Chinas ganz grosses Geschäftchen
Frau Chen – Hochschulabschluss, anfangs dreissig, im Marketing tätig – geht frühmorgens vor der Arbeit mit ihrem zweieinhalbjährigen Augapfel Xiao Mian im Pekinger Ritanpark Luft schnappen. Für einmal ist die notorisch schmutzige Luft relativ sauber. Den kleinen Mian plagt, bevor er von Mamma in die Krippe gebracht wird, noch ein Geschäftchen. Frau Chen tut das, was in China seit langem üblich ist: Sie nimmt ihren Kleinen von hinten bei den Armen, geht ein wenig in die Ecke, hebt ihn hoch und Xiao Man verrichtet mit gespreizten Beinchen ein kleines (xiao bian), dann plötzlich noch ein grosses Geschäftchen (da bian) mit unübersehbarem Wohlbehagen. Wohlwollend nicken die Umstehenden.
Kai Dang Ku
Die Hosen von Xiao Man bleiben auch beim Pippi und Pappa machen an, denn es sind die traditionellen chinesischen Schlitzhosen Kai Dang Ku, übersetzt etwa «offener Schritt Hose». Obwohl Frau Chen und ihr Mann der rasch wachsenden Mittelklasse angehören, wird beim Einzelkind Mian auf relativ kostspielige Wegwerfwindeln meist verzichtet. «Meinem Kind», sagt die Mutter, «bekommt Kai Dang Ku sehr viel besser, als das irgendwelche Windeln je könnten». Ein Rentner, selber Vater von vier Kindern, meint zudem, dass Instant-Windeln schädlich für die Fruchtbarkeit der Knaben seien und überdies O-Beinen Vorschub leisteten.
Tatsache allerdings ist, dass in Chinas städtischen Regionen über 90 Prozent der Eltern bereits regelmässig Wegwerfwindeln verwenden. Der Markt ist vielversprechend und riesig, denn auf dem Land wickeln erst rund 10 Prozent der Eltern ihre Sprösslinge in Einwegwindeln. Rechne: ein Baby verbraucht im Schnitt drei bis fünf Windeln pro Tag, was bei zwei bis drei Jahren Windelverbrauch rund 5‘000 Windeln bedeutet. Derzeit werden in China pro Monat eine Milliarde Einwegwindeln verbraucht. Tendenz steil ansteigend.
Öko-Windeln
Die Aussichten lassen denn chinesische wie ausländische Windelproduzenten träumen. Im vergangenen Jahr, so zeigen Statistiken, wurden in China für 29 Milliarden Yuan Renminbi – umgerechnet etwa 4,3 Milliarden Franken – Windeln umgesetzt. Im Jahre 2017 sollen es dann bereits viermal mehr sein, also weit über 100 Milliarden Yuan Renminbi. Kein Wunder, dass es in China rund eintausend Windelproduzenten gibt, wobei allerdings die Top 10 – darunter die grossen amerikanischen und japanischen Anbieter – satte achtzig Prozent des Marktes unter sich aufteilen.
Besorgte Umweltschützer in China haben bereits darauf hingewiesen, dass Wegwerfwindeln einer sauberen Umwelt extrem abträglich seien. Der Abbau von petrochemischen Substanzen in den Windeln, warnen sie, daure 200 bis 500 Jahre. Doch bei einem Vergleich der Öko-Bilanz von Waschwindeln und Wegwerfwindeln sind sich, wie so oft bei Öko- und Klima-Themen, die Experten nicht einig. Einige Experten behaupten sogar, es gebe in der Umwelt-Bilanz von Wasch- und Wegwerfwindeln keinerlei Unterschied. Nur so viel steht fest: bereits kommen die ersten Hersteller mit Öko-Instant-Windeln auf den Markt.
Baumwolle, Molton, Käse und Äpfel
Ihr Korrespondent ist in seinen ersten Jahren natürlich noch mit Baumwoll-Molton-Windeln aufgewachsen. Erinnerungen daran habe ich natürlich nicht. Aber als der kleine Bruder gewickelt, geölt und gepudert wurde, blieb mir vor allem die dampfende Waschküche im Keller in Erinnerung und das dazu gehörende Mittagessen mit köstlichen Zwiebel-, Käse- und Apfel-Wähen. Auch die Tochter Ihres Korrespondenten hat noch mit wiederverwendbaren Windeln ihre ersten Jahre verbracht, und erst ihre Kinder dann haben sich – in China – mit weichen Wegwerfwindeln langsam an die Wirklichkeit dieser Welt gewöhnen müssen.
Mittlerweile investieren auch die chinesischen Windelhersteller massiv in Forschung und Entwicklung. Denn von den ganz grossen – etwa Pampers von Proctor&Gamble, die in Europa ein Synonym für Instant-Windeln geworden sind – haben die chinesischen Windelfabrikanten schnell gelernt. In Windel-Labors, vollgestopft mit Technik vom Feinsten, wird die Verdauung der Säuglinge sozusagen bis zur xten Stelle hinter dem Komma erforscht. Von Pippi bis zur Konsistenz des grossen Geschäftchens – nichts bleibt den Windelforschern verborgen. Der neueste Wurf, konnte man neulich in einer Zeitung lesen, sei eine Windel mit der theoretischen Kapazität von sieben Pfund Flüssigkeit. Iggitt!
Ein oder drei Pippis – das ist die Frage
Die kostenintensive Forschung hat ihren Preis. Ein ausländisches Spitzenprodukt kann bis zu drei oder gar vier Yuan – umgerechnet rund 50 Rappen – kosten. Die chinesischen Windeln sind viel billiger. Aber, wie ein besorgter chinesischer Vater auf Sina-Weibo bloggte, man braucht nach jedem Pippi eine neue Windel, während bei ausländischen Produkten drei Pippis möglich seien, ohne dass der Säugling an Wohlbefinden verliere. Viele chinesische Eltern setzen auf die kostspielige Variante. Für das staatlich verordnete Einzelkind ist nur das Allerbeste gut genug. Kommt dazu, dass man nach Skandalen, ähnlich wie beim Milchpulver, der chinesischen Qualität nicht über den Weg traut. Das wird sich auch dann nicht ändern, wenn in naher Zukunft die Ein-Kind-Familienpolitik gelockert wird und zwei Kinder erlaubt sein werden.
Im Pekinger Ritanpark hat Frau Chan ihren kleinen Mian auf eine Parkbank gelegt und wickelt ihn vorsichtig in Pampers, sie verwöhnt (to pamper) ihn also. Sie zuckt mit den Schultern und meint, dass teure Wegwerfwindeln in der Krippe einfach praktischer seien. Aber zu Hause und im Park: nur und ausschliesslich Kai Dang Ku.
Die Moral von der Geschicht: Das kleine und grosse Geschäftchen von Xiao Mian ist für Windelhersteller das ganz grosse Geschäftchen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Peter Achten arbeitet seit Jahrzehnten als Journalist in China.