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Seit Jahrhunderten kennen und nutzen Indios das Süsskraut Stevia © EvB

Stevia: Ein klassischer Fall von Biopiraterie

Red. /  Vom Geschäft mit dem Zuckerersatz Stevia profitieren wenige grosse Konzerne. Die «Entdecker» der Süsspflanze gehen leer aus.

Stevia gilt als perfekter Zuckerersatz: süss, kalorienfrei, unschädlich für die Zähne und für Diabetiker geeignet. Seit jeher verwendet das indigene Volk der Guaraní im Grenzgebiet von Paraguay und Brasilien Stevia-Blätter zum Süssen von Getränken und in der traditionellen Medizin. Mit der Wunderpflanze hätten Staaten Lateinamerikas den Weltmarkt mit Millionen kaufkräftigen, gesundheitsbewussten Konsumenten erobern können. Doch das grosse Geld mit Stevia machen inzwischen internationale Konzerne wie der Agrar-und Lebensmittelgigant Cargill und Coca Cola. Die Indios und Kleinbauern gehen leer aus. Ein neuer Bericht beleuchtet die bitteren Seiten des Geschäfts mit dem süssen Stoff. Herausgeber sind verschiedene Entwicklungsorganisationen und Institutionen, darunter auch die «Erklärung von Bern» (EvB) und Pro Stevia Schweiz.

Stevia rebaudiana: 300mal süsser als Zucker

Biopiraterie und irreführende Werbung
Das Volk der Guaraní werde um seine Rechte betrogen, moniert der Bericht. Die Kommerzialisierung von Stevia sei «ein klassischer Fall von Biopiraterie»: einer unrechtmässigen Aneignung genetischer Ressourcen und des damit verbundenen traditionellen Wissens. Obwohl bereits Tausende von Stevia-Produkten auf dem Markt sind, seien weder die Guaraní noch die Ursprungsländer Paraguay und Brasilien jemals konsultiert oder entschädigt worden.
Genau dies aber verlangen das Biodiversitätsabkommen der Vereinten Nationen und das Nagoya-Protokoll: Sie sehen vor, dass traditionelle Gemeinschaften einer kommerziellen Nutzung «ihrer» Ressourcen zustimmen müssen und dass sie am Geschäft mit dieser Ressource gerecht beteiligt werden. Das heisst: Macht jemand Profit mit Stevia, sollten die Guaraní und die Staaten Brasilien und Paraguay diesem Geschäft zustimmen und an ihm beteiligt werden.
Weltweit werden immer mehr Lebensmittel und Getränke mit Steviol-Glykosiden gesüsst, darunter Coca-Cola Life, Ricola Lakritz-Bonbons, Henniez Ananas-Pfirsich-Wasser oder SteviaSweet von Assugrin. Anbieter preisen solche Produkte als besonders «natürlich» oder «traditionell» an.

Mit Steviol-Glykosiden gesüsst: Verpackung täuscht Natürlichkeit vor

Grüne Verpackungen oder Symbole der Stevia-Blätter sollen diesen Eindruck noch verstärken. Doch damit würden die Konsumenten getäuscht, kritisieren die Herausgeber des Stevia-Berichts. Denn der angeblich «natürliche Süssstoff» ist in Wahrheit ein Industrieprodukt aus dem Labor. Hersteller isolieren und reinigen die süssen Inhaltsstoffe – die Steviol-Glykoside – aus dem Saft der Stevia-Blätter in aufwändigen Verfahren. Dabei kommt viel Chemie zum Einsatz, und der so gewonnene Zuckerersatz ist nur noch ein kläglicher Rest der ursprünglichen Stevia-Pflanze.

Steviol-Süssstoff ohne Stevia-Pflanzen
Die reine Pflanze, wie sie die Indios traditionell verwenden, bleibt in den meisten Industrieländern als Lebensmittel verboten – nicht aber die chemisch gewonnenen Steviol-Glykoside. Für die Branche ist das ein Vorteil. Mit neuen patentierten Verfahren und Steviol-Süssstoffen kann man Millionen verdienen. Laut Bericht sind weltweit bereits über 1000 Patente bezüglich Stevia angemeldet, aber kein einziges in Paraguay, dem Ursprungsland der Pflanze.
Während der Stevia-Boom so richtig in Fahrt kommt, läuft in der Branche ein Wettlauf zur Patentierung von neuen Herstellungsmethoden für Steviol-Glykoside. Sie sollen künftig komplett synthetisch ohne Bestandteile der Pflanze hergestellt werden. Ein heisser Kandidat ist die Produktion des Süssstoffs mittels gentechnisch manipulierter Hefen. Hersteller versprechen sich von der neuen Methode noch süssere Steviol-Glykoside ohne den leicht bitteren Beigeschmack, der typisch ist für die Stevia-Pflanze.
Ganz vorne mit dabei ist das Schweizer Biotech-Unternehmen Evolva, das mit Cargill einen der weltgrössten Vertriebspartner hat. Für 2016 ist die Lancierung des gemeinsamen Produkts «Eversweet» angekündigt.
Die bittere Kehrseite: Sollte sich die synthetische Produktion von Steviol-Glykosiden durchsetzen, ist die Existenz vieler Kleinbauern bedroht, denn sie verlieren ihre Abnehmer von Stevia-Pflanzen. Und: Die Guaraní und deren Heimatländer Paraguay und Brasilien drohen abermals leer auszugehen.

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine.

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Eine Meinung zu

  • am 16.12.2015 um 16:51 Uhr
    Permalink

    Einmal mehr bereichern sich die Mega-Multis der westlichen hemisphaere (darunter auch die Schweiz) an den guetern der entwicklungslaender. Sehr traurig!

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