Berner Wasseramt und Eawag schlagen Pestizid-Alarm
Das Pestizidgeschäft boomt: Der Basler Chemiekonzern Syngenta verkaufte letztes Jahr weltweit Pestizide für rund 11,4 Milliarden US-Dollar und fuhr einen Reingewinn von 1,6 Milliarden US-Dollar ein. Der Umsatz des grössten Pestizidproduzenten der Welt, der in 90 Ländern über 28‘000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt, wuchs erneut um fünf Prozent. Die Aktionäre durften sich über eine Dividendenerhöhung von 10 % freuen und Syngenta-Chef Mike Mack kassierte mit 7,5 Millionen Franken 67 % mehr als im Vorjahr. Andere Agrochemie-Giganten wie Bayer, BASF und Monsanto legten ebenso kräftig zu.
Pestizid-Grenzwerte werden seit Jahren überschritten
Die Kehrseite dieses Wachstums zeigt sich auch in den Flüssen des Schweizer Mittellandes. Zum Beispiel in der Langete, die sich idyllisch durchs bernische Langetental schlängelt und kurz unterhalb des Städtchens Langenthal in die Aare mündet. Von April bis Juni ist hier das Wasser dermassen mit einem Pestizid-Cocktail aus der Landwirtschaft angereichert, dass die Pestizid-Konzentrationen um ein Vielfaches über dem erlaubten Grenzwert der Gewässerschutzverordnung (GSchV) von 0,1 Mikrogramm (μg) pro Liter liegen. Allen voran die Wirkstoffe Metamitron und Metribuzin mit Konzentrationen von extrem hohen 2,3 μg/l und 1,0 μg/l.
Diese alarmierenden Messresultate stehen in einem Bericht, den das Amt für Wasser und Abfall des Kantons Berns (AWA) letzten Februar im Magazin «Aqua & Gas» veröffentlicht hat. Laut AWA-Bericht sind die Pestizidwerte in der Langete und in weiteren Flüssen des bernischen Mittellandes als «sehr hoch einzustufen». Man müsse davon ausgehen, «dass die Spitzenkonzentrationen in den Gewässern, z. B. während Regenereignissen, noch um ein Mehrfaches höher liegen». Deshalb seien «dringend weitere Massnahmen zur Reduktion der Belastungen erforderlich».
In den Fliessgewässern des Mittellandes wird der Pestizidgrenzwert seit Jahren regelmässig und zum Teil um ein Mehrfaches überschritten. Laut einer Studie der Eawag, dem Wasserforschungs-Instituts der ETH, wurden in den fünf mittelgrossen Flüssen Salmsacher Aach (SG), Furtbach (ZH), Surb (AG), Limpach (SO) und Mentue (VD) in jeder Probe durchschnittlich 40 Pestizide gemessen. Insgesamt überschritten 31 Pestizide den Grenzwert der Gewässerschutzverordnung. Vereinzelt gab es Grenzwertüberschreitungen um mehr als das Zehnfache. Die Eawag spricht von «sehr hohen Konzentrationen».
Pestizid-Cocktails sind noch weit gravierender
Das Problem ist aber noch weit gravierender: Werden nämlich die Messwerte der 40 Pestizide aufaddiert, liegen 78% der Proben über 1 μg/l, also über dem Zehnfachen des Grenzwerts von 0,1 μg/l für einzelne Pestizide. Die Eawag-Studie kommt zum Schluss: «Die Vielzahl nachgewiesener Stoffe in jeder Probe ist ein klares Zeichen, dass für die ökotoxikologische Beurteilung in Zukunft Ansätze zur Beurteilung der Mischungstoxizität berücksichtigt werden müssen.» Erstaunlicherweise gibt es bisher noch gar keine Grenzwerte für Stoffmischungen. Zudem gilt der Grenzwert von 0,1 μg/l für alle Pestizide gleichermassen, ungeachtet deren Giftigkeit.
Die Toxizität von solchen Pestizid-Cocktails ist erst seit ein paar Jahren Thema wissenschaftlicher Untersuchungen. Anlässlich eines Workshops des Oekotoxzentrums der Eawag vor vier Jahren wurde die «unzureichende Kommunikation zwischen Behörden und Forschung» bemängelt, wie es in einer Publikation des Oekotoxzentrums heisst. Inzwischen hat das Oekotoxzentrum ein Modell zur Berechnung der Mischtoxizität entwickelt, das vom Amt für Wasser und Abfall des Kantons Bern (AWA) erstmals in der Praxis angewendet wurde und dessen Resultate in der eingangs erwähnten Februar-Ausgabe des Magazins «Aqua & Gas» publiziert wurden.
Weitere Massnahmen sind «unbedingt erforderlich»
Der AWA-Bericht stellt fest, dass in den drei Flüssen Langete, Limpach und Urtenen aufgrund der Mischtoxizität ein Schadstoffrisiko für Algen und Wirbellose besteht. Am meisten tragen die Herbizide Terbuthylazin, Metribuzin, Metolachlor und MCPA sowie das Insektizid Diazinon zur Mischtoxizität bei. Der Bericht kommt zum Schluss, dass «in Mittellandgewässern ein erhebliches Schadstoffrisiko für Gewässerorganismen und möglicherweise auch für die langfristige Nutzung der Wasserressourcen durch den Menschen besteht». Deshalb seien weitere Anstrengungen zur Reduktion der Pestizidbelastung «unbedingt erforderlich».
Das Amt für Wasser des Kantons Bern und das Wasserforschungsinstitut der ETH kommen also aufgrund ihrer Messungen zum gleichen Schluss und fordern dringend Massnahmen. Die Gelegenheit dazu bietet sich mit der aktuellen Revision der Gewässerschutzverordnung (GSchV) und dem nationalen Aktionsplan zur Pestizidreduktion, der bis Ende 2016 vorliegen soll.
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Der Artikel ist eine gekürzte Fassung eines Artikels, der im Pro Natura Magazin vom Mai 2015 erschienen ist.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine