Irland: «Bankenrettung war zutiefst ungerecht»
Den Iren ging und geht es nicht besser als den Griechen. Im Gegenteil. Um nach der Finanzkrise 2008 bankrotte irische Banken zu retten, damit deren Aktionäre und Obligationäre unbeschadet davon kommen, musste die Bevölkerung nicht nur massive Steuererhöhungen in Kauf nehmen, sondern auch einen Abbau vieler öffentlicher Leistungen und eine hohe Arbeitslosigkeit. Junge Ausgebildete wanderten in Scharen aus.
Doch lange galten die Iren – im Gegensatz zu den Griechen – als Masochisten, welche die drastischen Einkommensverluste und den spürbaren Abbau ihrer Lebensqualität ohne grosses Aufmucken in Kauf nahmen.
Während in Griechenland die Linkspartei «Syriza» an die Macht kommen könnte, in Spanien die «Podemos»-Bewegung an Popularität gewinnt, in Frankreich der «Front National» Auftrieb hat und sich sogar die Regierenden in Grossbritannien vor der EU-verabscheuenden UKIP zu fürchten beginnen, hörte man bisher von Irland nichts dergleichen.
Aus Irland berichten unsere Medien von einer «realen», wenn auch fragilen Erholung der Wirtschaft, eines Wirtschaftswachstums von über vier Prozent im Jahr 2014 und einer Aussicht auf drei Prozent im 2015. Die Arbeitslosigkeit sei von 15 auf 11 Prozent zurück gegangen. Klaus Regling, Direktor des 700 Milliarden schweren Eurorettungsschirms ESM, sehe für das frühere Krisenland Irland eine gute Zukunft, meldeten Medien Ende November. Das Land habe die Programme der Eurorettungsschirme EFSF und ESM nicht mehr nötig.
Diese Meldungen täuschen
Alle diese positiven Berichte geben die wirkliche Stimmung offensichtlich schlecht wieder. Denn die Arbeitslosigkeit ging vor allem deshalb zurück, weil viele junge talentierte, gut ausgebildete Irinnen und Iren Arbeit in Grossbritannien und anderswo im Ausland suchten. Das Bruttoinlandprodukt steigt in erster Linie wegen erhöhten Exporten ausländischer Konzerne, die sich wie Apple wegen praktischer Steuerbefreiung in Irland niedergelassen hatten.
Deshalb merkt die Bevölkerung kaum etwas vom Wirtschaftswachstum. Die für den Konsum zur Verfügung stehenden Einkommen sind beim Grossteil der Bevölkerung nicht gestiegen. Im Verhältnis zu diesen verfügbaren Einkommen bleiben die irischen Haushalte die am zweithöchsten verschuldeten Europas. Die Staatsverschuldung erreicht immer noch 110 Prozent des Bruttoinlandprodukts.
«Seit viele verbreiten, die glücklichen Tage würden wieder anbrechen, fühlt sich die miserable Lage für die Bevölkerung viel schlimmer an», diagnostiziert Fintan O’Toole, Kolumnist der «The Irish Times». Bei vielen der lange duldsamen und geduldigen Iren breche plötzlich eine Wut aus. «Die damalige Rettung der Banken» empfänden sie heute als «zutiefst ungerecht».
Profitiert hätten namentlich viele ausländische Besitzer irischer Banken- und Staatsanleihen, welche wegen der höheren Zinsen eine lukrative Anlage gewesen seien. Die höheren Risiken seien sie in der Erwartung eingegangen, dass es weder auf den Staats- noch den Bankenobligationen Abschreiber geben wird. Die Rettungsaktion auf Kosten der Bevölkerung hat ihnen recht gegeben.
Wasserkosten bringen Fass zum Überlaufen
Anfang November waren nach Schätzung des staatlichen Radiosenders RTE etwa 120’000 Demonstrierende in mehreren Städten durch die Strassen gezogen, Anfang Dezember nahmen deren 100’000 an einem Sternmarsch zum Parlament in Dublin teil. Es handelte sich um den grössten öffentlichen Protest gegen die Sparpolitik der Regierung seit Irlands Rettung vor der Staats- und Bankenpleite durch die EU und den Internationalen Währungsfonds vor gut vier Jahren.
In den Weihnachtstagen gab es erneut Demonstrationen gegen die Einführung von Wasseruhren und Wassergebühren ab 1. Januar 2015.
In der Schweiz hörte man in den Hauptausgaben der SRF-Tagesschau von einer Überwindung der Krise in Irland. Die vielen grossen Proteste fanden keine Erwähnung. NZZ und Tages-Anzeiger brachten kurze Agenturmeldungen. Erst am 24. Dezember konnte man im Tages-Anzeiger einen Korrespondenten-Bericht lesen.
Die angekündigten Wassergebühren sollen einen Durchschnittshaushalt mit 200 bis 400 Euro pro Jahr belasten. Vorher war das Trinkwasser gratis. Nach all den Lohneinbussen, Gebührenerhöhungen und Kürzungen staatlicher Leistungen scheinen die in den meisten Ländern üblichen Wassergebühren eine Bagatelle zu sein. Aber sie «sind die Tropfen, die das Fass zum Überlaufen brachten», sagt Kolumnist Fintan O’Toole. Kommt dazu, dass das Wasser in weiten Teilen des Westens von Irland verseucht und nicht trinkbar ist. Selbst zum Waschen von Salat oder zum Zähneputzen müssen die Einwohner Mineralwasser kaufen.
Grosse Parteien erstmals in der Minderheit
Die unterdessen aufgewühlte Stimmung könne auch politische Folgen haben, warnt Fintan O’Toole. Die nächsten Wahlen finden 2016 statt. Gegenwärtig würden die drei Parteien, die Irland schon seit jeher beherrschten, laut Meinungsumfragen zusammen nicht einmal mehr die Hälfte der Stimmen erhalten. Gewinner seien linke Gruppierungen und die rechtspopulistische Sinn Fein, die in der Republik Irland bisher wenig Einfluss hatte – im Gegensatz zu Nordirland. Viele potenzielle Wählerinnen und Wähler geben an, parteiunabhängige Kandidaten oder solche von ganz kleinen Gruppierungen zu unterstützen.
Die verunsicherte Regierung hat die beschlossenen Wassergebühren für Durchschnittshaushalte noch vor Einführung Anfang 2015 auf 160 Euro jährlich gesenkt. Doch viele Hausbesitzer verhindern weiterhin den Einbau von Wasserzählern.
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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine