Transuranic_waste_casks

Atommüllfässer auf dem Weg ins US-Tiefenlager Wipp © Wiki Commons

Wilder Westen im US-Tiefenlager Wipp

Rolf Muntwyler /  Die Explosion eines Fasses mit Atommüll hat das «sichere» Tiefenlager Wipp in den USA lahmgelegt. Dahinter steckt viel Pfusch.

In den USA gibt es ein einziges Tiefenlager für radioaktive Abfälle. Es ist die Versuchsanlage Wipp (Waste Isolation Pilot Plant) im Bundesstaat New Mexico. Dort werden mittelradioaktive Abfälle aus der militärischen Atomnutzung in einer Salzmine gelagert. Das Atommülllager galt bis vor kurzem als «sicher» – und es spielt in der Lösung der Endlagerung von radioaktiven Abfällen in den USA eine zentrale Rolle.

Behörden und Betreiber haben ihren Job nicht gemacht
Seit Mitte Februar 2014 steht die Anlage jedoch still. In der Nacht vom 14. Februar kam es zu einem Unfall. Ein Fass mit radioaktivem Abfall explodierte – genau gesagt schäumte es über. Nur dank der späten Uhrzeit kamen keine Angestellten zu Schaden. Zum Zeitpunkt der Explosion wurde in der Anlage nicht gearbeitet. Nach aussen sei nur sehr wenig Radioaktivität ausgetreten, das sagen zumindest die Behörden. Die radioaktiv verseuchte Anlage wird gegenwärtig dekontaminiert und bleibt mindestens bis September 2015 geschlossen. Die Kosten für die Arbeiten könnten eine Milliarde Dollar erreichen.

Schweizer Print-Medien haben darüber bisher nicht informiert. Das geht aus der Mediendatenbank SMD hervor. Einzig NZZ-online hatte am 16. und 27. Februar je eine kleine Meldung gebracht, und Cash-online am 16. Februar.
Ein erster Untersuchungsbericht kritisierte die für Wipp zuständige Behörde und die private Betreiberfirma scharf:
Weder seien die Strahlungsrisiken richtig eingeschätzt noch notwendige Kontrollmechanismen installiert worden. Der Unterhalt des Sicherheitssystems sei vernachlässigt worden, und die Überwachung durch das Department of Energy (DOE) seien «unwirksam».

Verwässerung der Sicherheitsbestimmungen
Diese Kritik überrascht. Wipp hatte immer als Vorzeigemodell gegolten, wie ein geologisches Tiefenlager sicher anzulegen und zu betreiben sei. Doch stammt der gute Ruf aus besseren Zeiten, als die Überwachung der unabhängigen Expertengruppe Environmental Evaluation Group (EEG) anvertraut war. Dank deren Kompetenz war das Vertrauen in das Tiefenlager in Politik und Öffentlichkeit gross. Als die EEG 2004 aufgelöst wurde, zerbröckelte der gute Ruf. Die Untersuchungsbehörde nennt 30 Entscheide, die nach 2004 zur Verwässerung der Sicherheitsbestimmungen geführt haben.

Ein Beispiel: Unter Aufsicht der EEG war es Pflicht, jedes Fass auf den Inhalt zu analysieren und sicherzustellen, dass keine entzündbaren, korrodierenden oder reaktiven Substanzen darin enthalten sind. Diese Regel wurde 2006 abgeschafft. Schuld an der Explosion war vermutlich ein ungewöhnlicher Mix aus Materialien, die ins Fass gegeben wurden: Blei, Säure, ein kontaminierter Handschuh oder sogar … Katzensand. So genau weiss aber niemand, was alles in dem Fass war. Und eigentlich müsste der Inhalt der anderen Fässer identisch sein. Das bedeutet: Auch in anderen Fässern könnte es jederzeit zu chemischen Reaktionen kommen. In einem weiteren Bericht vom 30. September rügt die Untersuchungsbehörde den Absender der Fässer, der die Regeln nicht eingehalten hat: Er habe bewusst die Abläufe so geändert, dass sie nicht mehr den technischen Vorschriften entsprechen würden.

Millionen-Bonus für Betreiber trotz Pfusch

Das fehlende Verständnis für die Risiken zeigt sich auch in einer Grundannahme zum Betrieb von Wipp. Ein früherer hoher Angestellter im US-Energieministerium DOE kritisierte, man habe mit einem Unfall pro 200’000 Jahre gerechnet. Eingetreten sei er 15 Jahre, nachdem diese Annahme getroffen wurde. Die Untersuchungsbehörde wirft den Beteiligten generell vor, sie hätten versagt, «die Strahlengefahren von Atommüll zu verstehen, zu beschreiben und unter Kontrolle zu bringen».

Die Geschichte ist noch lange nicht zu Ende. Offenbar fällt es den Behörden schwer, die zuständigen Personen zur Verantwortung zu ziehen. Im Juli war eine weitere Episode ans Tageslicht gekommen: Nur fünf Tage nach dem Unfall hat DOE der Betreiberfirma einen Bonus von 1,9 Millionen Dollar zugesprochen – für «exzellente» Leistungen im vergangenen Jahr.

Dieser Beitrag erschien auch im «Energie-Express»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

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2 Meinungen

  • am 22.01.2015 um 14:20 Uhr
    Permalink

    "Exzellent» als Synonym für «strahlend"?
    Nichts von all dem überrascht. Wieder einmal ist nicht die Technik oder die Physik an und für sich das Problem – sondern der Mensch. Egal ob aus Nachlässigkeit, Profitgier oder Unwissenheit: Das Resultat ist dasselbe. Und es ist nicht akzeptabel.

    Dass in der CH der gleiche Mix aus (blindem) Vertrauen, Gewinnabsicht und Ignoranz zu einer Katastrophe führen kann, wird zwar von UVEK über ENSI bis zur gesamten AKW-Lobby kategorisch verneint, bestätigt aber im Prinzip nur genau die Aussage.

  • am 22.01.2015 um 14:25 Uhr
    Permalink

    Nachtrag: Jeder Pfusch in einem Tiefenlager hat tausende von Jahren Zeit, sich zu entfalten. Da müsste die Sorgfalt um den Faktor 1000 erhöht werden – mindestens.

    Unsere Atom-Freunde werden nun wieder einwerfen, es sei ja nachweislich niemand daran gestorben, an herunterstürzenden PV-Zellen hingegen schon. Womit ich zum Ausdruck bringen will: Solange die Unfälle und Vorkommnisse eine gewisse Schadensschwelle (insbesondere Todesfälle) nicht überschreiten, sind sie nicht mal eine Meldung wert. Zum Glück gibts Infosperber. Hoffentlich auch in 1000 Jahren noch 🙂

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