geht zurück auf eine internationale Konferenz. In Magglingen sass ich bei einem Vortrag neben einer jungen Iranerin, sehr elegant mit ihrem Kopftuch, und es stellte sich beim Pausengespräch heraus, dass sie gerne den damaligen Leiter des Schweizer Katastrophenhilfe-Korps kennen lernen möchte (es war nach dem schweren Erdbeben vom Dezember 2003). Selbstverständlich habe ich den Mann zu uns geholt. Und selbstverständlich hat er – ein Schweizer in der Schweiz – nicht die geringsten Anstalten gemacht, der Frau die Hand zu geben. Er hat sich leicht verbeugt.
Ich tat dasselbe beim Abschied, und ich war durch ihre Freundlichkeit wunderbar entschädigt.
Moderne Muslima
Die dritte Erinnerung ist noch ganz frisch. Sie gehört zu einer als Kind hierher geflohenen, moderne, in der Schweiz prominent tätige Muslimin, bei der ich mir manchmal Rat hole. Die Frau geht mit der Schweizer Händeschüttelkultur problemlos um, und sie scheut sich auch nicht vor der welschen Sitte des Bisou, des zwei- bis dreifachen Begrüssungskusses. Sie hat mir vor nicht allzu langer Zeit gesagt: «Ich empfinde es als Ausdruck von Achtung, wenn jemand darauf verzichtet, mir die Hand zu geben.»
Ich habe mir das notiert.
Toleranz für das Unerträgliche
In seiner kleinen Schrift «Blasphemische Gedanken – Islam und die Moderne», einer scharfen Kritik an Islam und an Islamismus, äussert sich der radikale, globale Denker Slavoy Zizek auch über die Frage der Toleranz. «Die wahre Toleranz», sagt er, beginnt «gegenüber dem, was wir als ‚unmöglich zu ertragen’ erfahren.» Vorher ist es nämlich vielleicht Gleichgültigkeit oder Desinteresse.
Ich fürchte, wir haben in unserer wohlanständigen und wohl bestallten Selbstgerechtigkeit gar kein Bewusstsein mehr dafür, was Toleranz wirklich ist. Darum können wir uns darüber aufhalten, dass ein Bub aus einer konservativen muslimischen Familie auf Geheiss der Eltern seiner Lehrerin nicht die Hand geben darf (obwohl er das vielleicht gerne täte). Bei speziell orthodoxen jüdischen Kindern fällt uns das nicht auf, weil sie in eine eigene Schule gehen. Aber wahrscheinlich würden wir es auf dem Hintergrund der Vernichtungs-Geschichte des Holocaust auch nicht wagen.
Die Grenzen der Toleranz
Selbstverständlich gibt es Grenzen und notwendige Forderungen. Der hoch angesehene Westschweizer Dichter, Schriftsteller und Journalist Jean-Noël Cuénod hat zum Verhältnis von Religion und Toleranz und zu den berechtigten Ansprüchen an Muslime, die in der Schweiz leben wollen, in etwa gesagt: «Wenn ein Muslim sich in der Schweiz ansiedeln will, soll man ihm zwei Fragen stellen:
Erstens: Bist Du bereit, die freie Entscheidung Deiner Frau zu akzeptieren, nicht mehr die Burka, den Nijab, das Kopftuch zu tragen. Und vielleicht ihren eigenen Weg zu gehen. Ohne sie zu bestrafen?
Zweitens: Bist Du bereit, ohne Ausrufung eines Todesurteils die freie Entscheidung eines Muslim zu akzeptieren, aus dieser Religion auszutreten?»
Von der (vielleicht fehlenden) Bereitschaft eines Buben in Baselland oder anderswo, seiner Lehrerin die Hand zu geben, ist dabei nicht die Rede.
Toleranz ist unser Wert
«Toleranz» ist unser Wert, und das heisst: wir müssen sie zuallererst selber praktizieren. Und nicht unsere Sitten und Gebräuche zu Gesetzen machen. Schadet es uns, wenn wir in diesem Rahmen andere Kulturen, Sitten und Gebräuche ganz einfach respektieren, solange sie uns keine Nachteile einbringen? Oder ist es vielleicht sogar eine Bereicherung unseres Lebens?
