Yanis Varoufakis – man kann von ihm auch lernen
Die deutsche Springer-Presse scheint es wieder einmal geschafft zu haben: einen missliebigen Politiker aus Amt und Würden zu hieven. Zumindest meldet sie selber bereits dessen Entmachtung…
Die Rede ist von Yanis Varoufakis, dem griechischen Finanzminister. Die deutschen Medien, das Fernsehen inbegriffen, haben ihn von Anfang an schlecht gemacht, mit unendlichen Diskussionen um einen Stinkefinger, mit seinen schrecklichen Manieren (er kommt in der Lederjacke daher statt im dunklen Anzug der Banker, und er fährt Motorrad!), ja selbst dass er eine schöne Frau hat, wird moniert. Und was er sagt, ist eh daneben. Wenn einer es wagt, auch Deutschland zu kritisieren, mit Verlaub, dann hat er in der hohen Politik der EU echt nichts zu suchen…
Angesagt wäre Hinsehen und Hinhören
Wir wissen es, vor allem aus der Bild-Zeitung: Nicht Griechenland und seine Wirtschaft mit ihrer Überschuldung und der negativen Handelsbilanz ist in der EU ein Problem, es sind DIE Griechen. Springers Meinungsmache-Blatt verbreitet es bald täglich in Millionenauflage: DIE Griechen sind faul, DIE Griechen sind gierig auf das Geld der Deutschen. Und einige Schweizer Medien sind nicht zu stolz, es pauschal nachzubeten. Der ehemalige Chefredaktor der Springer-Edelpostille «Die Welt» und heutige Chefredaktor und Verleger der Schweizer «Weltwoche», Roger Köppel, war kürzlich selber auf einer griechischen Insel und traf dort auf «bestens gelaunte Griechen mit schönen Autos» – ein klarer Beweis für DIE faulen und gierigen Griechen…
Ist auch der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis ein fauler Grieche, wie alle seine Landsleute? Wohl eher nicht. Der in Essex promovierte Wirtschaftswissenschafter hat schon längst, bevor er Ende Januar 2015 griechischer Finanzminister wurde, in der internationalen Debatte um die Mechanismen der Weltwirtschaft aktiv mitdiskutiert, mit einer Reihe vielbeachteter Beiträge in Fachpublikationen der Wirtschaftswissenschaften. Und 2011 hat er auch ein ganzes Buch geschrieben, das selbst Journalisten verstehen könnten, wenn sie sich denn die Zeit nähmen, die 269 Seiten zu lesen. Einfacher ist es, wie zum Beispiel der berichterstattende Journalist auf Bilanz-online und Handelszeitung-online es machte: auf ein Zitat aus dem Guardian zu verweisen, das auf dem Rücken-Deckel der deutschen Ausgabe des Buches wiedergegeben ist.
Worum geht es bei Yanis Varoufakis?
In seinem Buch Der globale Minotaurus, Amerika und die Zukunft der Weltwirtschaft schildert Varoufakis detailliert und sehr anschaulich die Entwicklung des Finanzmarktes nach dem Zweiten Weltkrieg, angefangen bei Bretton-Woods im Juli 1944, wo von 44 Staaten ein neues Währungssystem ausgehandelt und beschlossen wurde. Nicht gehört dort wurde allerdings eine Warnung des bekannten britischen Ökonomen John Maynard Keynes, dass es bei einem solchen Währungssystem auch einen Mechanismus zum Ausgleich der Handelsbilanzen brauche. Die USA lehnten das ab in der Überzeugung, sie selber würden als «Überschussland auf ewig» diese Situation zur Stärkung ihrer hegemonialen Position auf der Welt nutzen können.
Nur, es kam dann anders. 1971 waren die USA nach den Regeln von Bretton-Woods eigentlich pleite. Und was machten sie: sie setzten den Goldstandard ausser Kraft und liessen sich in der Folge ihr doppeltes Defizit (Budgetdefizit und Handelsbilanzdefizit) von den anderen Staaten finanzieren. Varoufakis beschreibt diese Umkehr des Mechanismus anschaulich und angereichert mit vielen Beispielen und Zahlen. Und Varoufakis nennt in seinem Buch dieses System der Fremdfinanzierung eben das System des globalen Minotaurus – in Anlehnung an die griechische Mythologie (siehe unten).
Varoufakis beschreibt detailliert – aber immer spannend – , wie es die USA tatsächlich schafften, ihre hegemoniale Position dann nicht mehr mit, sondern trotz dem neuem Währungssystem (dem Floating) und trotz doppeltem Defizit aufrecht zu erhalten. Eine grosse Hilfe war, dass der US-Dollar die globale Leitwährung blieb. Aber es kamen auch andere Punkte dazu; einer war auch die globale militärische Vormacht, die «Stärke» der USA im engeren Sinne des Wortes.
Und dann kam 2008 der Zusammenbruch all der zwischenzeitlich produzierten Blasen. Von dieser Krise hat sich die Welt noch immer nicht richtig erholt, denn das System mit dem mangelnden Instrumentarium des Ausgleichs ist bis heute unverändert. Und an diesem Punkt schwenkt Varoufakis denn auch über zu Europa, wo mittlerweile das gleiche Problem besteht: 19 Länder haben die gleiche Währung, aber es gibt kein Instrumentarium, die Überschüsse und Defizite auszugleichen. Und genau das ist die Ursache der sogenannten Euro-Krise, denn als Ganzes hat die EU durchaus eine positive Handelsbilanz. Aber wie kommt das Geld von den Überschussländern in die Defizitländer?
Und wer ist an dem Malaise schuldig?
Dass Deutschland in diesem Buch von Varoufakis nicht immer gut wegkommt, ist nicht verwunderlich, denn immerhin machte auch Deutschland nach dem Amtsantritt von Angela Merkel zuerst erhebliche Defizite und musste bei den Euro-Vertragspartnern um Geduld bitten. Jetzt aber gibt es aus Sicht von Berlin nur noch eine Haltung: Die Defizitländer werden zu einer harten Austerity-Politik gezwungen, den Gürtel also (noch) enger zu schnallen, was überall zuerst zu weiteren Abstürzen führt.
Wo immer Wirtschaftswissenschafter am Analysieren oder gar Prognostizieren sind, wird etwas augenfällig: So einfach ist die ganze Geschichte nicht und so klar sind auch die Mechanismen von Ursache und Wirkung in der Finanzwelt nicht. Es bleibt einiger Spielraum der Interpretation. Varoufakis erklärt das finanzpolitische Vorgehen der USA und speziell ihrer höchst erfinderischen (und auch skrupellosen!) Banken meist als langfristig geplant und also absichtlich und gezielt, wo andere Wirtschaftswissenschafter oft nur Zufälle zu erkennen glauben. So kommt das Buch – in der Summe – recht USA-kritisch daher.
Damit aber taucht auch ein anderer Verdacht auf: Könnte es sein, dass Yanis Varoufakis politische Grundhaltung, seine klare Ablehnung des westlichen Kasino-Kapitalismus, die eigentliche Ursache seiner Bekämpfung in vielen deutschen Medien ist? Völlig abwegig ist diese Überlegung zumindest nicht.
Das Buch hat auch Schwächen
Yanis Varoufakis Buch aus dem Jahr 2011 Der globale Minotaurus hat zwei Schwächen. Die eine ist die finanztechnische Fachsimpelei ausgerechnet im allerersten Kapitel, die manchen Lesern das Weiterlesen erschwert. Empfehlung: erst beim Kapitel 2 «Zukunftslabore» zu lesen anfangen. Das erste Kapitel kann man hinterher nachlesen.
Das andere ist die Metapher des Minotaurus. Minotaurus ist das «Kind» der Pasiphae, die aber nicht von ihrem Ehemann Minos, dem König von Kreta, begattet worden war, sondern von einem Stier. Minotaurus war also ein Mischwesen, hatte einen menschlichen Körper, aber den Kopf eines Stiers, und ihm mussten regelmässig Menschen geopfert werden. Varoufakis nennt die Zeit von 1944 bis 1971, in der die USA ihre Überschüsse zur Festigung ihrer hegemonialen Position nutzten, die Zeit des Global Plan, und er nennt die Zeit von 1971 bis 2008 die Zeit des globalen Minotaurus, weil dem «Ungeheuer» USA dauernd Geld in den Rachen geschoben werden musste, um ihr doppeltes Defizit zu refinanzieren. – Wer die Metapher des Minotaurus aber nicht innerlich präsent hat, muss sich bei der Lektüre des Buches immer wieder überlegen, wie das doch jetzt gemeint ist.
Die Krise dauert an
Alles in allem ist das Buch von Yanis Varoufakis aber mehr als nur lesenswert, denn es behandelt sehr spezifisch finanzpolitische Probleme, die keineswegs gelöst sind und die einen weiteren Wirtschaftsabsturz, dann aber wohl deutlich schlimmer als 2008, immer wahrscheinlicher werden lassen. Die Flutung der Märkte mit – im Computer geschaffenem, früher sagte man: mit nur gedrucktem – Geld hat zumindest noch nicht bewiesen, dass die Wirtschaftsweisen unsere Wirtschaft wirklich unter Kontrolle haben. Zumindest die reale Wirtschaft hat vom internationalen Geldsegen noch wenig profitieren können.
Ob Griechenland in der Euro-Zone bleibt, Bankrott geht oder tatsächlich «gerettet» wird: wer weiss. Und ob Yanis Varoufakis griechischer Finanzminister bleibt oder abgesetzt wird oder ob die ganze Regierung abgewählt wird: niemand kann das heute schon mit Sicherheit sagen. Aber es ist halt so: Vor ein paar Jahren durfte sich der deutsche Finanzminister Peer Steinbrück erlauben, die Schweiz mit Burkina Faso in Afrika zu vergleichen und ihr anzudrohen, die deutsche Kavallerie vorbeizuschicken. Kein Problem. Aber der griechische Finanzminister? Deutschland den Stinkefinger zeigen?
Wenn zwei das Gleiche tun…
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Eine doch deutlich differenziertere Analyse der Beziehungen zwischen Deutschland und Griechenland hat am 26. März 2015 die deutsche Wochenzeitung DIE ZEIT gebracht. Der Artikel kann hier eingesehen und downgeloadet werden.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
Es wurde von langer Hand (komisch für Banken) teilweise kaltblütig geplant. Der gesamte Wettbewerb dreht sich seit jeher darum, ausser dass er sich im Gegensatz eines Menschenzyklus regenerieren kann. Am System fehlt nicht nur Keynes, sondern ist sowohl falscher Patrotismus wie auch heuchlerische Vorsätze von Freiheit und Chancengleichheit in Präambeln von Verfassungen der Sache undienlich, wenn sie nicht schnell genug umgesetzt wetrden.
Peer Steinbrueck hat seine Rechnung fuer Arroganz erhalten; wurde vom eigenen Volk als Kanzler abgelehnt und ist praktisch zum «Backbencher» geworden.
Yaroufakis wird es vermutlich ueber kurz oder lang aehnlich ergehen. Wenn er so ein kluger Kopf ist, weshalb glaubt er seine Glaeubiger – und die griechischen Waehler – mit halbgebackenen Ideen abspeisen zu koennen?
Wenn zwei dasselbe tun, kann’s am Ende doch noch dasselbe sein…
Wenn ein Land so sehr verschuldet ist, dass das Wirtschaftswachstum die Zinsen nicht zu finanzieren vermag, muss zwingend die Substanz zum Schuldendienst verwendet werden oder aber dieser Schuldendienst durch weiteres Schuldenmachen – ein echter Teufelskreis – finanziert werden.
Dieses Problem ist spätestens seit der Kritik an den «Strukturanpassungsprogrammen» aus den 90er Jahren bekannt (cf mein Beitrag in PNR-28 «L’impossibilité de rembourser la dette», Nationalfonds, 1993). Hier ist ein radikaler Schuldenschnitt die einzig technisch mögliche Lösung, Ideologie hin oder her. Das Problem bei Kettenbriefen und ähnlichen Systemen kann nicht mit der Weiterführung exotischer Spielregeln gelöst werden.
Es ist zweifellos das Verdienst der jungen «Manschaft» aus Athen, diese elementare Wahrheit etwas in Erinnerung zu rufen. Die Kettenbriefspieler und -Initiatoren gehören gemassregelt, nicht deren Erben. Irgendwie erinnern die Sprüche des Merkel/Schäuble-Teams an das Prinzip der Erbsünde. Du kannst zwar nichts dafür, bezahlen musst Du aber trotzdem…
Die Zeit des Neokolonialismus sollte eigentlich vorbei sein. Was aber jetzt mit Griechenland passiert erinnert an die Haltung der «Imperialisten» im 19.Jh. gegenüber Ägypten, der Türkei… Das hat mit Beziehungen auf «Augenhöhe» nichts gemeinsam.
Irgendwie erinnert der Minotaurus auch an die etwas neuere «Wahrheit» von Blondie >
The Good, the Bad and the Ugly (1966)
Blondie: You see, in this world there’s two kinds of people, my friend: Those with loaded guns and those who dig. You dig.
Es ist halt immer einfacher mit schnellen Schlagwörtern und Plattitüden ( a la Weltwoche et cons.) zu beeidrucken, denn eine intellektuelle (sic!) Analyse vorzunehmen. Die Komplexität der Weltzusammenhänge überfordern den Freund der Vereinfachungen und mögen ihn auch ängstigen. Es ist ein Problem der aufgeklärten und aufrichtigen Denker, dass sich ihre Erkenntnisse schlecht in «griffige Parolen» giessen lässt. Wer liest denn schon sachliche Analysen. Allerdings könnten wir vom Linguisten Lakoff und seiner rhetorischen Technik des Reframing lernen. Statt auf die plumpen Populismen direkt zu reagieren, beispielsweise deren fragwürdige Grundhaltung und Komsequenzen im Sinne «was wäre wenn» hinterfragen.