Variable Lenkungsabgabe kann den Ölpreis stützen
Der Börsenpreis für Rohöl sank seit Juni dieses Jahres auf die Hälfte, weil das globale Angebot die Nachfrage überschreitet. Einen noch schnelleren Preissturz gab es 2008. Der Einbruch auf gegenwärtig rund 60 Dollar pro Fass hat Vor- und Nachteile. Der ökologische Vorteil: Besonders umweltschädliche Fördermethoden wie der Abbau von Ölsand in Kanada oder das Fracking in den USA werden unrentabel und – zumindest vorübergehend – vermindert. Der Nachteil: Der tiefere Ölpreis fördert die globale Nachfrage, was das gedrosselte Angebot verknappen und den Marktpreis später wieder steigen lassen wird.
Ölpreis (Brent) in US-Dollar pro Barrel Januar bis Dezember 2014
Auf und Ab der Ölpreise erschwert die Energiewende
Seit der ersten Erdölkrise von 1973 wiederholen sich solch kurzfristige Preisschwankungen. Das unvorhersehbare Auf und Ab rüttelt nicht nur die Weltwirtschaft durcheinander. Es erschwert auch eine zuverlässige Planung. Wenn Hausbesitzer oder Unternehmerinnen Investitionen zur Verminderung des Energieverbrauchs unterlassen, weil die Ölpreise einbrechen wie in den 1990er-Jahren oder eben in den letzten sechs Monaten, so kann sich eine späterer Preisexplosion ruinös auswirken. Vor allem aber erschweren sinkende Energiepreise die Energiewende.
Diese Wende ist langfristig unausweichlich, weil das nicht erneuerbare Erdöl irgendwann zur Neige geht. Der Verbrauch von Kohle und Erdgas sollte ebenfalls reduziert und durch erneuerbare Energien ersetzt werden, um den Klimawandel zu bremsen. Soweit sind sich die meisten Leute aus Politik und Wissenschaft einig.
Sobald es aber um die Frage geht, mit welchen Mitteln diese Ziele erreicht werden sollen, scheiden sich die Geister: Die Marktpreise würden die Entwicklung automatisch in die richtige Richtung leiten, sagen die einen – und haben kurzfristig recht. Damit die Energiewende gelingt, so entgegnen die andern, brauche es Lenkungsabgaben, welche die nicht erneuerbare Energie verteuern. Die reale Politik aber setzt heute primär auf Förderabgaben und Subventionen, die den mit Ökodumping verzerrten Markt zusätzlich verfälschen.
Der Ausweg: Eine variable Lenkungsabgabe
Das bessere Mittel, um unerwünschte Schwankungen der Marktpreise zu glätten, ist eine variable Lenkungsabgabe*. Diese müsste die Energiepreise auf einen langfristig voraussehbaren, kontinuierlich steigenden Pfad festschreiben, ohne aber das Spiel von Angebot und Nachfrage und damit den Markt völlig auszuschalten. Zur Illustration dazu ein konkreter Vorschlag für die Schweiz:
- Die Lenkungsabgabe basiert auf dem Startpreis von 60 Rappen pro Liter Rohöl. Diese 60 Rappen entsprechen (beim aktuellen Kurs von 0,96 Franken pro Dollar) einem internationalen Marktpreis von 100 Dollar pro 159 Liter-Fass. Wir starten damit leicht unter dem mittleren Preis, wie er im ersten Halbjahr 2014 an der Börse für die Sorte Brent notiert wurde.
- Um der langfristigen Verknappung des Angebotes und dem drohenden Klimawandel Rechnung zu tragen, soll dieser Startpreis ab 2015 jährlich um mindestens sieben Prozent steigen. Basierend auf den 60 Rappen im Jahr 2014 erhöht sich der Preis bis zum Jahr 2020 auf 90 Rappen, bis 2030 auf 1.80 Franken und bis 2040 auf 3.50 Franken pro Liter Rolhöl (was den Liter Benzin 2040 inklusive Raffineriekosten und Treibstoffsteuern auf rund 4.50 Franken erhöhen würde). Ein analoger Preispfad wäre für die übrigen nicht erneuerbaren Primärenergien Erdgas, Kohle sowie Atombrennstoffe vorzusehen.
- In Zeiten, in denen die Marktpreise über dem erwähnten aufwärts führenden Preispfad liegen, wird keine Abgabe erhoben; in diesen Perioden gilt also der Markt (Begründung dazu am Schluss dieses Textes). Ist der Marktpreis hingegen tiefer als der Preispfad, schöpft die variable Lenkungsabgabe die Differenz ab. Um eine Erhöhung der Staatsquote zu verhindern, wird der Ertrag der Abgabe pro Kopf und Arbeitsplatz an Bevölkerung und Wirtschaft zurückerstattet; dies analog zum Rückverteilungs-Modell der bestehenden CO2-Abgabe.
Ein energiepolitischer Mittelweg
Um den ökologischen Umbau voranzutreiben, forderten Ökonomen schon im letzten Jahrhundert Lenkungsabgaben auf nicht erneuerbarer Energie. Beispiel: Ernst U. von Weizsäcker, Samuel Mauch und Rolf Iten präsentierten 1992** eine Abgabe, welche die Energie ab 1995 um 15 Prozent und danach jährlich um weitere sieben Prozent verteuern sollte. Der Preis für einen Liter Benzin, der damals an Schweizer Tankstellen 1,15 Franken kostete, wäre damit schon bis zum Jahr 2010 auf 3.60 Franken geklettert und hätte den Umstieg auf sparsamere Autos frühzeitig beschleunigt oder die Zunahme des Kilometerkonsums gedrosselt.
