«Jagd auf ältere Frauen, die im Spital waren»
Bundesrat Alain Berset prangert «die Jagd» der Krankenkassen «auf junge, gesunde Menschen» an und übernimmt damit ein viel gehörtes Argument der Befürworter einer Einheitskrankenkasse. Doch die Zeit ist vorbei, als es für Krankenkassen finanziell interessant war, gesunde junge Männer als Mitglieder zu werben. Junge verursachen zwar wenig Kosten, aber die Kassen müssen für jedes junge und gesunde Mitglied eine hohe Ausgleichszahlung an Kassen mit «teuren» Mitgliedern zahlen. Unterdessen sind junge gesunde Männer in den meisten Kantonen sogar zum Defizitgeschäft geworden (siehe Kasten). Die Verluste für die Kassen sind besonders hoch, wenn die Jungen die höchste Franchise und damit die tiefste Prämie wählen. Aus diesen Gründen mussten die Kassen die Prämien für die Altersklasse 19-25 in den letzten Jahren besonders stark erhöhen und werden dies auch im nächsten Jahr tun müssen.
Krankenkassen-Experte Josef Hunkeler, der sich beim Preisüberwacher jahrelang mit den Kassen beschäftigte, hat die Rechnung für die Krankenkassen aufgrund der eingenommenen Prämien, der Zahlungen an den Risikoausgleichsfonds und den im Jahr 2013 angefallenen Kosten berechnet.
«Gute Risiken neu im Seniorenheim»
Dank des verschärften Risikoausgleichs erhalten Kassen für alle, meist älteren Mitglieder, die im Vorjahr «mindestens drei aufeinanderfolgende Nächte» in einem Spital verbrachten, eine hohe Entschädigung aus dem Risikotopf. Das sind meist ältere Mitglieder. Seither sind Frauen im Alter von über 55 Jahren, die im Vorjahr für einen Eingriff im Spital waren, für die Kassen «geradezu eine Goldgrube», hat Hunkeler ausgerechnet. Die Spitalkosten gehen nur etwa zur Hälfte zu Lasten der Kassen, die andere Hälfte der Rechnungen begleichen die Steuerzahler.
Für Junge sieht die Berechnung Hunkelers für den Kanton Zürich wie folgt aus: Männer im Alter von 19-25 Jahren kosteten die Kassen im Jahr 2013 pro Monat durchschnittlich 283 Franken (75 Franken Gesundheitskosten und 208 Franken Abgaben in den Risikopool), Frauen im gleichen Alter kosteten durchschnittlich 284 Franken (123 Franken Gesundheitskosten und 161 Franken Abgaben in den Risikopool). Alle Prämien unter 283 beziehungsweise 284 Franken sind für die Kassen ein Verlustgeschäft. Im Kanton Zürich betrifft dies heute 14 Prozent aller Prämien für «junge Erwachsene». Die Verwaltungskosten der Kassen sind dabei nicht einmal berücksichtigt.
Insgesamt decken die Prämien von jungen Männern im Kanton Zürich deren Kosten nur zu 96,7 Prozent. Nicht einmal die Hälfte der Kosten deckten die Prämien in den Kantonen NW, OW, JU, GL und AR. «Wir prüfen nur, ob die Prämien einer Krankenkasse in einem Kanton insgesamt kostendeckend sind», erklärt Daniel Dauwalder, Sprecher des Bundesamts für Gesundheit BAG. Bei den Prämien für 19- bis 25-Jährige lässt das BAG Defizite zu, wenn dafür Erwachsene im gleichen Kanton entsprechend mehr zahlen.
Selbst Männer bis 40 führen zu Verlusten
Ab Alter 25 sind die Prämien bis ins höchste Alter identisch. Doch als Folge der Abgaben in den Risikopool bleiben auch Männer der Altersklasse 26-40 für die Kassen im Schweizer Durchschnitt ein Verlustgeschäft. Die Prämien abzüglich der Zahlungen in den Risikopool erlauben es nicht, die Kosten zu decken. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Männer weitgehend gesund waren oder einen Spitalaufenthalt hatten. «Gute Risiken müssen wir neu in Seniorenheimen suchen», erklärte ein Kassenchef in der Handelszeitung. Sollte der Risikoausgleich in Zukunft wie geplant zusätzlich noch den Medikamentenverbrauch berücksichtigen, könne die Jagd auf ältere Kranke erst recht beginnen, meint Krankenkassen-Spezialist Hunkeler. Santésuisse sehe diesen Trend genauso, erklärt Sprecher Christophe Kaempf.
«Jagd auf junge Gesunde» bleibt Schlagwort
Trotzdem kritisiert der Waadtländer SP-Gesundheitsdirektor Pierre-Yves Maillard, ein erklärter Befürworter einer Einheitskasse, für Kassen sei es «lukrativ, Jagd auf junge Gesunde zu machen». Das löst stärkere Empörung aus als der Vorwurf «Jagd auf ältere Frauen, die für einen Eingriff im Spital waren», geschweige denn «Jagd auf Insassen von Seniorenheimen». Maillard räumt auf Anfrage ein, dass die guten Risiken gesamtschweizerisch vielleicht nicht mehr die jungen Gesunden seien: «Es bleiben aber immer Nischen für gute Risiken, die eine Selektion erlauben», verteidigt er sich.
Hunkelers Statistik zeigt: Der verfeinerte Risikoausgleich führt bereits heute dazu, dass die Selektion von neuen Mitgliedern, die mehr Geld bringen als sie kosten, für die Kassen zunehmend aufwändiger wird. Weil für Ausgleichszahlungen nicht mehr nur Geschlecht und Alter massgebend sind wie früher, sondern auch Spitalaufenthalte, wird eine gezielte Anwerbung schwieriger. Fast unmöglich wird die «Jagd nach gute Risiken», wenn der Risikoausgleich wie geplant zusätzlich noch den Medikamentenverbrauch berücksichtigt.
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IN DEN MEISTEN KANTONEN SIND JUNGE MÄNNER FÜR DIE KASSEN EIN DEFIZITGESCHÄFT (Kopie aus SoZ)
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Dieser Beitrag erschien in der Sonntags-Zeitung vom 10.8.2014
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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
Die Argumentation bezüglich ‹Junge/Gesunde› und ‹Alte/Kranke› ist nachvollziehbar. Was ich aber im Zusammenhang mit dem Risikoausgleich nicht verstehe: Warum zahlen bei einer Kasse mit ‹Alten/Kranken› die Steuerzahler mehr? Der Risikoausgleich sollte doch so konstruiert sein, dass dann diejenigen Kassen dafür zahlen, die aufgrund ihrer Versichertenstruktur überdurchschnittlich viel in den Risikoausgleich einzahlen müssen: Also die andern Versicherer zahlen, nicht ‹der Steuerzahler›. Oder verstehe ich da etwas falsch?
Eine völlig andere Frage – die dann wirklich den Steuerzahlter trifft – ist die Spitalfinazierung. Die hat dann aber nichts direkt mit dem Risikjoausgleich zu tun.
Danke für diesen Beitrag, welcher aufzeigt, wie einzelne KK’s heutzutage doppelt verdienen: Über Budgetverantwortung in Managed Care Ärztenetzwerken dank Retrozessionen & dem Wirtschaftlichkeitsverfahren büsst man Ärzte, welche das vertraglich vereinbarte Budget nicht einhalten. Dies ohne eigentliche Überprüfung, ob die Leistungen medizinisch notwendig waren oder nicht. Um also nicht gebüsst zu werden, muss man als Arzt die teuersten Risiken loswerden oder eben rationieren, wenn man zu viele teure Patienten in seinem Praxiskollektiv hat. Wenn er zusätzlich rationiert, wird er zusätzlich mit Bonifikationen belohnt! So drückt der Grundversicherer also die Kosten und Behandlungsqualität bei den chronisch Kranken, Invaliden & Senioren.