*****
Auszug aus der Europäischen Menschenrechtskonvention
Art. 9 Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit
(1) Jede Person hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht umfaßt die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu wechseln, und die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder gemeinsam mit anderen öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Unterricht oder Praktizieren von Bräuchen und Riten zu bekennen.
(2) Die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu bekennen, darf nur Einschränkungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind für die öffentliche Sicherheit, zum Schutz der öffentlichen Ordnung, Gesundheit oder Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
Mit scharfen Sperberaugen. Das sehen, was andere übersehen – und es gekonnt aussprechen!
Ich habe mir die Sendung nicht zu Ende angeschaut, dachte, da kommt zu viel vom Immergleichen. – Aber siehe da! Man kann auch gelassen an’s Werk gehen und dann die ganz andere Kritik bringen. Formidable!
Eines aber muss ich noch anfügen: Ich habe während meiner ganzen Schulzeit nie einer Lehrerin oder einem Lehrer die Hand geben müssen – niemand von uns SchülerInnen. Man kam in die Klasse, die Lehrerschaft kam rein und sagte Guete Morge alli zäme oder ähnlich. Bei meinen Kindern verhielt es sich nicht anders. Hier geht es wohl um ein konstruiertes Drama, um ein sehr bewusst konstruiertes Drama.
Danke, Robert Ruoff!
Wir empören uns abend-, zeitungs- und Selbstdarsteller-Shows füllend über Moslems, fast ausschliesslich ein paar spätpubertär überkonvertierte Schweizerinnen und Touristinnen, welche einen Niqab tragen und über Moslems, wenige pubertierende Schüler, welche einer Lehrerin nicht die Hand drücken wollen. Derweil nehmen wir bestenfalls mit einem Schulterzucken zur Kenntnis, dass die «westliche Wertegemeinschaft» aus reiner Macht-, Rohstoff- und Geldgier allein seit 1991 etwa vier Millionen Bewohner des islamischen Kulturkreises, Kinder, Frauen und Männer, massakriert und Millionen dies «dummerweise» Überlebende aus ihren Häusern, auch zu uns, gebombt hat, dies weiterhin tut und welchen viele von uns den Händedruck als freundliche Begrüssung verweigern.
Ich wünsche uns allen viel Befriedigung beim morgendlichen Blick in den Spiegel und eine schöne Woche…
Multimediale PRopaganda spaltet die schweizer Gesellschaft. Cui bono?
1. Akt: Montassar BenMrad, der Präsident Islamischer Dachorganistionen FIDS, wird dafür kritisiert, dass er sich in der SRF-Arena in der «Händedruckfrage» nicht hatte festlegen lassen wollen, weil er individuelle für alle Beteiligten faire Lösungen unfairen Rasenmähergeboten und -verboten vorzieht.
Z.B. Maurice Thiriet – Islam-«Arena»: Alle auf den Blancho und dann läuft der Moslem-Präsident voll ins Messer
http://www.watson.ch/!817302834
2. Akt: Der «(Einzel)fall Therwil» wird einen Tag später publiziert, multimedial thematisiert und beides von Patrik Müller, der uns immer sehr gerne seine respektive die Welt seiner Puppenspieler erklärt, gleich zu einem der bedeutendsten Probleme unserer Zeit verwurstet.
Wie immer wird bei Moslems jeder seltene (Einzel)fall multimedial ausgebreitet, damit der unbeteiligte scheinheilige Mob selbstgefällig pöbeln respektive der unbeteiligte scheinheilige Pöbel selbstgefällig mobben kann – peinlich für die Drahtzieher und für deren Erfüllungsgehilfen!
Den Untertanen der Betriebssysteme Judentum und Islam ist es nicht möglich, ihre eigenen Köpfe soweit anzustrengen, dass sie nicht ständig fremde Köpfe einschlagen müssen:
http://www.studiengesellschaft-friedensforschung.de/da_48.htm
Zwischen Judentum und Katholizismus (stellvertretend für alles, was sich heute «christlich» nennt) hat sich die Verständigung etwas verbessert, mit dem Islam stehen aber beide auf Kriegsfuß. Wer hat «Schuld"? Für alle Untertanen ist klar: Der Programmierfehler liegt garantiert bei den anderen! Auf den nahe liegenden Gedanken, dass die Religion als solche (der gemeinsame Ursprung der drei Betriebssysteme) dahinter stecken könnte, kommt indes kein Untertan, denn die größte Sorge des Untertanen ist es, ein Untertan zu bleiben, und für alle Untertanen ist es unvorstellbar, selbst etwas auf die Reihe zu kriegen, sodass sie bis zum Jüngsten Tag auf ihren Messias warten, der ihnen sagt, was sie zu tun haben. Ansonsten wären allgemeiner Wohlstand und der Weltfrieden längst Realität:
http://opium-des-volkes.blogspot.de/2014/11/jude-katholik-und-araber.html
Ich habe die «Arena» auch nicht fertig ferngesehen. Was zum Geier hat die Projer’sche Provokationsfrage «Angst vor dem Islam?» mit nicht-Händeschütteln in einer Schule zu tun? Gab es da neulich nicht auch noch die Muslim Kinder, die nicht zum Badeunterricht gingen? Oder solche, die dem Religionsunterricht – der zu stark christlich geprägt ist – fern blieben? Oder Zeugen Jehovas, die sich in der Gemeinde vor dem Stimmenzählen dispensieren lassen? etc. etc.
Das Theater mit dem nicht-Händeschütteln und die daran geknüpfte «Angst des Entstehens einer Parallelgesellschaft» ist ein singuläres und konstruiertes Politzwangprodukt, das weder mit Integration noch mit Freiheit noch mit Moslems zu tun hat. Aus solchem Stoff bestehen Mäuse, die sich zu veritablen Elefanten aufblasen. Bitte SRF und Arena Programmmacher: mehr Tiefgang, Relevanz und weniger langweilige Effekthascherei.
Und noch etwas: Händeschütteln ist gar nicht so sinnvoll und aus hygienischer Sicht eher kontraindiziert: In Grippezeiten schüttle selbst ich niemandem die Hand, auch wenn ich kein Moslem bin und als Schweizer «gut integriert» bin.
Ich finde, Robert Ruoff argumentiert mit seinen Ausführungen zum Händeschütteln ein bisschen am Thema vorbei. Es geht ja explizit um einen Fall in der Schule.
In der Schule müssen sich Schülerinnen und Schüler an Regeln halten, ähnlich wie dies Angestellte im Betrieb tun müssen. Weder Schüler noch Angestellte sind während der Unterrichts- respektive Arbeitszeit im gleichen Masse frei wie am Wochenende.
Es gibt auch unter Nicht-Muslimen Leute, die nicht gerne Hände schütteln. Privat soll es jeder halten, wie er will. Wenn ein Bankberater seine Stelle aufgeben will, weil er die Kunden nicht mehr mit Handschlag begrüssen will, so ist das seine Sache. Man hört allerdings eher selten von solchen Fällen.
Es ist ja nicht so, dass diese Geschichte mit dem Händeschütteln ein völlig isolierter, belangloser Einzelfall wäre. Man kennt auch Fälle, wo Schüler mit ähnlichem argumentativem Hintergrund einer Lehrerin jeglichen Respekt verweigern, einfach weil sie eine Frau ist.
Ich halte Ausnahmeregelungen hier falsch, genau gleich wie ich sie auch im Bereich des Schwimmunterrichtes für falsch halte. Minderjährige können ja sowieso noch nicht im vollen Umfang ihre Freiheitsrechte wahrnehmen. Die Möglichkeit, dass Schülerinnen und Schüler durch ihre Eltern zu einer bestimmten Vehaltensweise gezwungen werden, scheint Herrn Ruoff jedenfalls nicht allzusehr zu empören. Da kann auch die eine oder andere Vorgabe durch die Schule in Kauf genommen werden.
Mir machen nicht diese verweigernden Kinder Angst, sondern die Behörden und Politiker mit ihren duckmäuserischen Beschlüssen. Das wird alles noch viel schlimmer…. nur abwarten.
Ich bin mit Leib und Seele Schweizerin – und ich habe das Händeschütteln NIE gemocht! Ein freundliches «Guete Morge» oder was auch immer ist mir tausendmal lieber als Hände schütteln zu müssen; insbesondere dort, wo mein Gefühl mir sagt, dass das Gegenüber mit nicht sonderlich gut gesinnt ist.