Was der NZZ-Chefredaktor unter Mut versteht
«Republik der Mutlosen» ist der Titel der neuesten samstäglichen Polit-Predigt zum Wochenende des neuen NZZ-Chefredaktors auf deren erster Seite. Und natürlich: Mutlos sind in seinen Augen die Linken und die SVP. Die Anderen also. Nur – als stillschweigende Folgerung daraus – die FDP nicht. Auf sie ist die NZZ ja auch abonniert.
Was aber empfiehlt der über die Mutlosigkeit der Anderen Jammernde selber? Seine Denke verrät er in einem fast unscheinbaren Satz: «Schliessen Brüssel und Washington das Handelsabkommen TTIP, dann muss auch die Schweiz mit von der Partie sein.» Aha, das ist Mut! Mitreden in Brüssel – als EU-Mitglied – natürlich auf keinen Fall! Aber wenn die dort etwas machen, dann muss die Schweiz «mit von der Partie» sein! – Mut à la Eric Gujer. Mut à la NZZ. Mut als reine Rosinenpickerei!
Das transatlantische Netzwerk funktioniert
Die Leserinnen und Leser von Infosperber wissen es: am 10. Oktober 2015 gingen in Berlin 250’000 Menschen, in fünf Extrazügen und 600 Bussen angereist aus ganz Deutschland, auf die Strasse. Das sind doppelt so viele Menschen, wie die Stadt Bern Einwohner hat! 250’000 Menschen demonstrierten, friedlich aber unmissverständlich, gegen das geplante Freihandelsabkommen TTIP zwischen den USA und der EU. Grund dazu gibt es genug. Siehe hier und hier.
Zu den transatlantisch gut vernetzten Medien-Bossen, die sich für TTIP engagieren, gehört zum Beispiel auch Josef Joffe, der Herausgeber der deutschen Wochenzeitung DIE ZEIT. Nein, schiessen (mit einer MP) tut er noch nicht, aber er empfiehlt die Peitsche! Wörtlich:» Gerade diese ebenso gefräßigen wie behäbigen Teile des (deutschen) Kulturkartells brauchten TTIP als Peitsche und den offenen Markt als Chance.» Joffe lobt das US-amerikanische System, wo begüterte Leute in «kulturelle» Produktionen, zum Beispiel in Hollywood-Filme, Fernseh-Serien oder Musicals am Broadway, investieren – in Erwartung eines kommerziellen Erfolges. Es sei «ein Jammer», so Joffe wörtlich – dass TTIP, das geplante Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU, die «deutsche Kulturindustrie» nicht bedrohe!
Kein Wort darüber, dass für Streitfälle, die TTIP betreffen, Sondergerichte zum Einsatz kommen sollen. Und kein Wort darüber, dass die Verhandlungen zwischen den USA und der EU zu TTIP geheim geführt werden. Aber die Peitsche muss hervorgeholt werden!
Haben die Medien nicht kürzlich verurteilt, dass in Saudiarabien Andersdenkende ausgepeitscht werden?
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
Heute bedeutet nichts mehr Mut und Charakter als einfach «nein» zu sagen.
In der Schweiz ist das anders. Hier sitzt die halbe Nation auf dem Sofa und ist mutlos – und nicht einmal ein guter Witz vermag das zu ändern, schreibt der NZZ Chefredaktor. Liegt er damit richtig und vermag er die Gründe dafür zu erkennen? Er mag richtig liegen, aber die Gründe will er nicht erkennen!
Wieso sollten wir nicht auch im 21. Jahrhundert in der Lage sein, unseren Weg zwischen Alpenfestung und Selbstauflösung zu gehen? Dies fragt Eric Gujer. Und gibt er uns eine befriedigende Antwort? Gujer macht nur eine Bestandesaufnahme, zur Klärung trägt er leider wenig bei!
Nach einem Programm für die kommenden vier Jahre sucht man vergebens, so Gujer weiter. Programm in der Schweiz ist doch, dass aufgrund der Konkordanzdemokratie, man müsste sie besser als „Kuschelromatik“ mit gewissen dramatischen Einlagen bezeichnen (ungeliebte Volksinitiativen, welche vom Volk gutgeheissen werden), die wahren Probleme gar nicht erkannt oder auf die lange Bank geschoben werden. Das muss nicht immer falsch sein, die Europäische Union lebt uns die Fehler vor!
Die helvetische Kunst des Ausgleichs erfordert zudem kreative Vagheit, sagt der Chefredaktor der NZZ. Was meint er damit? Er beklagt den Mangel an Ideen. Welche Ideen denn, Herr Chefredaktor?
Eric Gujer liegt wohl falsch, aber auch nicht ganz richtig: Dabei ist die Gelegenheit jetzt so günstig wie nie, einen Modus Vivendi mit der EU zu finden, meint Gujer. Richtig, die EU sollte sich vorerst nicht weiter mit ihren Freunden streiten.
Eric Gujer geisselt in seinem Artikel den Rechts- und den Links-"Populismus» um dann mit der wirtschaftsliberalen Keule zu kommen: Keine Regulierungen für die Wirtschaft und die Reichen, Nulltoleranz und strenge Regeln für einfache Bürger. Wenn das nicht ebenfalls populistisch ist… Ein Hase sagt den anderen Langohr.
"Rosinenpicker» sind alle europäischen Länder, egal ob Unionsmitglieder oder nicht. Aber das Freihandelsabkommen TTIP führt in die totale Abhängigkeit von den USA und von einigen amerikanischen und europäischen Grosskonzernen. Was da geheim und hinter verschlossenen Türen verhandelt wird, spottet sämtlichen demokratischen Regeln.
Zu TTIP:
Soll sich der Bundesrat mit dem Pokerspieler einlassen, der:
– Via NSA alle Schweizerischen Staatsgeheimnisse kennt ?
– Via NSA alle Patent- und Finanzgeheimnisse aller Konzerne kennt ?
– Legitime und illegitime Geschäfts- und Geoplilitikstrategien darauf basieren kann ?
– Ein Vielfaches von Juristen für Schiedsgerichte scharf gemacht hat ?
Der Geheimdienst-Experte Eric Gujer berät ihn da möglicherweise etwas suboptimal, da muss man Christian Müller wohl beipflichten. Nur «Mut» ist da vielleicht nicht die relevante ethische Dimension.
MfG
Werner T. Meyer
Das Interessanteste an TTIP ist wohl die Erkenntnis, das für die Beilegung eines möglichen Konflikts, bezüglich Nichteinhaltung des Abkommens durch eine Seite, ein Schiedsgericht angerufen werden soll und muss!!! Das tönt doch sehr vertraulich. Wie steht es denn bei Unstimmigkeiten zwischen der Schweiz und der EU? Die EU will «auf Teufel komm raus», dass das letzte Urteil der Europäische Gerichtshof fällt. – Adieu Unabhängigkeit! – Warum lassen wir Politiker im Amt, welche solche törichte Regeln vorschlagen und erst noch neue Gerichtsinstanzen schaffen wollen? Welches Gericht soll denn im Falle TTIP entscheiden??
besten Dank an Frau Ruth Obrist und Herrn Beda Düggelin. Sie schrieben was ich jederzeit unterschreiben kann.