Bankenaufsicht im Dienst von Grossbanken
Aufsichtsorgane der Banken sind nicht unabhängig. Nur Naive können glauben, dass Organe der Bankenaufsicht im Allegemeinen Interesse handeln. Denn die Beaufsichtiger sind mit den beaufsichtigten Banken in grossem Masse verfilzt und sie können von den Banken massive finanzielle Vorteile erwarten.
Einmal mehr dokumentieren dies die jüngsten Empfehlungen zur Bankenaufsicht der «Group of 30» (oftmals abgekürzt mit G30).
Ein Gremium von Grossbankern
Der Gruppe der 30 (Group of Thirty), gegründet 1978 auf Initiative der Rockefeller-Foundation, gehören rund 30 aktive und ehemalige Topmanager von grossen internationalen Finanzinstituten und Zentralbanken an, ausserdem ehemalige und aktive Regierungsmitglieder und ein paar Alibi-Professoren.
Die Überschneidung der Funktionen ist enorm.
In der G30 sitzen zehn ehemalige Zentralbanker, die heute ein zumeist sehr hohes Salär als Topmanager einer internationalen Finanzinstitution verdienen.
Allein schon durch die Lebensläufe der Mitglieder der Group of Thirty wird offenkundig, dass viele Führungsmitglieder einer wichtigen Zentralbank später in die private Finanzbranche wechseln, wo sie sehr viel Geld verdienen. Aber eine solche Karriere klappt natürlich nur, wenn man sich diese nicht vorher als scharfer Aufseher vermasselt hat.
Umgekehrt wechseln hochkarätige Privatbanker in Zentralbanken.
So sitzen in der Gruppe der 30 drei aktive Zentralbanker, die früher hochkarätige Privatbanker waren, und zwar alle bei Goldman Sachs.
Es sind dies die Präsidenten von drei der wichtigsten Zentralbanken der westlichen Welt, nämlich EZB-Chef Mario Draghi, der Chef der Bank von England, Mark Carney, und der Chef der Federal Reserve of New York, William Dudley, der für die Aufsicht über die Wall Street zuständig ist.
An dieser Stelle sei erwähnt, dass die New York Fed ganz offiziell den Wall-Street-Banken gehört und ihr Chef Dudley von einem Aufsichtsrat beaufsichtigt wird, in dem die Vertreter jener grossen Banken sitzen, die er beaufsichtigt.
Dann gibt es in der Gruppe der 30 noch einige aktive Zentralbankchefs der weltweit wichtigsten Zentralbanken einschliesslich China, Japan und Indien ohne Finanzmanagerhistorie und natürlich Top-Banker, die keine Zentralbank-Vergangenheit haben.
Das Übergewicht der Wall Street ist erdrückend. 13 Mitglieder der Group of 30 kommen von US-Institutionen.
Aus Grossbritannien und Japan je drei, aus Deutschland und ein paar anderen Ländern je zwei. Es sind das der Ex-Bundesbankchef und jetzige UBS-Chef Axel Weber sowie der ehemalige Bundesbanker und IWF-Abgesandte Gerd Häusler.
Von den privaten Banken sind Goldman Sachs mit vier, Morgan Stanley mit drei aktiven und ehemaligen Vertretern am stärksten präsent.
Interessenkonflikte sind programmiert
Das also ist die Gruppe, in der die wichtigsten aktiven Zentralbanker der Welt und 18 Topmanager von grossen internationalen Finanzinstituten Mitglied sind. Doch was tut dieses Gremium konkret? Es erarbeitet unter anderem gemeinsam, wie gute Aufsicht über diese grossen internationalen Finanzinstitute auszusehen hat und veröffentlichen das Ergebnis, damit die Banker und Aufseher der unteren Ebene wissen, wie sie sich verhalten sollen.
Es stellt sich die Frage nach der Unabhängigkeit der Aufseher. Schliesslich sollten ja die Zentralbanker die Aufsicht über die Geschäftsbanken ausüben. Doch in den G30-Berichten wird die Interessenharmonie zwischen Aufsicht und Beaufsichtigten gebührend betont.
