Zumach

Andras Zumach: «Wir brauchen eine reformierte UNO, die handlungsfähig ist» © ARD

Globales Chaos – machtlose UNO

Red. /  Die Welt braucht eine starke, politisch handlungsfähige UNO. Doch ohne umfassende UN-Reform sieht es für die Zukunft düster aus.

Krieg in der Ukraine und in Syrien, der Konflikt im Gazastreifen, der brutale Vormarsch der Terrormilizen des «Islamischen Staats»: Auf der Welt, so scheint es, herrschen Chaos und Gewalt. «Die UNO ist mit ihren Bemühungen zur Eindämmung und Beendigung dieser Krisen und Gewaltkonflikte entweder gescheitert, oder sie hat erst gar keine entsprechenden Bemühungen unternommen.» Der Journalist und langjährige UN-Korrespondent Andreas Zumach zieht eine bittere Bilanz. Sein neues Buch trägt denn auch den wenig hoffnungsvollen Titel «Globales Chaos – machtlose UNO».

«Die UNO» gibt es nicht

Trotz vieler Unzulänglichkeiten verteidigt Andreas Zumach aber die UNO gegen pauschale Angriffe: «‹Die UNO› als ein eigenständig handlungsfähiges Subjekt existiert nicht», sagt der UNO-Experte im Gespräch mit dem Hessischen Rundfunk. Sie sei ein kompliziertes Netzwerk von inzwischen 193 souveränen Nationalstaaten mit oftmals sehr unterschiedlichen Interessen. «Deshalb kann die UNO immer nur so stark sein, wie es ihre Mitglieder – vor allem die grossen – zulassen.» Das erklärt auch das klägliche Versagen der Weltorganisation im Syrienkrieg und bei Ebola. Doch Zumach ist überzeugt: «Ohne diese UNO hätte es weit mehr als die 260 Kriege und Gewaltkonflikte seit 1945 gegeben. In einigen dieser Konflikte wären wahrscheinlich Atomwaffen eingesetzt worden.»
Auch Gunter Pleuger, von 2002 bis 2006 Deutschlands UN-Botschafter in New York, steht heute ambivalent zur UNO. Sie sei in einem kritischen Zustand, aber ohne sie würden jegliche internationalen Regeln fallen, so Pleuger: «Die UNO ist die einzige Institution, die wir haben, die global zuständig ist und internationales Völkerrecht setzen kann.» Manchmal funktioniert das. So zum Beispiel, als die UNO 1988 den jahrelangen Krieg zwischen Iran und Irak beendete oder als sie 1999 das Verbot von Antipersonen-Minen verabschiedete.

Vetomächte als Verhinderer

«Künftige Generationen vor der Geissel des Krieges zu bewahren» – das ist das formulierte Hauptziel der UNO. Allerdings: Seit Beginn des Jahrtausends trägt die UNO kaum mehr zum Frieden auf der Welt bei. Politische, wirtschaftliche und militärische Interessen der Mitgliedstaaten bestimmen das Handeln der UNO – die stärksten setzen sich durch. Dabei werden die Vetomächte USA, Grossbritannien, Frankreich, China und Russland immer mehr zum Problem. Sie haben sich bei der UNO-Gründung 1945 ein Vetorecht gesichert, mit dem sie bis heute alle mehrheitlich gefällten Beschlüsse im Sicherheitsrat verhindern können. Und davon machen sie fleissig Gebrauch.
«95 Prozent aller Mitgliedsstaaten halten das Vetorecht für undemokratisch und unzeitgemäss», sagt Gunter Pleuger im Gespräch mit dem Hessischen Rundfunk. «Das ist besonders ausgeprägt bei den fünf ständigen Mitgliedern, denn die entscheiden praktisch immer nur in Erfüllung ihrer nationalen Interessen.»
Mehr noch: Mitgliedsländer verstossen immer wieder gegen die UNO-Charta, das Völkerrecht und Menschenrechte – allen voran die USA. Zumach erinnert daran, wie die Vereinigten Staaten 2003 vor den Augen der Weltöffentlichkeit die UNO demütigten – mit der Lüge von den irakischen Massenvernichtungswaffen. Gunter Pleuger vertrat Deutschland damals als Mitglied im Sicherheitsrat: «Das war ein dunkler Moment, als Colin Powell die Begründung für diesen Krieg im Sicherheitsrat vortrug. Das hatte etwas Unheimliches. Und alle wussten auch, dass das, was dort vorgetragen wurde, nicht den Tatsachen entsprach.»

Permanenter Geldmangel

Nicht allein nationale Interessen schränken die Handlungsfähigkeit der UNO und ihrer Hilfsorganisationen ein. Ein weiteres Problem ist der permanente Geldmangel. Grosse Mitgliedsländer zahlen ihre Beiträge nicht pünktlich – und würden so die UNO erpressen, wenn ihnen Beschlüsse nicht passen, sagt Andreas Zumach. Mit dramatischen Folgen: Ende 2014 musste die UNO ihre Lebensmittellieferungen für 1,7 Millionen syrische Flüchtlinge einstellen. Das gab es noch nie. Laut Zumach haben schliesslich Mitarbeiter des Welternährungsprogramms auf Twitter, Facebook und anderen sozialen Medien weltweit um Geld gebettelt. «Auf diese Weise sind 85 Millionen Dollar in sechs Tagen zusammengekommen.»

Reformen sind dringen notwendig

Eine UNO, die handlungsfähig ist bei der Bewältigung von Konflikten, Klimawandel, Hunger, Epidemien und anderen globalen Herausforderungen wird heute ebenso dringend gebraucht wie bei ihrer Gründung vor 70 Jahren. Aber eine solche UNO wird es nur geben, wenn die Mitgliedstaaten zu wesentlichen Reformen bereit sind und alles daran setzen, die Weltorganisation zu deblockieren. Die Grossmächte sollten auf das Veto verzichten, um die Vollversammlung zu stärken. Zudem sei eine grundlegende Reform der Finanzierung des UNO-Systems nötig, so Zumach. Seit Jahren liegen zahlreiche Reformvorschläge auf dem Tisch, um die Handlungsfähigkeit der Weltorganisation zu verbessern. Ob sie je umgesetzt werden, ist jedoch fraglich. Laut Zumach könnte es gelingen, wenn sich unter den 193 Mitgliedsstaaten der Generalversammlung eine strategische «Koalition williger Multilateralisten» zusammenfindet, die bereit ist, die Vorschläge auch dann umzusetzen, wenn die USA, China, Russland oder andere Vetomächte und gewichtige Mitgliedstaaten sich zunächst nicht beteiligen oder sogar ausdrücklich dagegen sind. Denn: «Wir brauchen eine reformierte UNO, die handlungsfähig ist, und wir brauchen eine globale Institution, weil wir eine Reihe von Problemen haben, die wirklich globaler Natur sind und auch nur gemeinsam, global – wenn überhaupt – bewältigt werden können.»



Buch bestellen:
Andreas Zumach, «Globales Chaos-machtlose UNO» – Ist die Weltorganisation überflüssig geworden? 1. Auflage März 2015, Rotpunktverlag, CHF 24.00


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Andreas Zumach ist spezialisiert auf Völkerrecht, Menschenrechtspolitik, Sicherheitspolitik, Rüstungskontrolle und internationale Organisationen. Er arbeitet am europäischen Hauptsitz der Uno in Genf als Korrespondent für Printmedien, wie beispielsweise die tageszeitung (taz), Die Presse (Wien), die WoZ und das St. Galler Volksblatt, sowie für deutschsprachige Radiostationen und das Schweizer Fernsehen SRF. Bekannt wurde Zumach 2003 als Kritiker des dritten Golfkrieges. Im Jahr 2009 wurde ihm der Göttinger Friedenspreis verliehen. Seit einem Jahr ist Andreas Zumach auch regelmässiger Autor der Info-Plattform Infosperber.ch, wofür ihm die Redaktionsleitung auch an dieser Stelle herzlich danken möchte.

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