Gewerbeverband will Zersiedelung weiter fördern
Dank den geltenden Steuergeschenken lohnt es sich für Pendlerinnen und Pendler, eine günstigere Wohnung weit weg vom Arbeitsplatz zu mieten oder kaufen, obwohl für den Weg zum Arbeitsplatz eigentlich tägliche Transportkosten anfallen würden. Doch viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können für ihre Autokilometer viele tausend Franken bei den Steuern in Abzug bringen.
So wurden im Jahr 2011 zwei extreme Fälle bekannt: Ein Ehepaar im Kanton Zug zog 74’000 Franken ab, im Kanton St. Gallen eine Einzelperson 67’000 Franken. Auch sämtliche Kosten des öffentlichen Verkehrs sind abzugsfähig.
Der Bund und etwa die Hälfte der Kantone sind nun daran, die Höhe solcher Pendlerabzüge auf 3000 bis 6000 Franken pro Jahr zu limitieren.
Geplante Maximalabzüge für Pendlerkosten laut «Blick»
© Ringier
Tagesschau als Sprachrohr des Gewerbeverbandes
Am 1. November brachte die SRF-Tagesschau in der Hauptausgabe und in der Spätausgabe gleich zweimal den gleichen Bericht, der die Tonalität des Gewerbeverbands übernahm. Dieser bekämpft Maximalbeträge bei den Pendlerabzügen. Die Tagesschau leitete den Bericht ein mit dem Satz: «Fast 90 Prozent aller Erwerbstätigen sind Pendler. Sie verlassen ihr zu Hause, um zur Arbeit zu gelangen.» Daraus lässt sich lediglich schliessen, dass 10 Prozent der Erwerbstätigen ihren Arbeitsplatz zu Hause haben. Diese Information ist für das Thema Pendlerabzüge irrelevant. Zum Einordnen wäre die Angabe sinnvoll gewesen, wie viel Prozent der Erwerbstätigen heute von Pendlerabzügen profitieren. Denn die Tagesschau fuhr fort: «Mehrere Kantone wollen diese Pendlerabhüge kürzen.»
Darauf kamen mit Dieter Klay vom Gewerbeverband und mit Alfred Heer vom Bund der Steuerzahler gleich zwei Verteidiger von unbeschränkten Pendlerabzügen zu Wort.
«Gewerbetreibende müssen oft weit fahren», meinte die Tagesschau, und liess Dieter Klay vom Gewerbeverband erklären, Angestellte müssten «mit dem Auto zu den Kunden fahren». Sie könnten «nicht einfach ihren Zementsack mit der Bahn oder dem Fahrrad transportieren». Das tönt einleuchtend, hat jedoch mit dem Pendlerabzug nichts zu tun.
Die Tagesschau liess diese Aussage im Raum stehen, obwohl «Fahrten zu den Kunden» von den Steuern ohnehin sogar zu 100 Prozent als Geschäftsaufwand abgezogen werden können. Sie haben mit dem Pendeln nichts zu tun. Dafür durfte Alfred Heer in der Tagesschau nachdoppeln: Er wolle «diesen Unsinn» einer Limitierung der Pendlerabzüge stoppen.
Als Befürworter liess die Tagesschau den Zuger CVP-Regierungsrat Peter Hegglin, Präsident der Finanzdirektoren-Konferenz, die vorgeschlagene Limitierung damit begründen, dass die Kantone «mehr Aufgaben finanzieren» müssten. Die Zuschauer erfuhren nicht, dass Hegglin in seinem eigenen Kanton Zug unseres Wissens bisher keine Limitierung des Pendlerabzugs vorgeschlagen hat.
Im ganzen fast 3-minütigen, zweimal ausgestrahlten Beitrag der Tagesschau bliebe die wichtigste Kritik an den Pendlerabzügen unerwähnt, dass diese in der Vergangenheit die Zersiedelung der Schweizer Landschaften gefördert und subventioniert haben.
«Zersiedelung und umweltschädigende Mobilität»
Eine Studie im Auftrag der Bundesämter für Umwelt und für Raumentwicklung kam zum Schluss, dass das geltende Steuersystem mit Blick auf den Bodenverbrauch zu unerwünschten Effekten führe, denn es fördere das «tendenziell flächenintensive Wohneigentum».
So begünstige die Möglichkeit, Ausgaben für das Pendeln zum Arbeitsplatz von den Steuern abzuziehen, die räumliche Trennung von Wohn- und Arbeitsort und damit die Zersiedelung sowie die umweltschädigende Mobilität. Die Höhe dieser Pendlerabzüge falle dabei ins Gewicht, hält die Studie fest.
Subventionierte Autopendler
In der Schweiz können die Fahrkosten für den Arbeitsweg als Berufsauslagen vom steuerbaren Einkommen abgezogen werden. Wer in einer Stadt arbeitet und sich im ländlichen Raum niederlässt, wird vom Staat also finanziell belohnt, obwohl er mit seinem Verhalten zur Zersiedelung und zum wachsenden Verkehr beiträgt, erklärt das Bundesamt für Umwelt Buwal. Ökonomisch betrachtet habe der Fahrkostenabzug die gleiche Wirkung wie eine Subvention.
Als Beispiel nennt das Buwal einen hypothetischen Haushalt im thurgauischen Gachnang, wo sich in den vergangenen Jahren viele junge Familien niedergelassen haben, die im Kanton Zürich arbeiten. Gabi und Klaus Meier haben zwei Kinder und sind beide erwerbstätig. Er arbeitet 100 Prozent und pendelt täglich mit dem Auto 38 Kilometer nach Opfikon (ZH). Sie ist zu 50 Prozent beschäftigt und fährt dazu mit Velo und Bus ins 4 Kilometer entfernte Frauenfeld (TG). Zusammen verfügen die beiden über ein steuerbares Einkommen von 100’000 Franken. Während der Mann einen Fahrkostenabzug von 10 800 Franken geltend macht, kann die Frau 1200 Franken für ihren Arbeitsweg abziehen. Damit spart die Familie fast 3000 Franken an Gemeinde-, Kantons- und Bundessteuern ein.
Beispiel heutige Wohnbevölkerung der Gemeinde Morges
Verteilung heute / Alles verdichtet / Nur Einfamilienhäuser
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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
Zersiedelung der Landschaft ist nur die eine Seite der Medaille. Die andere sieht so aus: Bekomme ich in der Nähe meines Arbeitsplatzes eine bezahlbare Wohnung? Oder umgekehrt: Finde ich in der Nähe meiner Wohnung einen Arbeitsplatz? Eine Familie besteht nicht nur aus den (arbeitenden) Eltern sondern aus Kindern. Zügeln heisst, das soziale Umfeld (Schule, Vereine, usw.) verlassen. In der Abwägung kann der Entscheid zugunsten des Pendelns ausfallen.
Und überhaupt: Bis Oktober 2010 stand Frau BR Leuthardt dem EVD vor, zuständig u.a. auch für Arbeitsvermittlung, RAV. Damals war die Zumutbarkeit des Pendelns weitgefasst. Flexibilität war gefordert. Eine Stelle mit bis zu zwei Stunden Arbeitsweg war zumutbar.
Arbeitnehmende sollen nicht immer die Dummen sein. Firmen, die ihre Geschäftssitze immer mehr zentralisieren, müssen zur Kasse gebeten werden. Sie haben entsprechende Abgaben zu errichten. Das verschiebt die Kostenrechnung zugunsten der Dezentralisierung.
Was tun gegen den Verkehrskollaps?
Um den Verkehskollaps in den Grossagglomerationen zu verhindern, gibt es noch andere Mittel als die Erhöhung der Verkehrskapazitäten, die Verteuerung der Mobilität in Stosszeiten, weitere bauliche Verdichtung in den bereits dicht überbauten Grossagglomerationen und mehr Heimarbeit. In erster Linie muss die Zuwanderung auf ein vernünftiges Mass zurückgefahren werden. Daneben muss die Arbeitsplatzentwicklung an den Hotspots der Grossagglomerationen durch eine entsprechende Zonenpolitik eingeschränkt werden. Auch die Wirtschaft muss sich bewegen, und Arbeitsplätze, die nicht zwingend auf zentrale Standorte in den Grossagglomerationen angewiesen sind, müssen in die Zentren an der Peripherie, z. B. in den Kanton Aargau, verlagert werden, um damit unter anderem die weniger genutzte Gegenlast-Richtung der Pendlerverkehrswege besser ausnützen zu können.
"die Arbeitnehmenden sollen nicht immer die Dummen sein…»
Das finde ich auch, ich finde auch, dass die von AN verlangte Mobilität völlig übertrieben ist. Indes wäre zu klären, welchen Anteil hat der notgedrungene Pendlerweg und welchen Anteil hat jener, der durch das Streben nach besserem Einkommen generiert wird.
Die Steuerabzüge sind nicht nur völlig übertrieben, sie sind auch asozial! Denn Gutverdiendende erhalten im Endeffekt an der Steuerrechnung für den gleichen Transportaufwand den grösseren Rabatt, als Wenigverdienende. Wobei genau letztere eher zum pendeln genötigt werden und auch eher entlastet werden sollten.
Wo AN auch immer die «Dummen» sind: Bei den Lohnabzügen für die sog. Sozialversicherungen. Unser Staat leistet sich eine Armee, bezahlt aber den Soldaten keine Löhne. Dies geht zu Lasten der EO, welche die Löhne schmälert und Schweizer Produkte verteuert. Dumm sind dann auch Unternehmer und ihre Kundschaft. Dafür lachen die (wir) Steuerzahler. Die Welt ist aus den Fugen, Meloni!
Übrigens werden viele Dörfer wegen der subventionierten Mobilität zu Schlafdörfern. Erwerbsarbeit am Wohnort wird durch Subventionen rarer! :-((