Doch Lenkungsabgaben stiessen stets auf politischen Widerstand von Wirtschaftsverbänden und bürgerlichen Parteien. Im Jahr 2000 lehnte das Schweizer Volk eine nationale Vorlage für Energieabgaben ab, obwohl diese die Energie weit weniger stark verteuert hätten als das Modell von Weizsäcker/Mauch/Iten. Der Markt, der in den Folgejahren dafür sorgte, dass Erdöl – teils schockartig – teurer wurde, liess die Chancen für Energieabgaben weiter schwinden.
Der massive Einbruch der Ölpreise in den letzten sechs Monaten bestätigt jetzt aber: Der schwankende Markt ist kein zuverlässiger Ratgeber, wenn es darum geht, mittel- und langfristige Energieziele zu verfolgen. In dieser Situation weist die variable Energieabgabe einen Mittelweg, der den Markt mit der Energie- und Klimapolitik in Einklang bringt.
Vielerlei Vorteile
Der hier skizzierte Vorschlag, bestehend aus einem fixierten Preispfad mit flexibler Lenkungsabgabe, bietet mehrere Vorteile:
- Die voraussehbar steigenden Preise fördern langfristige Investitionen zum Energiesparen sowie zur Nutzung von erneuerbaren Energien, und sie machen diese Investitionen besser kalkulierbar. Damit lässt sich der Verbrauch von umweltbelastender Energie sowie unsere Auslandabhängigkeit in der Energieversorgung reduzieren und der Klimawandel bremsen, ohne dass wir erneuerbare Energie inklusive Wasserkraft massiv subventionieren müssen.
- Die Lenkungsabgabe verhindert, dass während Rezessionen, die in der Regel mit sinkenden Marktpreisen für Energie einhergehen, Investitionen in neue Energietechnik aufgehoben oder aufgeschoben werden. Damit erspart sie teure staatliche Investitionsprogramme.
- Die Variabilität der Abgabe vermeidet, dass die Energie bei stark steigenden Marktpreisen zusätzlich verteuert wird. Im Unterschied zu fixen Lenkungsabgaben lassen sich damit kurzfristige Preisexplosionen und daraus resultierende Krisen abfedern.
- Dank der variablen Lenkungsabgabe dürfen wir uns über sinkende Preise auf dem Energiemarkt freuen, ohne fürchten zu müssen, dass damit die Energieverschwendung steigt. Denn die Differenz zwischen tiefem Marktpreis und höherem Preispfad, den die Energieabgabe abschöpft, fliesst in die Schweizer Volkswirtschaft zurück; steigende Marktpreise hingegen füllen primär die Kassen von Ölscheichs, Ölmultis oder Stromkonzernen.
Ein Ausgleich, aber warum nur einseitig?
Der hier präsentierte Vorschlag für eine variable Lenkungsabgabe korrigiert die Marktpreise für Energie einseitig, nämlich nur dann, wenn diese nach unten ausschlagen. Steigen die Marktpreise hingegen über das Niveau, das der Preispfad vorgibt, gilt der Markt. Als Alternative liesse sich nun fordern, die Einnahmen der Abgabe seien in einen Fonds zu stecken, und das Geld aus dem Fonds müsse verwendet werden, um die Differenz auszugleichen, falls die internationalen Marktpreise den vorgegebenen Preispfad überschreiten.
Diese Alternative hat einen Haken: Langfristig werden die Preise auf dem Energiemarkt ohnehin höher liegen und spätestens dann, wenn der Höhepunkt der globalen Erdöl- oder Erdgasförderung überschritten ist, über den skizzierten Preispfad hinaussteigen. Damit aber entsteht das finanzielle Risiko, dass die Ausgaben des Fonds zur Reduktion der Marktpreise die Einnahmen aus der Abgabe überschreiten und der Staat drauf zahlen muss. Aber auch sachlich wäre es falsch, langfristige Marktsignale nach unten zu korrigieren. Deshalb soll die variable Energieabgabe die langfristig voraussehbare Verteuerung der Energie nicht bremsen, sondern lediglich stabilisierend wirken, wenn die Marktpreise vorübergehend nach unten ausschlagen.
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* Den Vorschlag für eine variable Lenkungsabgabe hat der Autor schon Ende 2008 nach einem ähnlichen Ölpreissturz entwickelt und publiziert, unter anderem im Buch: «Schluss mit dem Wachstumswahn», Gasche/Guggenbühl, Verlag Rüegger 2010.
** Veröffentlicht im Buch «Ökologische Steuerreform», Ernst U. von Weizsäcker, Samuel Mauch und Rolf Iten, Verlag Rüegger, 1992.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine.
Gute Idee!
Der Preismechanismus hat eben zwei Seiten: Es gibt nicht nur die Nachfrage, es gibt auch die Angebotsseite.
Bei einer variablen Lenkungsabgabe hätten Anbieter überhaupt keinen Anreiz einen Preis unterhalb des definierten Preises anzubieten. Die Einnahmen der Lenkungsabgäbe wären somit Null. Die variable Lenkungsabgabe ist nichts anderes als ein staatlich durchgesetztes Kartell für die Ölanbieter. Da ein hoher Mindestpreis gesichert ist besteht ein sehr hoher Anreiz auch die letzten Ölvorkommen (auch bei noch so hohen Förderkosten, z.B Ölsande oder Fraking) auszubeuten.