So direkt wollen die aktiven Zentralbanker natürlich nicht mit etwas in Verbindung gebracht werden, das für Aussenstehende wie eine krasse Form von Inbeschlagnahme (Capture) der Aufseher durch die Beaufsichtigten aussehen könnte, hart an der Grenze zur Korruption. Deshalb hat keiner der aktiven Zentralbanker in den Working Groups der letzten beiden Berichte der G30 zur Aufsicht der Banken teilgenommen. Nur die ehemaligen Zentralbanker haben mitgearbeitet.
Aber die Berichte der Working Groups werden offenbar zu «G30-Berichten», hinter denen auch die aktiven Zentralbanker stehen, wie die Chefs der EZB, der New York Fed und der Bank von England. Sie geben ihre Namen und das Renommee ihres Amtes für Aufsichtsempfehlungen der G30 her, die im Wesentlichen von Topmanagern der Beaufsichtigten selber erarbeitet wurden.
Im ersten G30-Bericht von 2012, einer Dreierreihe zur Bankaufsicht, war an unauffälliger Stelle noch erwähnt worden, dass die Empfehlungen allein die Arbeitsgruppe verantworte. Im Vorwort wurden die Zentralbanker im Gremium nochmal explizit davon freigestellt, die Empfehlungen mittragen zu müssen:
«All G30 members (aside from those with current national official responsibilities) have had the opportunity to review and discuss preliminary drafts. The report does not reflect the official views of those in policy-making positions.»
Zu deutsch: Aktive Zentralbanker und Regierungsmitglieder im Gremium hätten anders als die übrigen G30 Mitglieder zum Entwurf der Arbeitsgruppe nicht Stellung nehmen dürfen, und es wird ausdrücklich offen gelassen, ob sie deren Empfehlungen mittragen.
Doch beim zweiten Bericht der Reihe von 2013, und beim bisher letzten, der Ende Juli vorgestellt wurde, fehlen all diese Freistellungen. Die aktiven Zentralbanker tragen die Veröffentlichungen, die als «G30-Reports» verbreitet werden, also mit.
G30 will zum Erfolg von Grossbanken aktiv beitragen
Natürlich lauten die Empfehlungen der aus Top-Managern der privaten Finanzbranche bestehenden Arbeitsgruppe an die Aufsicht so, wie man es erwarten würde:
«Der Aufsicht ist es wichtig, dass Finanzinstitute erfolgreich sind, denn das ist die beste Versicherung dafür, dass sie sicher und gesund sind», heisst es im G30-Bericht «A New Paradigm: Financial Institutions Boards and Supervisors» von Ende 2013, mit dem wir anfangen wollen, weil der aktuelle kürzlich vorgestellte Bericht sich auf diesen bezieht.
Gemeint sind mit der erwähnten Formulierung – wie der Kontext deutlich zeigt – nur die Gewinne der grossen, systemisch relevanten Institute. Denn die kleinen Institute kann man leicht abwickeln, wenn sie Verluste machen. Je mehr sich die Grossen gegen die Kleinen durchsetzen, desto besser für die Finanzstabilität, so die Logik der Interessenvertreter der Mega-Finanzinstitute in der G30.
Und die aktiven und ehemaligen Notenbanker unterstützen diese Empfehlungen gerne. Sie arbeiteten oder arbeiten ja schon für diese Megabanken oder werden wahrscheinlich später für sie arbeiten. Wenn es ihnen nicht gut geht, wenn die grossen Finanzinstitute keine hohen Gewinne machen, dann können diese Finanzinstitute den ehemaligen Bankaufsehern keine zweistelligen Millionengehälter zahlen, so wie zum Beispiel die UBS Axel Weber.
Gewinne der Grossbanken mit Insiderwissen steigern
Die G30 empfiehlt den Aufsehern, aktiv zu helfen, die Gewinne der Grossbanken zu sichern. Die Aufsichtsorgane sollen «ihre einzigartige Perspektive» aus ihrer Erfahrung mit Konkurrenzvergleichen und mit Finanzmarktrends einbringen, und sie sollen die grossen Finanzinstitute, um die sie sich kümmern, auf etwaige Schwächen ihrer Strategien oder ihres Geschäftsmodells hinweisen.
«Einzigartige Perspektive» ist eine Umschreibung für Informationen, die die Aufseher im Zuge ihrer hoheitlichen Aufgaben und Kompetenzen über die Branche und über die Märkte bekommen. Informationen also, die Institute selber allenfalls erahnen können.
