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Düstere Prognosen für die Schweizer Wirtschaft? – Kurzfristige Daten nicht überbewerten © nafets/Pixabay/cc

Wie das BIP «brutal» schrumpft und stark wächst

Hanspeter Guggenbühl /  Medien schüren Angst vor Rezession. Doch kurzfristige Schätzungen über den Gang der Wirtschaft sind mit Vorsicht zu geniessen.

Minus 0,2 Prozent. Diese kleine Zahl machte letzte Woche grosse Schlagzeilen: «Starker Franken lässt die Schweizer Wirtschaft schrumpfen», meldete das Schweizer Radio am 29. Mai zum Auftakt seiner Mittagsnachrichten. Am Abend zog die Tagesschau nach mit dem Titel: «Frankenschock lässt Wirtschaft schrumpfen». Gibt es eine Rezession, fragte der TV-Redaktor bang und liess vier Ökonomen zu Worte kommen, die mit «Ja» antworteten. Tags darauf titelte der Zürcher «Tages-Anzeiger»: «Der harte Franken schlägt rasch und brutal durch». Etwas nüchterner kommentierte die NZZ: «Schweizer Wirtschaft unter Mehrfachbelastung».

Quartalszahlen als erste Schätzung

Den Anstoss gab das Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco), das am Freitagmorgen meldete: «Das reale Bruttoinlandprodukt der Schweiz (BIP) ging im 1. Quartal 2014 um 0,2 Prozent zurück». Das sei «eine starke Eintrübung», sagte Seco-Ökonom Eric Scheidegger dem staatlichen Radio – und legitimierte damit den Aufhänger in den Mittagsnachrichten. Andere Medien hingegen berichteten über das Communiqué des Seco nur kurz und ohne Dramatik. Zu Recht. Denn kurzfristige Schätzungen über den Gang der Wirtschaft sind aus mehreren Gründen mit Vorsicht zu geniessen:

● Bei den Quartalszahlen über die Entwicklung des realen, also teuerungsbereinigten BIP handelt es sich um erste Schätzungen. Selbst die Jahreszahlen gelten anfänglich nur «provisorisch» und werden später oft korrigiert.

● Das Minus von 0,2 Prozent im 1. Quartal 2015 (Januar bis März) bezieht sich auf das vorangegangene Quartal vom Oktober bis Dezember 2014, also eine andere Jahreszeit. Vergleicht man mit dem gleichen Quartal im Vorjahr (Januar bis März 2014), so erhöhte sich das reale BIP laut Seco-Schätzung um 1,1 Prozent. Diese Zunahme dämpft die eingangs zitierte «brutale» Wirkung des «Frankenschocks».

Wirtschaft schwer messbar

Generell gilt es, die Resultate der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) zu relativieren. Denn VRG und BIP basieren auf Annahmen, Indikatoren und komplizierten Berechnungen. Damit versuchen Volkswirtschafterinnen und Statistiker, «die wirtschaftliche Realität eines Landes möglichst genau abzubilden», schreibt das Bundesamt für Statistik (BFS).

Doch die wirtschaftlichen Strukturen wandeln sich, ebenso die Meinungen über die richtigen Messmethoden. Darum werden volkswirtschaftliche Rechnungen periodisch revidiert. Dabei entstehen Abweichungen, die sich meist vor der Kommastelle bewegen. Das bestätigen die Korrekturen, die aus den neusten VGR-Revisionen resultierten:

● Im Jahr 2010 betrug das Bruttoinlandprodukt (BIP) der Schweiz, also die gesamte inländische Wertschöpfung, 551 Milliarden Franken; dies gemäss alten Daten. Die Revision im Jahr 2012 liess das BIP des Jahres 2010 um 23 Milliarden oder 4,2 Prozent wachsen. Nach der neusten Revision im September 2014 stieg das BIP des Jahres 2010 um weitere 33 Milliarden auf neu 606 Milliarden Franken. Zwei Revisionen haben damit den Schweizer Wirtschaftskuchen im selben Jahr um stolze 10 Prozent vergrössert – allerdings nur auf dem Papier, denn Nachzahlungen an Produzenten und Konsumenten gab es keine.

● Die Revisionen erhöhten auch die prozentualen Wachstumsraten des teuerungsbereinigten Bruttoinlandprodukts: Gemäss alten Daten stieg das BIP real in der Schweiz von 2000 bis 2010 um 17,7 Prozent. Gemäss neusten, 2014 revidierten Daten resultierte zwischen 2000 und 2010 ein BIP-Wachstum von 20 Prozent (siehe Grafik).

(Grafik vergrössern)
Allein die revidierten Erhebungsmethoden vergrösserten die Wachstumsrate des BIP innerhalb von zehn Jahren also um 2,3 Prozentpunkte oder um mehr als 10 Prozent.

Lieber ungenau und richtig

Damit sei nicht behauptet, die Aufwertung der Schweizer Währung gehe spurlos an der Schweizer Wirtschaft vorbei. Der starke Franken schwächt zweifellos die Konkurrenzfähigkeit oder Rendite im Tourismus und anderen Exportbranchen. Voreilig aber ist die Überbewertung von kurzfristigen Wirtschaftsdaten. Wichtiger als präzise Resultate bis hinter die Kommastelle auszuwalzen, ist es, ungenaue Statistiken richtig zu interpretieren.

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine.

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