Laternen

Rote Lampions: Die Glücksbringer dominieren das Strassenbild vor dem Neujahrsfest © Pete Chiang/Flickr/cc

Grosser Empfang für Schaf und Ziege

Peter G. Achten /  Am 19. Februar beginnt in China das neue Jahr 2015. Es steht im Zeichen von Schaf oder Ziege und verspricht Harmonie und Frieden.

Hunderte von Millionen Chinesinnen und Chinesen sind während eines Zeitraums von 40 Tagen rund um das chinesische Neujahr (Nongli Xinnian) – auch Frühlingsfest (Chunjie) genannt – unterwegs. Die wichtigste Feier des Jahres ist ein Clan- und Familienfest wie Weihnachten in Europa oder Thanksgiving in den USA. So setzt sich jedes Jahr in der Zeit des Frühlingsfestes die grösste regelmässige Migrationswelle der Welt in Bewegung.
Der Sprecher des chinesischen Transport-Ministeriums, Xu Chengguang, veranschaulicht den Reiseboom mit Zahlen: 295 Millionen Eisenbahnfahrten, 2,4 Milliarden Strassentrips, 48 Millionen Flugzeugreisen. Mit andern Worten: Das chinesische Transportsystem ist bis aufs äusserste gefordert. Die Sicherheitsvorkehrungen sind enorm, denn auch in China fürchtet man Terroranschläge. Am Pekinger Hauptbahnhof patrouilliert derzeit unübersehbar die bewaffnete Volkspolizei inmitten der Menschenmassen.
Nach Zahlen der Behörden verlassen allein 55 Millionen Reisende Peking, um – wie es die Tradition gebietet – ihre Familien in den zum Teil weit entfernten Provinzen zu besuchen. Zahlreiche Chinesinnen und Chinesen beziehen fürs Frühlingsfest sämtliche Ferientage, damit sie bis zu vier Wochen der Arbeit fernbleiben können. Manche von ihnen erhalten andernorts neue Arbeitsangebote, so dass nach offiziellen Statistiken fast ein Drittel der abgereisten Frühlingsfest-Chinesen nicht mehr an ihre alten Arbeitsplätze zurückkehrt. Eine Herausforderung für die Wirtschaft.

Traditionelle Festbräuche

In China und Vietnam beginnt das neue Jahr später als in andern Ländern der Welt, weil vor dem 20. Jahrhundert nicht der gregorianische Kalender sondern der traditionelle chinesische Lunisolarkalender Gültigkeit hatte. Demnach beginnt in China das Frühlingsfest am zweiten Neumond der Wintersonnenwende, also zwischen dem 21. Januar und dem 21. Februar. 2015 fällt es auf den 19. Februar.
Chinesinnen und Chinesen feiern das grosse Clan- und Familienfest ganz traditionell. Am Vorabend trifft sich die ganze Familie zu einem opulenten Mahl mit Fisch und Hühnchen. Dabei ist wichtig, dass man nicht alles aufisst, denn Fisch heisst auf Chinesisch Yu und wird gleich ausgesprochen wie Yu (Wohlstand). Will heissen: «den Wohlstand nicht ganz verzehren».
Am Abend selbst und die Tage danach werden an Kinder, Familienmitglieder und Verwandte Hongbao, rote Papiertütchen mit Geld, verteilt. Kurz vor dem mitternächtlichen Jahreswechsel verlassen alle das Haus und nehmen die Spuren des alten Jahres mit ins Freie. Feuerwerk setzt ein. Kurz vor Mitternacht kehrt die Familie ins Haus zurück, öffnet weit die Fenster und lässt damit das ganze Glück des neuen Jahres herein.
Eines der Hauptgerichte während der ganzen Feierlichkeiten sind Jiaozi, mit Gemüse und Fleisch gefüllte Teigtaschen, die das Familienoberhaupt gemeinsam mit der ganzen Familie zubereitet. Der zweite Tag des Frühlingsfestes ist den zurückgekehrten verheirateten Töchtern mit ihren Ehemännern gewidmet, am dritten Festtag stehen Verwandten-Besuche auf dem Programm. Und so geht es weiter bis zum fünfzehnten Festtag, dem Laternenfest mit den Tangyuan, den vortrefflichen Klösschen aus Klebereis mit zuckersüsser Füllung. Damit endet das Frühlingsfest.

Baby-Boom vor Jahresende

Das chinesische Neujahr ist mit vielen Erwartungen und auch mit Aberglauben behaftet. So haben sich zum Beispiel viele Eltern gesputet, damit ihr Kind noch im Jahr des Pferdes, spätestens also am 18. Februar, zur Welt kommt. Zahlen aus Spitälern belegen, dass vor Jahresende zwischen 20 und 50 Prozent Mehrgeburten registriert worden sind. Das neue Jahr steht im Zeichen des Holz-Schafes oder der Holz-Ziege. (Das Wort «Yang» steht sowohl für Schaf als auch für Ziege). Und der Aberglaube besagt, dass im Ziegen-Jahr geborene Kinder überdurchschnittlich viel Unglück im Leben erwarte. Allerdings gibt es dazu auch einen Gegen-Aberglauben: Schafs-Kinder, so die Hoffnung, übernehmen die Gutmütig- und Friedfertigkeit des Schafes.
Die allmächtige Kommunistische Partei hat zwar vor über 60 Jahren den Aberglauben verboten. Gegen Tradition ist jedoch kein Kraut, nicht einmal rotes, gewachsen. So gibt es rund ums Frühlingsfest diverse Regeln zu beachten. Vor dem Neujahrsfest sollte zum Beispiel das Haus gründlich geputzt werden, damit das Glück gleich am ersten Tag Einzug hält. Hingegen bringt es Unglück, wenn man sich das Haar während Chungjie schneiden lässt, denn das Wort Haar (Toufa) wird ähnlich ausgesprochen wie «Wohlstand». An eine lange Reihe weiterer Vorgaben halten sich Chinesinnen und Chinesen, Parteimitglieder eingeschlossen.
Das Schaf oder die Ziege bringt jedenfalls wie alle zwölf chinesischen Tierkreiszeichen Gutes und Schönes. Die einen etwas mehr von jenem, die andern etwas mehr von diesem. Ihr Korrespondent, im Jahr des Hasen geboren, wünscht jedenfalls in Mandarin allen Xinian Kuaile (ein glückliches, fröhliches Neues Jahr) oder auf Kantonesisch Kung Hei Fat Choi (erfolgreichen, florierenden Glückwunsch)!


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Peter Achten arbeitet seit Jahrzehnten als Journalist in China.

Zum Infosperber-Dossier:

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Chinas Innenpolitik

Hohe Wachstumszahlen; riesige Devisenreserven; sozialer Konfliktstoff; Umweltzerstörung; Herrschaft einer Partei

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