NZZ_Fuster_Somm

Wirtschaftsredaktor Thomas Fuster (links) und Markus Somm © nzz; baseleconomicforum

Leitartikel à la Markus Somm auf NZZ-Titelseite

upg /  Der Aufruf zur sozialen und arbeitsrechtlichen Deregulierung könnte von Markus Somm stammen. Geschrieben hat ihn Thomas Fuster.

An prominentester Stelle, auf der Titelseite der heutigen NZZ, wettert NZZ-Wirtschaftsredaktor Thomas Fuster gegen die «Staatsgläubigkeit» und die «Zwangsbeglückung» in Europa. Der Leitartikel könnte der Fast-NZZ-Chefredaktor Markus Somm geschrieben haben.
Am mageren Wachstum und der hohen Arbeitslosigkeit in europäischen Staaten seien nicht zuletzt «Arbeitsmarktgesetze» im Euro-Raum schuld.
Anders in den USA, fährt Fuster fort, «wo länger gearbeitet wird, notabene ohne gesetzlich garantierte Ferientage».
Die strengen Gesetze in Europa würden «den Aufschwung nach einer Rezession erschweren». Dass ein hoher Beschäftigungsschutz zugunsten der Arbeitnehmer das Produktionswachstum schwäche, ist für den NZZ-Wirtschaftsredaktor erwiesen.
Fuster brandmarkt insbesondere Frankreichs Sozialist Mitterand, der das Land «mit höheren Mindestlöhnen, steigenden Pensionen, kürzeren Arbeitszeiten und der Verstaatlichung von Industrien und Banken» beglückt habe.
Zu den in Europa schrecklicherweise «auf Umverteilung geeichte Regierungen» zählt Fuster – horribile dictu – auch Deutschlands Regierung von Angela Merkel. «Technologiefeindliche Regulierungen» würden in vielen Staaten Europas «wie Pilze aus dem Boden schiessen». Dass die meisten dieser Regulierungen dem demokratischen Volkswillen entsprechen, erwähnt Fuster nicht.
Sogenannte Errungenschaften wie «Stärkung des Kündigungsschutzes», «Senkung des Rentenalters» oder den «Ausbau der betrieblichen Mitbestimmung» würden «Jugendlichen und Arbeitslosen den Eintritt ins Erwerbsleben zusätzlich erschweren». Das sei weder sozial noch fördere es den Wohlstand: «In den USA sieht man dies ein.» Deshalb «feuert die Wirtschaft in den Vereinigten Staaten aus allen Zylindern». Letztes Jahr habe dort das Wachstum 2,4 Prozent erreicht.
Blinde Fokussierung aufs Wachstum des BIP
Das Wirtschaftswachstum, gemessen am Bruttoinlandprodukt BIP, in Industriestaaten als Massstab aller Dinge zu nehmen, ist eine Sichtweise des letzten Jahrhunderts. Dem BIP-Wachstum alles unterordnen zu wollen, das Sozial- und Arbeitsrecht, das Steuerrecht, den Umweltschutz, die Haftung von Grossbanken und Konzernen für grosse Risiken und schliesslich die demokratische Mitbestimmung, ist eine Ausgeburt neoliberaler Ideologie.

  • Wem kam das Wachstum des BIP in den USA zugute?

Die Kaufkraft der Durchschnittslöhne der Angestellten war im 2014 nach offizieller Statistik gleich gross wie 1980.

Die Kaufkraft der zehn Prozent wirtschaftlich Schwächsten hat sogar abgenommen (nicht auf dieser Grafik der Durchschnittslöhne).
Wo geht es den zehn Prozent wirtschaftlich Schwächsten besser: In den USA, in Deutschland, Frankreich oder Norwegen?

  • Weniger Arbeitslose dank Deregulierung?

Ein rasches Wachstum des BIP führt nur kurzfristig zu mehr Arbeitsplätzen. Das ist im Buch «Schluss mit dem Wachstumswahn – Plädoyer für eine Umkehr»* mit langfristigen Statistiken belegt.
Arbeitslose sind in verschiedenen Ländern unterschiedlich definiert und deshalb nicht leicht vergleichbar. Thomas Fuster unterschlägt, dass es nach offiziellen Statistiken in den USA gegenwärtig leicht mehr Arbeitslose gibt als in Deutschland oder Österreich, und erheblich mehr als im demokratisch regulierten Norwegen, und ebenfalls etwas mehr als in Dänemark.

* «Schluss mit dem Wachstumswahn – Plädoyer für eine Umkehr», Rüegger Verlag, 2010, 14.35 CHF

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Mit Hanspeter Guggenbühl Autor des Buches «Schluss mit dem Wachstumswahn – Plädoyer für eine Umkehr».

Zum Infosperber-Dossier:

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Kritik von Zeitungsartikeln

Printmedien üben sich kaum mehr in gegenseitiger Blattkritik. Infosperber holt dies ab und zu nach.

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8 Meinungen

  • Portrait_Josef_Hunkeler
    am 21.02.2015 um 14:47 Uhr
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    Ich bin immer wieder erstaunt über die US-Gläubigkeit unserer Medienschaffenden. Offenbar hat Joe Dassin nicht zuletzt in der Deutschschweiz immer noch viele Anhänger.

    Ich habe selbst in den US studiert, und denke doch etwas von der lokalen Lebensweise mitbekommen zu haben. «Smart», d.h. alles kennen, aber doch nichts wirklich verstehen, bleibt mein Verdikt auch 40 Jahre danach.

    Wir sollten uns hüten all das US-Zeugs nachzubeten, ohne doch wenigstens selber darüber nachgedacht zu haben. Auch ich habe gelernt, dass man nur mit Statistiken, die man selber verfälscht hat argumentieren soll. Muss ich mich aber an solcherart gelernte Unsitten halten ? Dafür bin ich zu alt. Ich darf mir auch eine eigene Meinung erlauben. Und diese differiert seriös von dem in den Medien verbreiteten US-Fimmel.

    Ich bleibe der Ansicht, dass die Kollektivität, d.h. der Staat eine ganze Reihe von Aufgaben besser lösen kann als die Privatwirtschaft und konsequenterweise diese Aufgaben auch übernehmen soll. Ein klein wenig private Konkurrenz kann da wohl kaum schaden. Wenn aber privatrechtliche Interessengruppen staatlich geschützte Monopolsituationen einfordern, dann ist die Grenze neoliberaler Perversität erreicht.

  • am 22.02.2015 um 14:38 Uhr
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    Schon der Leitartikel der letzten Woche hat mich zu folgender Leserbrief-Reaktion veranlasst (bis jetzt nicht abgedruckt):
    Leitartikel gleich Aushängeschild?
    Nachdem der bittere Kelch Markus Somm als neuer Chefredaktor an uns Lesern vorbeigegangen ist, zeigt der Leitartikel dieser NZZ-Wochenendausgabe in vereinfachender Weise auf: hier die Guten, dort der Schurke Putin. Und mit ebenso spitzem, wie unfairem Seitenhieb wird das bewährte Obama-bashing weitergeführt. Eine solche Meinungsmache ist nicht das Aushängeschild eines differenzierenden Weltblattes, sondern wohl eher die Aufstellung eines Kronprätendenten, mit dem sich A.R. dem Verwaltungsrat andienen will. Und mit der Empfehlung von Waffenlieferungen an die Ukraine wird wohl kaum das ersehnte appeasement, aber auf alle Fälle ein Beitrag an den Umsatz der Waffenindustrie erzielt. Die freie Marktwirtschaft wird es schon richten.

  • am 22.02.2015 um 16:03 Uhr
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    Auch mir gab die Lektüre dieses Leitartikels einen sofortigen schmerzhaften Stich. Ebnet der Autor doch durch die Hintertüre den vielfach umstrittenen und angegriffenen «Investorenschutz» des zur Diskussion stehenden TTIP. Man fragt sich auch, wie alt der Autor ist – die Exzesse der Mitbestimmung fanden sich in den 70-er bzw spätestens 80-er Jahren des letzten Jahrhunderts! Man kann sich fragen wem es nützt, wenn die NZZ immer wieder so unkritisch alles am US Neoliberalismus lobt! Ein Grund mehr, um mir zu überlegen ob ich das Abo erneuern will….
    Katharina Gattiker

  • am 22.02.2015 um 19:47 Uhr
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    Thomas Fuster weiss von Makroökonomie einiges mehr als Markus Somm und auch als Urs Gasche.

  • am 23.02.2015 um 15:10 Uhr
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    Aber, aber, Erich Heini.

  • am 24.02.2015 um 15:46 Uhr
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    Ich fand den Leitartikel von Thomas Fuster in der NZZ inhaltlich eine Frechheit! Er schreibt: «Die Arbeitsmarktgesetze sind im Euro-Raum weit rigider als in den USA, wo länger gearbeitet wird, notabene ohne gesetzlich garantierte Ferientage!» Und diese soziale Unterentwicklung soll Europa sich zum Vorbild nehmen? Wir sollen in Europa hinter unsere mühsam erkämpften sozialen Errungenschaften zurück? Keine Ferien mehr, längere Arbeitszeiten, so wie zu Beginn des 20. Jahrhunderts? Strukturwandel auf dem Buckel der arbeitenden oder arbeitslosen Bevölkerung? Was die unten erarbeiten, verteilen die oben untereinander! Die Amerikaner sind ein soziales Entwicklungsland, das ständig Kriege führt.
    Trotz neoliberaler Gesinnung der NZZ hätte ich ihr eine solche Verachtung europäischer sozialer Errungenschaften nicht zugetraut!

  • am 25.02.2015 um 11:20 Uhr
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    Weder Neues noch Kreatives ist aus Thomas Fusters Kommentar zu erfahren. Außer dass es sich um die bekannten Mantras in Varianten handelt, die seit vielen Jahren, wenn die Wirtschaftszahlen nicht den Wunschvorstellungen entsprechen, aus allen Sprachrohren zu hören sind. Die Substanz des Kommentars verspricht – fall es zur Umsetzung kommt – nichts anderes als ein Zurückfallen in vergangene Jahrhunderte. Das waren jene Zeiten, als es hieß, der Mensch lebe, um zu arbeiten. Eine seltsame Schwarmintelligenz, die wir gerade erleben.

    Der Umgang der Troika in Verbrüderung mit manchen europäischen Politikern mit Griechenland zeigt deutlich, wer das Sagen haben soll: Banken, Geldbesitzer und Wirtschaftskreise, die den Staat nach ihrer Fasson stutzen wollen. In welche Misere die genannten Macher ein Volk hineinmanövrieren, ist dabei unerheblich. Die Geschehnisse um Griechenland sind zum Fanal geworden, weil sie zeigen, dass unsere Gesellschaften einer wirtschaftlichen Entfesselung entgegenlaufen. Das heißt, eine Umkehr von «Prosperität für Alle durch eine sinnvolle Wirtschaft» hin zum Wirtschaftscredo «Maximalprofit mit Minimalaufwand».

  • am 28.02.2015 um 20:24 Uhr
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    Und heute am 28.2.2015 auch noch Afrika-"Versteher» David Signer, mit einem unglaublich undifferenzierten Afrika-Bashing auf der Frontseite. Wenn Monsieur Jornod glaubt, der Leser sei bereit, für Qualität zu bezahlen, dann ist auch der Umkehrschluss richtig. Die Ietzten drei Samstags-Leiter sind das Geld nicht wert. It’s time to say good bye, fertig NZZ. Wir haben das Abo auf Anfang März nicht mehr erneuert.

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