BuehrleHafner

Maschinenbau GmbH Ikaria mit dem Russenlager © Wolfgang Hafner

KZ-Insassinnen arbeiteten für Bührle

Wolfgang Hafner /  Recherchen zeigen: Waffenproduzent & Kunstsammler Emil G. Bührle profitierte im 2. Weltkrieg finanziell von Zwangsarbeiterinnen.

Red. Wolfgang Hafner ist Sozial- und Wirtschaftshistoriker sowie Autor von mehreren Büchern.

Am 19. April 1945 machten sich rund 700 Frauen aus dem KZ-Aussenlager Velten auf den Evakuierungsmarsch, der für einige mit dem Tod endete. Wer aus Erschöpfung zusammenbrach oder aus Hunger nach Kartoffeln grub, wurde erschossen. Die Frauen hatten zuvor unter Aufsicht der SS an Drehbänken und in den mechanischen Werkstätten der Veltener Maschinenbau GmbH Ikaria im Zwölfstundenbetrieb unter anderem Bordkanonen mit dem Namen «Orlikon» – so gab eine Lagerinsassin später zu Protokoll – hergestellt.

In Spitzenzeiten hatten rund 1200 Frauen aus verschiedenen Ländern – Polinnen, Russinnen, Ukrainerinnen, Französinnen, aber auch Deutsche und Lettinnen, Jüdinnen und Romni – für das in der Nähe von Berlin gelegene Unternehmen gearbeitet. Beherbergt wurden sie in je unterschiedlichen Lagern für Zwangsarbeiterinnen: dem «Russenlager» (errichtet im August 1942) und dem eigentlichen KZ-Aussenlager, das Mitte 1943 entstand. Das Aussenlager unterstand zuerst dem KZ Ravensbrück, später dem KZ Sachsenhausen. Das Lager war von einem elektrischen Zaun und vier Wachtürmen umgeben.

Dass der Schweizer Waffenschmied Emil G. Bührle die Ikaria-Werke gegründet hatte, war bekannt. Dass er während des Weltkriegs auch direkt von der Arbeit der Zwangsarbeiterinnen profitierte, zeigen nun erstmals Recherchen des Schreibenden im Archiv des KZ Sachsenhausen und des deutschen Ingenieurs sowie Autors von militärhistorischen Büchern Norbert Rohde im Landesarchiv Berlin. Die Erkenntnis wirft einmal mehr Schatten auf das Erbe von Bührle: Ein Teil seiner Kunstsammlung soll künftig in einem Neubau des Zürcher Kunsthauses ausgestellt werden. Diese Aufwertung der Sammlung stand wiederholt in der Kritik, weil die Provenienz einzelner Werke bis heute nicht geklärt ist. Eine solche Kritik greift allerdings zu kurz. Im Zentrum sollte die Frage stehen, wie Bührle mit Waffengeschäften und Zwangsarbeit überhaupt zu seinem Vermögen kam.

Ein Graf als Türöffner

1948 wurde in einem Brief, den der Leiter der Deutschen Treuhandstelle für das beschlagnahmte Vermögen im Sowjetischen Sektor der Stadt Berlin verfasst hatte, an die sowjetische Zentralkommandatur festgestellt, die Eigentümer der Ikaria seien «Verbrecher» und gehörten enteignet. Die Besitzer waren zu 37 Prozent Minna und Willi Bührle, die Geschwister Emil G. Bührles. Der Rest gehörte dem Geschäftsführer der Ikaria, Kapitän Hans Keilhack. Der NSDAP-Parteigenosse und Wehrwirtschaftsführer war 1946 unter ungeklärten Umständen in einem Lager für Strafgefangene gestorben. Da die Geschwister Bührle im Westen Deutschlands wohnten, hatte die sowjetische Anklage für sie keine Folgen. Nach dem Krieg verleugnete Emil G. Bührle die Beziehungen zur Ikaria. Er liess festhalten: «Oerlikon hat schon vor Kriegsbeginn keinen Zusammenhang, keine Zusammenarbeit mit der Ikaria gehabt, sondern war im Gegenteil mit ihr verfeindet.»

Ende 1938 hatte das noch ganz anders getönt. Emil G. Bührle lobte die Ikaria als «absolut meine eigene Conception». Die Ikaria wurde zum ungeliebten Kind, weil sich Bührle gegenüber dem Geschäftsführer der Ikaria nicht durchsetzen konnte und sich die Firma in der Nachkriegszeit als Hypothek erwies. Dabei hatte alles vielversprechend begonnen. Bereits 1927 war der jugendliche Graf Georg Friedrich zu Solms-Laubach mit knapp fünfzig Prozent der Aktien an Bührles Werkzeugmaschinenfabrik beteiligt und eröffnete Bührle so einen Zugang zu den Spitzen der nationalsozialistischen Bewegung. Daneben pflegte die Familie des Grafen enge Beziehungen zur Naziprominenz (siehe «Eine Bührle-Kanone für das neue Kunsthaus»). Auch die Beziehung zwischen dem Grafen Georg Friedrich und Bührle dürfte eng gewesen sein, arbeitete der Graf doch zeitweise für Bührle in Oerlikon.

900 000 Franken für Lizenzen

Wenige Wochen nachdem Hitler 1934 das Signal zur geheimen Aufrüstung gegeben hatte, gründete Bührle als Mehrheitsaktionär in Berlin, zusammen mit dem lokalen Vertreter einer Waffenfabrik sowie Keilhack, dem Statthalter Bührles in Berlin, die Ikaria als Gesellschaft für Flugzeugzubehör. Im Zeichen der Eindeutschung der kriegswichtigen Unternehmen wurde Bührle 1936 gezwungen, seine Anteile zu veräussern. Er überliess in der Folge dem Grafen Georg Friedrich zu Solms-Laubach den grösseren Teil seiner Aktien, wofür der Graf wiederum seine Anteile an der Werkzeugmaschinenfabrik an Bührle abtrat, was diesem die vollständige Übernahme des Unternehmens ermöglichte.
Zu Solms-Laubach wollte, dass Bührle an der Ikaria beteiligt blieb, da er sich dem Geschäftsführer Keilhack nicht gewachsen fühlte. Das bewog Bührle, einen Teil seiner Aktien an seine Geschwister zu übertragen. Zugleich erteilte Bührle der Ikaria zu einem Vorzugspreis die Lizenz für die von Oerlikon-Bührle entwickelte Zwanzig-Millimeter-Flügelkanone. Zum Ärger Bührles gelang es Keilhack, den Grafen aus dem Aktionariat zu verdrängen. Trotzdem blieben die Geschäftsbeziehungen zwischen der Ikaria und Oerlikon-Bührle intakt. So bezog Bührle – neben der ursprünglich vereinbarten Lizenzzahlung – von 1941 bis 1944 weitere rund 900 000 Franken an Lizenzgebühren. Die letzte Zahlung erfolgte Ende Mai 1944. Ob er in dieser Zeit zudem Dividendenzahlungen via seine Geschwister von der Ikaria erhielt, ist unklar. Immerhin: Dank der Lizenzzahlungen profitierte Bührle direkt von den kostengünstigen Leistungen der Zwangsarbeiterinnen.

Dieser Text erschien zuerst in der Wochenzeitung.

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Co-Autor des Buches «Schwarzbuch Bührle: Raubkunst für das Kunsthaus Zürich?», das im Rotpunktverlag erschienen ist.

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Eine Meinung zu

  • am 1.04.2016 um 18:01 Uhr
    Permalink

    Damals wie heute waren respektive sind die Faschisten in der Maske der Demokraten die Puppenspieler der Faschisten in der Maske der Faschisten. In einem Punkt irrte Theodor Wiesengrund Adorno: Sie waren niemals verschwunden, bloss immer für uns unsichtbar.

    "Ich fürchte mich nicht vor der Rückkehr der Faschisten in der Maske der Faschisten, sondern vor der Rückkehr der Faschisten in der Maske der Demokraten."
    (Theodor W. Adorno)

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