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Verantwortung von Konzernen: Wohlfeile Empfehlungen genügen nicht © cc

Runde Tische statt endlich Taten

Red. /  Gegen die Ausbeutung in der Dritten Welt will der Bundesrat nichts vorschreiben. Ein Wunschkatalog an Konzerne soll es richten.

upg. «Ausbeutung» in der Dritten Welt ist einer der schärfsten Vorwürfe, den multinationale Konzerne zu hören bekommen. Tatsächlich zahlen sie häufig Hungerlöhne und hinterlassen nach ihrem Weiterziehen eine verbrannte Erde. Die Konzerne verstecken sich hinter den nationalen Gesetzen, die sie einhalten würden, und dem harten Wettbewerb, dem sie ausgesetzt seien.

Anfang April hat der Bundesrat ein Positionspapier zur «gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen» veröffentlicht. Urs Birchler, Professor am Institut für Banking und Finance der Universität Zürich, sowie Thomas Beschorner, Professor am Institut für Wirtschaftsethik an der Universität St. Gallen, und Thomas Hajduk, wissenschaftlicher Assistent an diesem Institut, haben das Bundesratspapier in der NZZ kritisch beleuchtet. Mit Einverständnis der Autoren stellen wir ihre Beiträge hier zur Diskussion.

UNTERNEHMEN ALS STAATSGEHILFEN
Von Professor Urs Birchler
Die Schweiz geht zu einer neuen Wirtschaftsform über. Weiss (freie Marktwirtschaft) oder Schwarz (reine Staatswirtschaft) war sie zwar nie, dem Bundesrat schwebt aber eine besondere Schattierung von Dunkelgrau vor.
Er sieht die Unternehmen neu als verlängerten Arm des Staates. «Der Bund erwartet von den Wirtschaftsakteuren, dass sie ihre gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen», heisst es in der Medienmitteilung zu einem im April veröffentlichten Positionspapier.
Diese Verantwortung «umfasst ein breites Spektrum von Themen, die bei der Unternehmensführung neben den Eigentümerinteressen zu berücksichtigen sind. Dazu gehören die Arbeitsbedingungen (inkl. Gesundheitsschutz), Menschenrechte, Umwelt, Korruptionsprävention, fairer Wettbewerb, Verbraucherinteressen, Steuern, Transparenz … Berücksichtigung der Bedürfnisse der lokalen Umgebung, Einbindung lokaler Kapazitäten, Wissenstransfer, Schutz der Rechte an geistigem Eigentum usw.» Kurz: Die Unternehmen haben eine Reihe von Aufgaben zu erfüllen, zu denen dem Staat die Rechtsgrundlage, die finanziellen Mittel oder schlicht der Wille fehlen.
Vorschriften hätten im demokratischen Prozess keine Chance
Der Bundesrat könnte beispielsweise Kinderarbeit direkt angehen: Importe aus Staaten mit Kinderarbeit verbieten; den Verkauf von Produkten subventionieren, deren Verkäufer lückenlos dokumentieren können, dass in der Wertschöpfungskette keine Kinder beteiligt sind; Produkte verbieten, für welche dieser Nachweis nicht vorliegt; die arbeitenden Kinder selber anstellen, damit sie in die Schule statt in die Fabrikhalle gehen. Dies alles tut er aus guten Gründen nicht, entsprechende Vorschläge würden den demokratischen Prozess in der Schweiz nicht überleben. Wieso dann den Unternehmen eine Last aufbürden, welche der Staat selber als untragbar einschätzt?
Kein Benzin aus Saudiarabien?
Soll ein KMU aus dem Appenzellischen seinem chinesischen Kunden Vorhaltungen bezüglich Menschenrechten machen? Darf das Uhrengeschäft an der Zürcher Bahnhofstrasse nur noch an Kunden verkaufen, die schwören, das Geld für die Uhr versteuert zu haben und die Uhr keinesfalls einem Beamten zu schenken? Und darf die Tankstelle am Genfersee Benzin verkaufen, das aus einem Land stammt, in dem Frauen nicht ans Steuer dürfen?
«Runde Tische» und «Sensibilisierungsaktivitäten»