Im Klartext: Eine Organisation in welcher der Chef der in Europa für die Aufsicht über Grossbanken zuständigen EZB sitzt, ruft in einem Bericht die Aufseher dazu auf, ihre hoheitlichen Informationen über Konkurrenten der beaufsichtigten Grossbank und über Trends der Finanzmärkte zugunsten dieser beaufsichtigten Grossbank zu nutzen.
Die Aufseher sollen die Informationen zwar nicht direkt weitergeben, sondern sie nur nutzen, um den Grossbanken beim Optimieren der Geschäftsstrategie zu helfen. Wenn etwa der Aufseher aufgrund seiner hoheitlichen Informationen ahnt, dass auf dem Derivatemarkt übles bevorsteht, dann ist es genauso verwerflich, wenn er einer beaufsichtigten Grossbank empfiehlt, sie solle ihr Derivategeschäft aus Risikogründen lieber zurückfahren, wie wenn er ihr gleich seine hoheitliche Information weitergibt.
Im Original ist u.a. zu lesen:
«Assessment of strategies, business model, and risk vulnerabilities: areas where supervisors can bring unique perspectives derived from their experience and analysis of peer situations and emerging trends within financial markets.»
Die «kleinen» lässt man straucheln
Nochmals im Klartext: Wenn eine «nicht systemrelevante» Regionalbank oder Sparkasse eine schlechte Geschäftsstrategie und ein nicht funktionierendes Geschäftsmodell hat, macht sie halt Verluste und wird irgendwann geschluckt von den Grossen oder abgewickelt. Das ist Marktwirtschaft.
Wenn die Führung einer systemrelevanten Grossbank nichts taugt und eine falsche Geschäftsstrategie verfolgt, dann helfen ihr die Aufseher, indem sie ihre hoheitlichen Informationen nutzen, um das Geschäftsmodell der Grossbank so zu optimieren, dass die Gewinne sprudeln. So stellt sich die G30 das vor..
Nicht nur ist das rechtlich äusserst fragwürdig. Die Prämisse ist auch noch falsch. Das Finanzsystem wird nicht sicherer dadurch, dass die Aufseher den grossen, systemrelevanten Mega-Banken im Wettbewerb mit den kleinen ungefährlichen Banken helfen und so dazu beitragen, dass sie noch grösser werden und die kleinen verdrängen und schlucken.
Als G30-Bericht getarnte Wunschliste der Aufseher
Ganz zu Anfang des G30-Berichts von 2013 ist zu lesen, dass die «Aufseher-Community» diese skandalösen Empfehlungen bestellt habe. In Reaktion auf einen früheren Bericht der Grossbanken-Lobbygruppe habe nämlich «die Aufsichts- und Finanzstabilitätsrats-Gemeinschaft die G30 gedrängt, mehr Einsichten mitzuteilen».
Das ist vielleicht der Grund, weshalb die G30 auf die vorher üblichen Verbaltänze um die Freistellung der aktiven Zentralbanker von der Mitautorenschaft verzichtete. Die Bankenaufseher selbst haben die G30-Working Group aufgefordert, ihre eigene Wunschliste als «G30-Bericht» vorzulegen.
Daraus resultierte die Empfehlung, dass die Aufseher hohe Gewinne der Grossbanken fördern sollen, auch durch Nutzung von hoheitlichen und sensiblen Informationen.
Es kam auch die Empfehlung dabei heraus, dass die Aufseher sich nicht ins Geschäft einmischen sollen, sondern «sich auf die Governance, das Risikomanagement und die Kontrollprozesse der Institutionen verlassen sollen.»
Es stellte sich auch heraus, dass die Aufsichtsräte der Finanzinstitute als Vertreter der Aktionäre deckungsgleich Interessen mit denen der Aufseher haben, denn:
«Aufsichtsräte kümmern sich zu Recht um Aktionärsinteressen. Zwar ist die Verteidigung der Interessen von Aktionären nicht im Mandat der Aufseher, aber sie müssen sich auch dafür interessieren, wie die Aktionäre behandelt werden, denn von ihnen kommt das Kapital um Finanzinstitute zu stützen.»
Neuster Bericht: Appell an Selbstregulierung
Der aktuelle G30-Bericht von Ende Juli 2015 trägt den Titel «Banking Conduct and Culture: A Call for Sustained and Comprehensive Reform». Darin geht es um eine gute Unternehmenskultur in Finanzinstituten und wie diese das Vertrauen der Kunden und Bevölkerung zurückgewinnen können, denn dies sei «eine Voraussetzung für langfristig tragfähige Gewinne und – auf mittlere Sicht – einen Wettbewerbsvorteil».
