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Indonesiens Präsident Joko «Jokowi» Widodo ist seit einem halben Jahr im Amt. © Global Panorama/flickr/cc

Made in Asia: Realpolitiker «Jokowi»

Peter G. Achten /  Mit Vorschusslorbeeren angetreten, versucht sich Indonesiens Präsident Joko «Jokowi» Widodo in der Realpolitik durchzusetzen.

Indonesien teilt das Schicksal vieler Schwellen- und Entwicklungsländer. Wahrgenommen werden sie in der veröffentlichten Meinung, zumal des Westens, meist nur bei Terroranschlägen, happiger Korruption, bei Natur-, Wirtschafts- und Sozialkatastrophen oder zum Thema Menschenrechte. Denn Schlagzeilen und zehntausendfache Klicks liefern ganz nach dem Muster des liberalen westlichen Medienverständnisses nur bad news. Gute Nachrichten sind, wer wüsste es nicht, in der Regel no news.

17‘000 Inseln

Die Wandlung Indonesiens vom autoritären zum demokratischen Staat in den vergangenen fünfzehn Jahren war langsam, mühsam und widersprüchlich, also wenig schlagzeilenträchtig. Eine solche Entwicklung kritisch beobachtend zu begleiten, ist für das serbelnde Zeitungsgewerbe sowie die elektronischen Medien meist zu aufwendig und kostspielig. Und doch, das grösste Land Südostasiens mit heute 250 Millionen Einwohnern hätte mehr Aufmerksamkeit verdient, zumal sich der Wohlstand bescheiden gemehrt, die Wirtschaft alles in allem gut entwickelt hat und mithin auch für Industrieländer interessant geworden ist. Immerhin ist das Archipel mit 17‘000 Inseln – 6‘000 davon bewohnt – als wichtiges Schwellenland Mitglied der G-20. Auch die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) wertet Indonesien in einem Bericht als vielversprechendes Schwellenland mit grossem Potenzial.

Die Wachstumsraten bewegen sich seit zehn Jahren kontinuierlich um die 5%. Ziel von Widodos neuer Regierung für die kommenden Jahre sind annähernd 6% bei einer Inflation zwischen 3% und 5%. Um diese Ziele auch nur annähernd erreichen zu können, bedarf es freilich grosser Anstrengungen. Reformen mahnt die OECD beispielsweise an bei der ineffizienten Verwaltung oder der Eindämmung der Korruption. Auch der grosse informelle Sektor und die daraus resultierende schmale Steuerbasis sind Probleme, die eher heute als morgen angegangen werden müssten. Ohne grundlegende Reformen also wird es auch dem beim Volk äusserst beliebten Präsidenten Joko Widodo, der in Indonesien praktisch nur liebevoll «Jokowi» genannt wird, kaum möglich sein, dass sich der Staat um seine Kernkompetenz – nämlich Bildung, wirtschaftliche Rahmenbedingungen, Infrastruktur und transparente Administration – kümmern kann.

Machthungrige Wölfe und Löwen

Einige nationale und viele internationale Kritiker beginnen Widodo bereits vorzuhalten, dass er als ehemaliger Bürgermeister von Surakarta und Gouverneur der Millionen-Megalopolis Jakarte nicht das Format habe, ein derart grosses und bevölkerungsreiches Land wie Indonesien zu führen. Die Kritik greift wohl zu kurz. Die indonesische Politik nämlich wird diktiert von «gnadenlosen, machthungrigen Wölfen und Löwen» (Tageszeitung «Jakarta Poste»). Seit Amtsantritt Ende 2014 hat sich «Jokowi» gut eingearbeitet und ist leidlich erfolgreich. Er hat die Treibstoff-Subventionen gegen grossen politischen Widerstand und Murren im Volke kurzerhand gestrichen, was die notorisch seichte Staatskasse mit dringend benötigten Finanzen von jährlich über 15 Milliarden Dollar alimentiert. Die Volksmassen wiederum hat er mit einem angedrohten Arbeits-Verbot von Indonesierinnen und Indonesiern in 21 Ländern des Nahen Osten auf seine Seite gebracht. Rund zwei Millionen arbeiten in Saudi-Arabien, Ägypten, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Katar und andern Ländern und werden dort laut Arbeitsminister Hanif Dhakiri «oft schlecht behandelt und schlecht bezahlt».

Innenpolitisch freilich hat Präsident Widodo einen schweren Stand. Er muss sich mit der ehemaligen Präsidentin Megawati Sukarnoputri, Tochter des legendären Staatengründers Sukarno, ins Einvernehmen setzen. Das ist schwierig. Denn Sukarnoputri ist Präsidentin der regierenden Demokratischen Partei des Kampfes (PDI-P). Parteimitglied «Jokowi» eckt dort bei der machtbewussten Präsidentin mit seinen Ideen oft an.

«Mit Blut befleckt»

International ins Gerede gekommen ist Präsident Widodo kürzlich durch die Hinrichtung von acht ausländischen Drogen-Dealern. UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon, Frankreichs Président Hollande, Brasiliens Präsidentin Dilma Roussef und Australiens Premier Tony Abbott haben ihre Stimme gegen die Hinrichtungen erhoben. Selbst der in Asien berühmte philippinische Preisboxer Pacquiao hat sich in einem Brief für die zum Tode Verurteilten eingesetzt. Umsonst. Widodos Hände, so Kommentare in den westlichen Medien, seien jetzt «mit Blut befleckt». Dass Bundesrat Schneider-Ammann am Besuch Widodos im nächsten Jahr in der Schweiz festhält, hat in Bundesbern deshalb bei einigen Parteien für Verstimmung gesorgt. Aussenminister Burkhalter gab kleinlaut und im üblichen Schweizer Diplomaten-Lingo bekannt, er habe das Problem in Jakarta «angesprochen». Für einmal hat Schneider-Amman recht. Denn mit «Blut befleckt» sind viele Hände von Politikern, welche die Schweiz besuchen oder enge Beziehungen zur Schweiz pflegen. Sind beispielsweise US-Präsident Obamas Hände mit Blut befleckt, weil man in den USA, dem selbsternannten Paradies der Menschenrechte, zum Tode Verurteilte zum Teil ein oder zwei Jahrzehnte im Todestrakt gefangenhält und danach in den Tod spritzt? Anders gefragt: Hat je ein westlicher Staatschef in der Frage der Todesstrafe gegenüber US-Präsident Obama den moralischen Zeigefinger erhoben oder den Gruss wegen «blutiger Hände» verweigert?

Joko «Jokowi» Widodos Überzeugung, die Todesstrafe wirke abschreckend, ist in Ost und West längst widerlegt. Aber, so die «Jakarta Post», was der Westen nicht verstehe, sei die Tatsache, dass man einen Javaner – und «Jokowi» ist auf Java geboren und aufgewachsen – nie bedrängen sollte, schon gar nicht mit moralischen Vorwürfen und dem erhobenen Zeigefinger. Kommt dazu, dass die überwiegende Mehrheit des Volkes die Todesstrafe befürwortet. Präsident Widodo hat mit seiner harten Haltung deshalb innenpolitisch gepunktet.

Marode Infrastruktur

Unterdessen ist Indonesien aus den Schlagzeilen verschwunden. Der indonesische Präsident versucht derweil, sein Land ökonomisch und sozial voranzubringen. «Jokowi» hat grosse Pläne. Die Asiatische Entwicklungsbank ADB hat neulich festgestellt, dass eine gut ausgebaute Infrastruktur für Wachstum und Wohlergehen eines Landes wichtig sei. Investitionen in die Infrastruktur ergäben eine bessere Effizienz, eine höhere Wettbewerbsfähigkeit fördere die nationale Integration und die internationale Verbundenheit. Nach diesem Muster sind Projekte in Angriff genommen worden in Sumatra und Java. Es geht um den Ausbau von Hafenanlagen, die Verbesserung der Stromversorgung, Strassenbau, um Trinkwasserversorgung, Flughäfen und den öffentlichen Wohnungsbau.

In den nächsten fünf Jahren hat die Regierung dafür rund 80 Milliarden Dollar budgetiert. Finanzminister Bambang Brodjonegoro mahnt deshalb, dass Indonesien seine Aufgaben erfüllen müsse. Investoren aus dem Ausland, fügte der Minister hinzu, beobachteten die Entwicklung genau. Für Indonesien sei es entscheidend, zusätzliches Geld auch von Privatinvestoren zu erhalten. Das Vertrauen der Investoren müsse wiederhergestellt werden. Öffentlich-Private-Partnerschaften (PPP) seien dabei ein vielversprechendes Business Modell.

«Maritime Demokratie»

Die ADB rechnet mit einem Gesamtbedarf für Indonesiens marode Infrastruktur von 400 Milliarden Dollar. Präsident Widodo setzt dabei auch auf Kapital der beiden asiatischen Wirtschaftsriesen China und Japan, genauso gut wie auf die von China angedachte Asiatische Infrastruktur Investment Bank (AIIB). Nicht von ungefähr führte die erste Auslandreise von Präsident Joko «Jokowi» Widodo sowohl nach Tokio als auch nach Peking. Die indonesischen Pläne fügen sich nahtlos ein in die von Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping lancierte Wiederbelebung der Seidenstrassen zu Wasser und zu Land. Die weltoffene «maritime Demokratie» – Japans Premier Abe über Indonesien – habe eine grosse Zukunft.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Peter Achten arbeitet seit Jahrzehnten als Journalist in China.

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Eine Meinung zu

  • am 24.05.2015 um 12:47 Uhr
    Permalink

    Danke für den hochinteressanten Artikel!

    Das Schulwesen wurde nicht erwähnt. Die Normalschule ist nominal gratis, ist aber schlecht geführt und de facto gratis eben nicht. Mindestkosten: Uniformen, Bücher und Zeugnisse. Die kosten im billigsten Fall etwa CHF200.-/ Jahr.
    Eine Frau in Java, welche Perlen auf Täschchen aufstickt, benötigt für ein Täschchen 2 Tage und verdient damit 30 Rappen. Man rechne…
    Die Kinder solcher Eltern gehen nicht zur Schule, oder wenn, dann vielleicht drei Jahre.

    Ich stehe den herrschenden Schulsystemen, auch in Europa, sehr kritisch gegenüber. Doch ist es, so meine Schätzung, 80% der Kinder aus finanziellen Gründen nicht möglich, die Schulbildung zu absolvieren, welche notwendig wäre, damit sie ihren Fähigkeiten entsprechende Tätigkeiten ausüben können, und das betrachte ich als krassen Missstand.

    Privatschulen sind besser. Doch die kosten monatlich CHF100.- und mehr, das ist für mindestens 95% der Eltern unerschwinglich. Die Oberschicht bleibt sauber unter sich. Die hierarchischen Strukturen werden konsolidiert.

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