Dem Bund gelingt es offenbar nicht, über den demokratischen Weg seinen Beitrag zur Bekämpfung der im Ausland staatlich geduldeten oder gar mitverursachten Missstände zu leisten. Anstatt selber Verantwortung zu übernehmen, schickt er die Schweizer Unternehmen vor. Genauer: Er «informiert» sie über seine «Erwartungen», eine Formulierung mit der auch kriminelle Organisationen gerne den illegalen Tarif durchgeben.
Der Bundesrat malt mit mehr als fünfzig Graustufen das Zusammenwirken von Staat und staatsdienender Privatwirtschaft. Der Aktionsplan (25 Seiten) verspricht: öffentlich-private Partnerschaften, runde Tische mit Anspruchsgruppen (auch bei KMU), einen «Kompass Nachhaltigkeit», Schulungen, Austausch von Best Practices, Informations- und Sensibilisierungsaktivitäten, Unterstützung international anerkannter Institute, die Förderung von Verantwortlichkeits-Themen in Ausbildungsgängen von Hochschulen.
Aber es soll auch Geld fliessen, z. B. als Beiträge zur Förderung nachhaltiger und entwicklungsfördernder privater Investitionen. Der Bundesrat ist von seiner neuen Wirtschaftsform derart begeistert, dass er sie auch im Ausland propagieren möchte: «Die Regierungen dieser Länder unterstützt der Bund bei der Schaffung und Umsetzung eines gesetzlichen Rahmens, der es ihnen erlaubt, den Privatsektor auf das Ziel der nachhaltigen Entwicklung auszurichten
Appelle zur Verantwortung der Konzerne gibt es bereits viele
Dabei hat der Bundesrat die Idee der «Corporate Social Responsibility» selber importiert. Sie ist längst umgegossen in Empfehlungen internationaler Organisationen: Die «Sustainable Development Goals» der Uno (169 Ziele), Empfehlungen der OECD, eine EU-Richtlinie sowie der Leitfaden ISO 26000. Die private «Global Reporting Initiative» verlangt von den Unternehmen obendrein eine standardisierte, transparente Berichterstattung (121 Kriterien).
Häufig liegt Staatsversagen vor
Der Bundesrat argumentiert, eine verantwortungsvolle Tätigkeit liege im eigenen Interesse der Unternehmen. Richtig. Tatsächlich findet ein schweizerisches Unternehmen schon heute kaum mehr fähige Mitarbeiter, wenn es verantwortungslose Praktiken duldet. Weshalb braucht es also den Bund, um die Unternehmen an ihre Interessen zu erinnern? Nicht nur sind Unternehmen überfordert mit der Wahrnehmung von gesellschaftlichen, d. h. Staatsaufgaben. Geradezu absurd mutet an, dass die Missstände, deren Behebung in der «Verantwortung» der Schweizer Unternehmen liegen soll, zumeist selber aus einem Staatsversagen stammen – der Unfähigkeit von Regierungen, Menschenrechte, Umwelt, geistiges Eigentum zu respektieren oder die Korruption zu bekämpfen.
Bundesrat will Fankurven in die Spielleitung einbeziehen
Eine Umsetzung der «Erwartungen» des Bundes erfordert die Zusammenarbeit vieler Beteiligter: Beamte, administrative Mitarbeiter in Unternehmen, Verbandsvertreter, NGO, Unternehmensberater, PR-Agenturen; den akademischen Segen spenden die Wirtschaftsethiker. Nach der Devise «Foul ist nicht nur, wenn der Schiedsrichter pfeift» (Thomas Beschorner) möchten sie gleich die Fankurven in die Spielleitung einbeziehen.
Statt Regeln diffuse Erwartungen
Viele Unternehmen legen bereits heute freiwillig Rechenschaft ab gegenüber einem Heer von Betroffenen (Stakeholders), in einer Wolke von Regeln und Kriterien, die nie einen demokratischen Ausleseprozess gesehen haben, die keinen greifbaren Absender tragen und gegen die keinerlei Einsprache möglich ist. Nun will der Bund als aktiver Partner in dieses Spiel eintreten – aber nicht als Staat, der verbindliche und klare Regeln setzt und durchsetzt, sondern als Absender diffuser «Erwartungen». Und niemand protestiert. Mir graut.


«EIN NICHT SEHR GELUNGENER APRILSCHERZ»
Von Thomas Beschorner und Thomas Hajduk
Am 1. April hat der Bundesrat ein Positionspapier zur «gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen» verabschiedet, das man – links wie rechts – für einen nicht sehr gelungenen Aprilscherz hält. Die einen sehen im Dokument eine Art kommunistisches Manifest, in dem mit einem «überladenen Forderungskatalog» (NZZ 2. 4. 15) Unmögliches von Unternehmen verlangt wird und das «eine langfristig giftige Wirtschaftsphilosophie» (Urs Birchler) einschliesst.
Auf der anderen Seite meldet sich die kritische Nichtregierungsorganisation Erklärung von Bern zu Wort, die sich über den Regierungsvorschlag amüsiert, weil das Papier aus ihrer Sicht zu einseitig auf das freiwillige Engagement von Unternehmen setzt und damit staatliche Regulierungen systematisch ausblendet.
Definition der Unternehmensverantwortung
Die unter Koordination des Seco entwickelte CSR-Strategie der Schweiz klärt zunächst, was der Bund unter «gesellschaftlicher Verantwortung von Unternehmen» versteht, und definiert dann auf dieser Grundlage vier strategische Prioritäten bei der Förderung von CSR: Es geht hier um (inter)nationale Rahmenbedingungen, das Bewusstsein für verantwortungsvolles Handeln im In- und Ausland sowie die Kommunikation des CSR-Engagements. Der zweite Teil, der «Aktionsplan 2015–2019», nennt zahlreiche Aktivitäten, mit denen diese vier Schwerpunkte erreicht werden sollen.
Es erscheint uns durchaus bemerkenswert, welch insgesamt reifes Verständnis von «Corporate Social Responsibility» den Überlegungen zugrunde liegt. Dies spiegelt sich nicht nur in der Benennung und Adressierung umfangreicher Themenfelder, sondern insbesondere auch in einer Definition von Unternehmensverantwortung.
Nicht nur ein ökonomisches, sondern auch ein moralisches Verhalten gefordert
Diese stellt, erstens, auf die Integration von unternehmerischer Verantwortung mit den geschäftlichen Tätigkeiten des Unternehmens ab (ist also nicht vom unternehmerischen Kerngeschäft separiert). Zweitens wird damit zusammenhängend der Fehler vermieden, CSR «lediglich» auf eine blosse Vermeidung «schlechter Geschäftspraktiken» (Korruption, Geldwäsche usw.) zu beschränken. Vielmehr versteht man Unternehmensverantwortung eine proaktive unternehmerische Gestaltungsfunktion von Gesellschaft (in der Schweiz und im Ausland) zum Zwecke einer nachhaltigen Entwicklung.
Und drittens vermeidet dieses Positionspapier (wenigstens teilweise) ein zu «billiges Reden» von CSR, die es nur dann zu praktizieren gilt, wenn es sich betriebswirtschaftlich rechnet (der «business case»). Unternehmensverantwortung kann sich für Unternehmen rechnen. Es rechnet sich aber nicht notwendigerweise immer, was von Unternehmen ein moralisches und nicht nur ein ökonomisches Verhalten erfordert.
Die Welt ist leider kein Win-win-Wonderland, wenn wir es mit der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen wirklich ernst meinen! In konstruktiver Absicht seien hier drei zentrale Aspekte angesprochen:
► Wir stimmen erstens mit der Kritik der Erklärung von Bern darin überein, dass die klassische Rolle von Politik als regulierende Instanz in dem Positionspapier in den Hintergrund gerückt wird. Die Schweizer CSR-Strategie spricht hier (wie die EU) nebulös von einem «smart mix» zwischen politischen Rahmenbedingungen und freiwilligem Engagement von Unternehmen. Diese so positiv konnotierte Wortschöpfung (wer ist nicht gerne «smart»?) schliesst jedoch die Wirksamkeit verbindlicher politischer Massnahmen nicht aus. Es kann harte Regulierungen geben, die genau dann ziemlich «smart» sind, wenn von Unternehmensseite wenig bis gar nichts kommt. Teile des Schweizer Rohstoffhandels sind dafür leider ein gutes Beispiel, wie Studien sehr klar zeigen.
► Der «Aktionsplan» stellt zweitens nicht eindeutig klar, welches laufende (nach unserer Einschätzung die deutliche Mehrzahl) und welches künftige Aktivitäten sind; er erweckt dadurch den Eindruck, dass es um eine Art (interne) Bestandsaufnahme von Aktivitäten aus unterschiedlichen Departementen geht. Wünschenswert wäre ein Aktionsplan mit Zielen, Verantwortlichkeiten und Fristen gewesen, wie wir ihn aus den Strategien der EU und anderer europäischer Länder kennen.
► Das Positionspapier unterstreicht drittens an verschiedenen Stellen die Relevanz von branchenspezifischen Problembereichen und die Notwendigkeit branchenspezifischer Lösungsansätze. In Anbetracht der grossen Bedeutung von Banken und Finanzdienstleistern am Bankenplatz Schweiz fällt auf, dass das Thema Bankenethik nahezu vollständig ausgespart wird.
In der Skepsis gegenüber Corporate Social Responsibility sind sich Vertreter unterschiedlicher politischer Couleur (wenn auch aus ganz unterschiedlichen Gründen) einig, wie wir eingangs dargelegt haben. Eine kritische Begleitung dieses Themenfeldes erscheint uns von der einen wie von der anderen Seite durchaus wichtig. Gefragt ist dabei aber Augenmass statt ideologischer Scheuklappen. Und daher seien links und rechts daran erinnert: Es geht um die Lösung gesellschaftlicher Probleme – in der Schweiz und in der Welt.
Weder die Marktwirtschaft noch politische Regulierungen sind Religionen, sondern jeweils nur mögliche Koordinationsmechanismen zur Lösung dieser gesellschaftlichen Probleme.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Urs Birchler ist Professor für Banking am Institut für Banking und Finance der Universität Zürich. Thomas Beschorner ist Professor und Direktor des Instituts für Wirtschaftsethik an der Universität St. Gallen, Thomas Hajduk ist wissenschaftlicher Assistent am Institut.

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Eine Meinung zu

  • am 10.05.2015 um 21:22 Uhr
    Permalink

    Was der Bundesrat da macht, ist ein klarer Bruch des internationalen Rechts. Menschenrechte verpflichten primär die Staaten ihren Einwohnern gegenüber. Wo diese das nicht (allein) können, stehen die anderen Staaten in der Pflicht. Natürlich nach Massgabe ihres Einflusses. Im Falle der Schweiz ist das insbesondere auch der Einfluss auf multinationale Firmen unter ihrer Rechtssprechung (Sitz in Zug und Restschweiz). Im Falle von Gewaltkonflikten ist diese Pflicht besonders gegeben.

    Diese Aufgaben den Unternehmen überlassen zu wollen (die indirekter oder nur über freiwillige Global compacts verpflichtbar sind) ist kriminell.

    Werner T. Meyer

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