Da sind sie wieder, die Gewinne und der Wettbewerbsvorteil, die die Aufseher in der G30 ihren Grossschäfchen in der privaten Bankbranche wünschen.
Die Gruppe der 30 stellt im Bericht fest, dass das Vertrauen der Bevölkerung in die Banken zerstört sei, die Reputation der Finanzbranche sei inzwischen fast so schlecht wie jene der Medien. Die Empfehlung an die Aufseher lautet, dass sie die Kultur der Institutionen nicht zu bewerten hätten, wohl aber Tipps geben dürfen, wie man sie verbessern könnte.
Aufseher sollen auch «sehr gut die begrenzte Effektivität des Vorschreibens von Regeln» für das Verhalten bedenken, denn «Verhalten im Allgemeinen ist Gesetzen und Regulierung nicht zugänglich». Das Verhalten der Banker in Einklang mit Werten und internen Verhaltensregeln zu bringen, sei Sache der Unternehmen.
Dann heisst es aber auch wieder: «Vollstreckungsbehörden sollten über die Neigung neu nachdenken, gegen Institutionen vorzugehen, anstatt gegen Individuen, damit die erwünschten Anreizeffekte erzielt werden.»
Die Aufseher sollen es also allein dem Management der Finanzinstitute überlassen, welche Verhaltensregeln für die Händler und Kundenberater es gibt, aber wenn Betrug oder Ähnliches in grossem Massstab stattfindet, dann sollen doch lieber Bauernopfer eingefordert werden, als die armen Aktionäre und damit indirekt auch das mit Aktien bezahlte Top-Management zu bestrafen.
Monieren – aber nicht sanktionieren
Natürlich wollen die Lobbyisten der Grossbanken das Beste aus allen Welten, wenn man sie danach fragt. Aber darf ein Mario Draghi seinen Namen und das Renommée der EZB hergeben, um solche Wunschlisten an die Aufseher zu propagieren und mit einem offiziellen Anschein zu versehen?
Überdies – so der neuste G30-Bericht – sollten die Aufseher die Banker noch öfter als bisher auf «Fehler» hinweisen, ohne gleich Sanktionen zu verhängen. So könnten «ernste Mängel» vertrauensvoll im Frühstadium abgestellt werden. Unangenehme Überraschungen sollen die Banker von den Aufsehern möglichst wenig befürchten müssen, fordert die Gruppe der 30.
Ein extremes Beispiel um die Implikation zu verdeutlichen: Angenommen, ich bin im Waffenhandel tätig und mache auch noch in verwandten Branchen Geschäfte, wenn es lukrativ erscheint. Dann würde ich mir von der Polizei auch wünschen, dass sie mich mit Überraschungen in Ruhe lässt, dass sie sich lieber um Prävention kümmert und mich erst einmal sanktionsfrei auf ihr Missfallen hinweist, wenn sie feststellt, dass in meinem Unternehmen jemand unerlaubte Waffengeschäfte mit Terroristen plant oder abwickelt, oder Drogengeschäfte oder sont etwas Kriminelles.
Da ist es doch wirklich viel besser, wenn frühzeitig und vertrauensvoll ohne Sanktionen eingegriffen und korrigiert wird. Ich würde das dann sofort abstellen. Und ich würde mir auch wünschen, dass – falls dann doch einmal so etwas vorkommt und erst nachträglich entdeckt wird –, nicht mein Unternehmen geschlossen oder zur illegalen Organisation erklärt wird, sondern die Person, welche die Geschäfte getätigt hat, zur Verantwortung gezogen wird.
Wenn allerdings der Polizeichef mit mir eine Group of 2 bilden würde und wir gemeinsam derartige Empfehlungen für die Polizeiarbeit herausgeben würden, damit seine Leute und meine Leute wissen, wie sie sich verhalten sollen, dann würde sicher mancher die Vorzüge dieses Ansatzes verkennen und diesen Polizeichef irrtümlich für korrupt halten.
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Dieser Beitrag ist auf der Webseite von Norbert Häring «Geld und mehr» erschienen.
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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine.