CCP

Partei-Propaganda: Plakat mit den führenden Köpfen an einer Hauswand in Peking © Harald Groven/Flickr/cc

«Die Partei gleicht einem roten Rotary-Club»

Peter G. Achten /  Das Schicksal der kommunistischen Partei hängt am steigenden Wohlstand. Die Menschen in China waren noch nie so frei wie heute.

Die Kommunistische Partei Chinas feiert jeweils am 1. Juli den Jahrestag ihrer Gründung. Etwas zu früh. Doch das spielt fast ein Jahrhundert danach keine Rolle mehr.
Im Juli 1921 versammelten sich in Shanghai auf Einladung der Kommunistischen Internationalen (Komintern) 13 chinesische Genossen zur Parteigründung. Sie vertraten rund 60 Kommunisten von wenigen Zellen in China. Welche Personen an der konspirativen Zusammenkunft in Shanghai anwesend waren, ist bis heute nicht ganz geklärt. Sechs Namen sind gesichert, da sie in allen Quellen auftauchen. Darunter befindet sich auch Mao Zedong. Die zwei wichtigsten chinesischen Marxisten jener Zeit, die Professoren Chen Duxiu und Li Dazhao, fehlten.
Weil es über die Versammlung keine offiziellen Unterlagen gibt, ist auch das Datum der Parteigründung unklar. Am wahrscheinlichsten ist auf Grund der wenigen gesicherten Quellen jedoch der 23. Juli. Warum aber feiert die KP am 1. Juli den Jahrestag ihrer Gründung? Die Antwort ist banal. Als Mao 1938 während des anti-japanischen Krieges in der kommunistischen Basis in Yan’an in Nordchina einmal nach dem Gründungsdatum der Partei gefragt wurde, konnte er sich nicht mehr genau erinnern. Einfachheitshalber gab er den 1. Juli an.
Unter den Direktiven Moskaus
Die KP Chinas wurde von Anfang an nach den Richtlinien der 1917 in Russland erfolgreichen Bolschewiken als leninistische, streng hierarchische Kaderpartei nach dem Prinzip des «demokratischen Zentralismus» aufgebaut. Dass heisst: Weisungen gehen von oben nach unten, leitende Kader werden von unten nach oben gewählt. Die Parteistrukturen wurden auf den Staat übertragen, als oberstes Führungsorgan der Partei – und mithin des Staates – wurde der alle fünf Jahre einzuberufende Parteitag installiert.
Das Zentralkomitee (ZK) ist die Spitze der Hierarchie und zählt 150 bis 200 Vollmitglieder. Das ZK wählt das Politbüro bestehend aus rund 25 Mitgliedern. Der Ständige Ausschuss des Politbüros, derzeit sieben Mitglieder angeführt vom Generalsekretär, ist das Machtzentrum der Partei. Seit der Gründung der KP Chinas ist das summa summarum so geblieben.
Ideologisch hing die KP Chinas zu Beginn am Tropf der moskowitischen Komintern-Direktiven. Der Grosse Bruder postulierte das Industrieproletariat als Avantgarde der Revolution. Das gab es zwar in China auch, etwa in Shanghai, aber die überwiegende Mehrheit der chinesischen Bevölkerung bestand aus Bauern. Mao Zedong, selber aus einer Grossbauern-Familie stammend, begriff den Widerspruch schnell. Er definierte landlose Bauern und Kleinbauern kurzerhand als Proletariat. Doch erst auf dem «Langen Marsch» 1934/35 auf der Flucht vor der Armee des nationalistischen Generalissimo Chiang Kai-shek konnte sich Mao gegen die Moskau-treue Fraktion durchsetzen und zum unbestrittenen Parteichef aufsteigen.
Nach dem Sieg im Bürgerkrieg 1949 musste sich Mao, weil international boykottiert, wohl oder übel dem sowjetischen Diktat beugen und das sowjetische Wirtschaftsmodell übernehmen. Doch spätestens nach Chruschtschows Anti-Stalin-Rede 1956 waren die sino-russischen Beziehungen extrem gespannt, vier Jahre später kam es zum Bruch. Mao wollte Moskau nicht mehr als Führer der Weltrevolution anerkennen. Er hatte andere, ehrgeizigere Ideen.
Der «Grosse Sprung nach vorn» ins Desaster
Der «Grosse Vorsitzende» wollte seiner kommunistischen Sicht der Welt zum Durchbruch verhelfen. 1958 wurde die Landwirtschaft in Kommunen organisiert, die gesamte Produktion von Peking aus festgelegt und dirigiert. Es war der «Grosse Sprung nach vorn». Nicht nur die ideologisch unzuverlässige Sowjetunion sollte eingeholt, sondern auch die Industrieländer überholt werden. Maos Utopie endete in einem Desaster. Die grösste Hungersnot der Weltgeschichte war die Folge mit – je nach Schätzung – 35 bis 45 Millionen Toten.
Wenige Jahre später iniziierte der «Grosse Steuermann» die «Grosse Proletarische Kulturrevolution» (1966–76). Unter dem Kampfruf «Bombardiert die Hauptquartiere!» sollten die jungen Roten Garden alles Alte radikal ausmerzen. Doch auch diese Kampagne, angeführt von Maos Frau Jiang Qing als Oberhaupt der berühmt-berüchtigten Viererbande, war ein Desaster. Millionen litten, wurden drangsaliert, ins Gefängnis geworfen, umgebracht. Staatspräsident Liu Shaoqi verendete elendiglich als «Kapitalist Nr. 1» im Gefängnis, Deng Xiaoping wurde als «Kapitalist Nr. 2» in den Süden verbannt, wo er als einfacher Arbeiter sein Dasein fristete.
Mit dem Tod Maos am 9. September 1976 war die Kulturrevolution zu Ende. Die KP Chinas, kaum erholt von den Misserfolgen Maos, urteilte milde. Mao, so das offizielle Partei-Verdikt anfangs der 1980er-Jahre, habe 70 Prozent Gutes und 30 Prozent Schlechtes zu verantworten.
Politik der Reform und Öffnung
Seit Beginn der von Deng Xiaoping Ende 1978 eingeführten Politik der Reform und Öffnung hat sich die allmächtige Kommunistische Partei langsam von einer revolutionären zu einer regierenden Partei gewandelt. Im ersten Reformjahrzehnt hatten noch die alten Revolutionäre das Sagen. Zumal 1989 als eine überhitzte Wirtschaft mit einer Hyperinflation zu den Protesten von Studenten und Arbeitern auf dem Platz vor dem Tor des Himmlischen Friedens Tiananmen führte. Deng Xiaoping und die alte Führungsgarde beendeten die «konterrevolutionäre Rebellion» mit Waffengewalt. Ihre Argumentation: kein erneutes Chaos wie während der Kulturrevolution. Chaos sei wirtschaftsfeindlich und dem Wohlstand des Volkes abträglich.
In den letzten 25 Jahren entwickelte sich die KP Chinas immer mehr zu einer Volkspartei, wenn auch mit Ausschliesslichkeitsanspruch. Seit 1989 unter der Führung der Staats- und Parteichefs Jiang Zemin, Hu Jintao und Xi Jinping stützt sich die Partei immer mehr auf die schnell wachsende Mittelklasse, die – je nach Definition – mittlerweile zwischen 300 und 450 Millionen Menschen zählt. Gleichzeitig versucht die KP auch, das harte Los der Bauern und vor allem der rund 300 Millionen Wanderarbeiter zu lindern. Die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich, Stadt und Land, reichem Küstengürtel und ärmeren Provinzen kann sich nach Erkenntnis der Partei das Land nicht leisten. Stabilität und konfuzianische Harmonie sind gefragt. Denn wie einst die Kaiser, wissen heute die geschichtsbewussten obersten KP-Funktionäre, dass bei sozialen Unruhen das Mandat des Himmels, also die Macht auf dem Spiel steht.
Den Wohlstand mehren
Partei-, Staats- und Militärchef Xi Jinping ist seit Ende 2012 an der Macht und sieht sich und die Partei neuen, grossen Herausforderungen gegenüber. Er muss ein neues Wirtschaftsmodell in die Tat umsetzen, von einer export- und investitionsabhängigen Ökonomie hin zu mehr Umweltverträglichkeit, Konsum, Dienstleistungen, Produktivität und Innovation. Politisch gefordert sind zudem mehr Transparenz, mehr Rechtsstaat und Kampf gegen Korruption.
Diese Reformen umzusetzen ist nicht einfach, weil Xi und Genossen bei der Umsetzung alteingesessene Interessen und Pfründe in Frage stellen müssen. In den Worte Xis: «Die Effektivität der Partei muss unmittelbar gemessen werden am Nutzen für die Menschen, an der Verbesserung der Lebensumstände und daran, wie gut Rechte gewahrt und Interessen vertreten werden. Die Partei muss mit Kompetenz, Disziplin und Hingabe regieren

Ideologisch läuft alles unter dem Obertitel «Sozialismus chinesischer Prägung». Demnach befindet sich die Volksrepublik gegenwärtig im «Anfangsstadium des Sozialismus». Es gelten unverändert die Anfang der 1980er-Jahre von Deng Xiaoping dekredierten vier Grundprinzipien: Führungsrolle der Partei, demokratische Diktatur des Volks, sozialistischer Entwicklungsweg sowie Marxismus-Leninismus-Mao-Zedong-Denken. Parteichef Xi hat bereits durchgegriffen und unter dem Applaus des Volkes hoch- und niedrigrangige Parteifunktionäre – Tiger und Fliegen – der Korruption überführt. In anderen Bereichen hat Xi in den letzten zwei Jahren – Internet, Medien, Dissidenten – die Repressions-Schraube merklich angezogen. Das selbst deklarierte Ziel des Parteichefs: bis 2020 eine Gesellschaft mit bescheidenem Wohlstand, bis 2050 gar eine «komplett modernisierte Nation». Mit andern Worten: Die Legitimität der allmächtigen KP beruht heute und in Zukunft auf der Mehrung des Wohlstandes.
Das autoritäre Führungsmodell hat in den letzten dreieinhalb Jahrzehnten grosse Erfolge gebracht. Noch nie ging es den Chinesinnen und Chinesen in ihrer 3500-jährigen Geschichte so gut wie heute, und noch nie in der neuesten Geschichte war das chinesische Volk – trotz aller Menschenrechts-Probleme – so frei wie heute.
Hohe Hürden für die Mitgliedschaft
Zum diesjährigen 94. Jahrestag der Parteigründung liess die Parteizentrale Zhongnanhai in Peking – im Volksmund: die neue Verbotene Stadt – mitteilen, dass die Partei 87,8 Millionen Mitglieder zähle. Bauern und Industriearbeiter sind nicht mehr die treibenden Kräfte der Partei. Der Frauenanteil ist mit 24,7 Prozent längst nicht das, was sich Frauenfreund Mao einst erhofft hatte, sagte er doch einst, die Frauen trügen den halben Himmel. Parteizellen gibt es überall im Staat, aber auch in Privatbetrieben, Gemeinschaftsunternehmen und ausländischen Firmen.
Wenige Wochen nach dem Crash der chinesischen Börsen könnte man etwas maliziös kommentieren, dass die Zahl von rund 88 Millionen Parteimitgliedern ungefähr der Zahl jener grossen und vor allem kleinen Spekulanten entspricht, die am Börsen-Casino zocken.
Die Mitgliedschaft in der grössten politischen Partei ist jedenfalls nach wie vor heiss begehrt. Parteimitglied zu sein, bringt Status und praktische Vorteile. Inzwischen bemühen sich erfolgreich etwa auch Privatunternehmer und Künstler um eine Aufnahme. Doch die Hürden sind hoch. Im vergangenen Jahr bewarben sich 22 Millionen Chinesinnen und Chinesen für die Mitgliedschaft. Nicht einmal zehn Prozent schafften es in die Partei. Die Kommunistische Partei – chinesisch Gong Chan Dang, übersetzt «Partei der Gütergemeinschaft» – sei, sagte mir ein langjähriger Bekannter in Shanghai im Vertrauen, so etwas wie ein roter Rotary-Club.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Peter Achten arbeitet seit Jahrzehnten als Journalist in China.

Zum Infosperber-Dossier:

Flagge_China

Chinas Innenpolitik

Hohe Wachstumszahlen; riesige Devisenreserven; sozialer Konfliktstoff; Umweltzerstörung; Herrschaft einer Partei

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3 Meinungen

  • Portrait_Pirmin_Meier
    am 23.07.2015 um 10:10 Uhr
    Permalink

    Es fehlt noch die in Blogs hier auch schon gewünschte Analyse der neuesten sog. China-Blase, die parallel zu den Problemen mit dem Euro abläuft und von der wenig gesprochen wird. Dass China für die Weltwirtschaft viel wichtiger ist als Griechenland, dürfte auf der Hand liegen.

    Selber habe ich ganz bestimmte Erfahrungen betr. Übersetzungen von Schweizer Büchern usw. ins Chinesische, auch betreffend die Kontrolle des Geisteslebens. Objektiv ist es nicht leichter wie die Vermittlung von Schweizer Literatur damals im 3. Reich (worüber ich sehr gut im Bilde bin), der Spielraum ist eher noch kleiner. Wenn China noch nie so frei war wie heute, was möglich, aber nicht sicher ist, so sind wir in der Schweiz offenbar immer noch hundertmal freier, zumal auch bei den gewerkschaftlichen Möglichkeiten und im Geistesleben, was mehr Wertschätzung verdienen würde und nicht als Selbstverständlichkeit genommen werden sollte.

  • am 23.07.2015 um 21:29 Uhr
    Permalink

    Die beste Schätzung der Opfer beim Sprung nach vorn ist 36 Millionen Todesopfer + 40 Millionen weniger Geburten.
    Quelle (Tombstone: The Great Chinese Famine, 1958-1962 by Yang Jisheng, Edward Friedman, Stacy Mosher and Jian Guo (Amazon, 2012))

    MfG
    Werner T. Meyer

  • Portrait_Pirmin_Meier
    am 24.07.2015 um 08:29 Uhr
    Permalink

    Hier scheint es mir schwierig, obwohl im Einzelfall nicht ausgeschlossen, bei solchen Zahlen, die auch politisch ins Feld geführt werden und die Atmosphäre vergiften, eine persönliche Schuldfrage zu stellen oder gar eine Aufrechnung zu Faschismus und Nationalsozialismus zu machen, wie es seit Jahrzehnten üblich geworden ist. Unter solchen moralischen Gesichtspunkten lässt sich, wie es Goethe schon anmerkte, keine Geschichte schreiben. Allerdings ist das Diktum von Napoleon, der natürlich wusste, warum er es sagte, nicht haltbar: «Für die Kollektivverbrechen ist niemand haftbar.»

    Der letztere Satz ist trotzdem denkwürdig und erinnert ein wenig an den hilflosen Prozess gegen den Auschwitz-Buchhalter dieser Tage. Unschuld kann ausgeschlossen werden, wie es Dürrenmatt sogar für die Schweiz vermerkte, aber vor allem vom moralischen Überlegenheitsgefühl der Nachgeborenen ist zu warnen. Man sollte immer zuerst an die eigene Verantwortung für das laufende Unrecht auf dieser Welt denken.

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