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Mao-Büste und Xi-Teller: Der «neue» starke Mann in China ist fast so populär wie Mao © Peter Achten

Mao und der «rote Prinz»

Peter G. Achten /  Staats- und Parteichef Xi Jinping ist im Westen vom möglichen «Gorbatschow Chinas» zum «neuen Mao» mutiert. Getrübte Wahrnehmung?

Etwas mehr als zwei Jahre im Amt, wird Chinas Partei- und Staatschef Xi Jinping von Diplomaten, China-Experten, Old China Hands, Pekinger Auslandkorrespondenten und assortierten Pundits bereits grundlegend neu eingeschätzt. So schnell verändern sich im Zeitalter der digitalen News die Meinungen. Im Herbst 2012 tönte es noch ganz anders als heute. Vor dem entscheidenden Partei-Powow, bei dem alle zehn Jahre die oberste Führung – der siebenköpfige Ständige Ausschuss des Politbüros – ausgewechselt und neu gewählt wird, haben westliche Medien Xi bereits als möglichen «Gorbatschow Chinas» apostrophiert – mit Fragezeichen zwar, aber dennoch hoffnungsvoll. Wirklichkeitsfernes, ideologisches Wunschdenken.
Mann der Zukunft und des Aufbruchs
Nach den beiden Vorgängern, dem eher farblosen Hu Jintao (2002–2012) und dem konservativen Jiang Zemin (1989–2002) wurde Xi im internen Machtkampf aber auch ausserhalb Chinas als Mann der Zukunft, des Aufbruchs gehandelt. Nicht von ungefähr, denn China stand und steht nach 35 Jahren an der Schwelle eines neuen Reformzeitalters. Es gilt einen Übergang zu finden vom quantitativen zum qualitativen Wachstum, also vom export- und investitionsgetriebenen Wachstum zu mehr Binnennachfrage, mehr Konsum und vor allem zu mehr Innovation. Der wichtigste Grund jedoch für die schräge westliche Einschätzung Xi Jinpings: die persönliche und politische Vita des «roten Prinzen».
Xi Jinping stammt aus einer der einflussreichsten Familien der Volksrepublik. Xis Vater, Xi Zhongxun, war ein vertrauter Kampfgefährte Mao Dsedongs während des Guerillakrieges und dem anti-japanischen Kampf in den 1930er- und 1940er-Jahren. Nach der Gründung der Volksrepublik war Xi Senior von 1959–1962 stellvertretender Ministerpräsident Chinas. Doch während der Grossen Proletarischen Kulturrevolution liess Mao den erprobten Kampfgefährten als «Kapitalisten» fallen, ähnlich wie Staatspräsident Liu Shaoqi oder Generalsekretär Deng Xiaoping.
Lehrjahre im Schweinekoben
Mehr als ein Jahrzehnt lebte Xi Zhongxun unter Hausarrest. Xi Junior wurde wie damals so viele junge Chinesinnen und Chinesen «aufs Land hinunter» geschickt, um von den Bauern zu lernen. Der einst im revolutionären Pekinger Luxus lebende junge Xi fand sich in einer fernen Provinz im Schweinekoben wieder und lernte fürs Leben. Xi Senior wurde nach der Kulturrevolution 1978 rehabilitiert, arbeitete an der Seite des grossen Revolutionärs und Reformers Deng Xiaoping und wird heute zu den «Acht Unsterblichen» der KP gezählt.
Xi Junior hat daraus Schlüsse gezogen, die China eher hin zu westlichen Werten wie etwa Transparenz, wenn nicht gar Demokratie und Rechtsstaat führen könnten. Dies war zumindest bis vor kurzem die westliche Auffassung. Viele westliche Auguren trauten Xi Jinping eine Rolle zu, wie sie kurz vor der Wende 1989/91 Michail Gorbatschow in der Sowjetunion gespielt hatte.
Doch kaum zwei Jahre nach Machtantritt sieht der Westen Xi Jinping nicht mehr als «neuen Gorbatschow». Die Einschätzung war historisch unkritisch. Doch ebenso unkritisch wird jetzt das Bild ins entgegengesetzte Extrem korrigiert. Im westlichen Urteil sieht es mittlerweile fast so aus, als ob China wie einst unter Mao wieder rot würde. «Rotchina», die antiquierte Bezeichnung aus den Zeiten des Kalten Krieges, wird – behält man nicht einen kühlen Analytiker-Kopf – bald wieder Courant normal.
Beim Volk beliebt
Partei-Supremo Xi Jinping hat sich in den letzten zwei Jahren nicht etwa verändert, sondern allenfalls weiterentwickelt. Bis jetzt hat er die Herausforderungen des nötig gewordenen Paradigmawechsel der Wirtschaft erfolgreich angenommen. Der Reformstau löst sich langsam auf, und das gegen mächtige, innerparteiliche Interessen von Privilegierten und konservativen Reformern. Xi hat offensichtlich das Politbüro und Zentralkomitee der allmächtigen Kommunistischen Partei überzeugt und hat nun von den konservativen Linken bis zu marktwirtschaftlichen Kräften breite Unterstützung. Selbst mit dem abgeflachten, «qualitativen» Wachstum – dem «neuen Normalen» – hat die Partei den wachsenden Mittelstand von rund 300 Millionen und die rund 250 Millionen Wanderarbeiter als Rückgrat der chinesischen Volkswirtschaft hinter sich.
Beim Volk ist Xi Jinping so hoch angesehen und beliebt wie zuvor nur Mao, Deng Xiaoping oder die populären Premiers Zhou Enlai und Zhu Rongji. Der «rote Prinz» gilt als volksnah und bescheiden. Er hat sich bei den breiten Massen durch seinen Anti-Korruptionskampf einen Namen gemacht und damit innerparteiliche Opposition im Machtkampf politisch kaltgestellt. Xi profiliert sich auch als der Mann des Aufbruchs. Mit seinem «Chinesischen Traum» einer neu erstarkten Nation hat er im Inland klar gepunktet. Mit seinem «Traum von der Seidenstrasse zu Wasser und zu Land» wiederum gewann er international politisches und wirtschaftliches Profil.

Kampagnen wie in Mao-Zeiten

Doch Parteichef Xi ist nicht mehr Erster unter Gleichen im obersten Machtorgan Chinas, dem Ständigen Ausschuss des Politbüros, wie seine beiden Vorgänger Hu und Jiang. Er ist der unbestrittene Chef wie zuvor in der Reformära nur Deng Xiaoping. Das verdankt er seinem pragmatischen Sinn für Macht. Mit Samthandschuhen hat er in den letzten zwei Jahren gewiss nichts angefasst, um seinem Ziel – ein mächtiges China, eine «Verjüngung», gar eine «Wiedergeburt» der chinesischen Nation, ein Volk in bescheidenem Wohlstand – zu erreichen. Im Gegenteil. Er hat unmittelbar nach dem entscheidenden Parteitag im Herbst 2012 die Schraube angezogen.
In Kampagnen, die an Mao-Zeiten erinnern, versucht Xi das Volk hinter die Partei zu scharen. Im vergangenen Oktober zum Beispiel hielt er eine Kultur-Rede, die verdächtig ähnlich jener war, die Mao vor 70 Jahren während des anti-japanischen Krieges in Yan’an gehalten hatte. Xi forderte die Künstler auf, den Sozialismus zu fördern anstatt «Sklaven des Marktes» zu sein und sich Ruhm mit «vulgären» Werken zu erlangen. Diese Einstellung wird auch im Werbealltag sichtbar. Neben Anzeigeposter für Mobiltelephone, Fernseher, Filme und allerlei anderes sind immer mehr gut gestaltete, grosse offizielle Reklameflächen zu bestaunen. «Die Kommunistische Partei ist gut – das Volk ist glücklich» heisst es etwa. Oder durchaus auch als praktische Anleitung gedacht: «Fahre weniger Auto – benutze das Fahrrad» und weitere nützliche Botschaften zum gesunden, friedlichen Zusammenleben.

Politisch korrekter Schmalz

Auch in der Unterhaltung wird mit aufbauenden, oft spannenden und gut produzierten Fernsehserien dem neuen Kulturtrend nachgelebt. Dazu gehört auch parteikonformer Schmalz-Pop und Rock mit politisch korrekten Texten. Das gemeinsame Absingen von Mao-Liedern ist zudem landesweit wieder gross im Kommen. Hier bedient die Partei nostalgische Rückbesinnung auf «bessere Zeiten», die – wie Xi Jinping aus eigener Erfahrung wohl weiss – nicht besser sondern schlimmer waren.
Für Intellektuelle, Forscher, Anwälte und Journalisten sind wieder härtere Zeiten angebrochen. Die Deutungshoheit der Partei mit ihrem Informationsmonopol wird seit Xis Amtsantritt rigider als zuvor durchgesetzt. Ebenso versucht die Partei mit neuester Technologie, die Offenheit des Internets in den Griff zu bekommen. Universitätsstudenten müssen erneut Marx, Engels, Lenin, Mao Dsedong und Deng Xiaoping büffeln. Die seit zwei Jahrzehnten weltoffener gewordenen Universitäten sollen mit ideologischen Gleichschaltungsversuchen wieder vermehrt auf die Parteilinie eingeschworen werden. Etwas zu liberale, das heisst kritische Universitätslehrer und Anwälte werden eingeschüchtert oder per Gericht mundtot gemacht.

Kein Platz für «westliche Gedanken und Bräuche»

In vielen Kommentaren der Parteipresse werden «feindliche Kräfte aus dem Ausland mit versteckter Agenda» angeschwärzt. «Westliche Gedanken und Bräuche» heisst es immer wieder, hätten in China nichts zu suchen. «Patriotismus» sei jetzt gefragt. Bereits im April 2013, keine sechs Monate nach Xis Amtsantritt, veröffentlichte die Partei das Dokument Nr. 9 gegen die «universellen Werte des Westens». Die Fortsetzung in Dokument Nr. 30 wendet sich gegen «liberale westliche Ideen» und die «westlich inspirierte Auffassung der Pressefreiheit». Dass auch Marx und Engels aus dem Westen kamen und das chinesische Wirtschaftswunder nur dank westlicher Technik möglich geworden ist, wird selbstverständlich nirgends in China kritisch aufgearbeitet.

Der Rückgriff auf rote Mao-Zeiten sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass Xi und das Politbüro die Zeichen der modernen Zeit im 21. Jahrhundert wohl gedeutet haben. Der Aufbruch ist für den Parteichef parteipolitisch indes noch nicht ausgestanden. Doch er hat die Initiative, so scheint es, fest in der Hand. Xi Jinping wird weder der «Gorbatschow Chinas» noch der «neue Mao». Er wird allenfalls der «neue Xi». Die «Wiedergeburt Chinas» liegt dem geschichtsbewussten Parteichef am Herzen, nicht aber die misslungenen Utopien des Gründervaters des modernen China, Mao Dsedong.

Dialektischer Prinzling

Ebenso und womöglich vor allem ist die Fortdauer der roten Dynastie, beziehungsweise der Parteimacht, das Hauptanliegen von Xi und seinen Genossen. Ein Mitkämpfer von Xis Vater, Dengs Wirtschaftszar Chen Yun, hat es bereits in den 1980er-Jahren abschliessend formuliert: «Das Land unter dem Himmel sollte eines Tages den kleinen Prinzen übergeben werden. Ihnen können wir vertrauen, dass sie nicht das Grab für die Partei schaufeln werden.» Der «rote Prinz» Xi wird es richten. Dialektisch, wie die offizielle Bezeichnung der chinesischen Volkswirtschaft so schön sagt: die «sozialistische Marktwirtschaft mit chinesischen Besonderheiten».


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Peter Achten arbeitet seit Jahrzehnten als Journalist in China.

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Hohe Wachstumszahlen; riesige Devisenreserven; sozialer Konfliktstoff; Umweltzerstörung; Herrschaft einer Partei

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Eine Meinung zu

  • am 16.02.2015 um 16:55 Uhr
    Permalink

    Von Xi Jinping gibt es auch ein über 500-seitiges aktuelles Buch «The Governance of China».
    Scheint in den USA Beachtung zu finden. Er punktet dort, weil er seine einzige Tochter zur Ausbildung in die USA schickt. BernerInnen würden da vielleicht gern tauschen.

    Werner T. Meyer

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