Gleichzeitig erhält die KK aber über den Risikoausgleich Geld von den anderen KK’s, die günstigere Patientenkollektive aufweisen.
So verdient ein Versicherer wie die CSS letzten Endes doppelt. Teure Risiken werden skrupellos rationiert und man erhält sogar noch Geld dafür!
Konstantin Beck, Ökonom der CSS, der Erfinder der Risikoausgleichsformel, muss in seiner eigenen Arbeit (Risk Adjustement In Health Insurances. S.11) sogar zugeben, dass nur 30% der Kosten erklärt werden können. 70% bleiben ungeklärt! Die Jagd nach den guten Versicherungsrisiken kann so ungehindert weitergehen, mit dem Unterschied, dass man für die Schlechten noch zusätzlich abkassiert. Aufwachen!!! Kranke und Senioren werden durch die KK’s so unbemerkt doppelt abgezockt!
@Keusch. Das sind nicht nachvollziehbare Behauptungen. Sie ziehen ständig gegen Ärzte-Netzwerke los, legen zwar den Finger auf den wunden Punkt der Rabatte, ignorieren aber die viel gravierenden falschen finanziellen Anreize, die das Tarmed-System und die Privathonorare verursachen.
@Rohrer. Ich kann nicht nachvollziehen, was Sie meinen. Woher nehmen Sie die Aussage, dass Steuerzahler bei einer Kasse mit Alten/Kranken mehr zahlen? Die Steuerzahler zahlen immer rund die Hälfte der Spitalkosten, egal ob die SpitalpatientInnen jung oder alt sind. Ich wollte nur sagen, dass Ältere, die im Spital waren, keine «guten» Risiken für die Kassen wären, falls die Kassen 100% der Spitalkosten zahlen müssten und nicht nur etwa die Hälfte.
@Gasche: Als politisch und finanziell unabhängiger Patientenvertreter setze ich mich für das gesundheitliche Wohl des einzelnen Patienten und nicht für das wirtschaftliche Wohl der Gesundheitsindustrie ein. Budgetverantwortung im aktuellen System führt nämlich bereits zu dem, was man unter einer Einheitskasse befürchtet: Qualitätsverlust und Kostensteigerung. Wir alle wissen, zu welchen Problemen die Globalbudgets bei den Spitälern in den 90er führte: Einsparung bei der Pflege und damit verbundene kostensteigernde Komplikationen, ja sogar leider unnötige Todesfälle.
Ärztenetzwerke verpflichten sich so, Billigstmedizin ohne Beleg der Zweckmässigkeit (WZW Kriterium gemäss Art. 32 Abs. 1 KVG) anzubieten. Mind. 10% günstiger als im Grundmodell. Sie erhalten bei Einhalten Bonifikationen. Bei Unterschreiten wird der zusätzliche Gewinn hälftig zwischen KK und Ärztenetzwerk aufgeteilt. Das ist leider ein falscher finanzieller Anreiz und fördert kostenverteuernde Unterversorgung. Aktuell werden Einsparungen von 15-20% verhandelt (Beispiel intern vorliegend/vor Gericht belegbar).
Wer zudem nicht in einem Netzwerk arbeitet, muss aufpassen, dass er nicht zu viele teure Patienten in seinem Kollektiv hat, sonst muss er willkürlich rationieren oder diese teuren Patienten loswerden (Wirtschaftlichkeitsüberprüfungsverfahren santésuisse). Dies passiert leider alles, ohne die Indikations- und Behandlungsqualität in unserem Gesundheitswesen nachweisen zu können. …
In Kantonen mit mehr als 10 Ärztenetzwerken sind z.B. die Kosten nun stärker angestiegen als in anderen Kantonen, obwohl diese vertraglich Billigstmedizin anbieten (gemäss Einschreiben an BR Berset dieses Jahr). Wenn diese tatsächlich qualitativ in Ordnung ist, d.h. nach medizinischen Fachkenntnissen angemessen therapiert (weder kostenverteuernde Über- noch Unterversorgung), müsste aber genau in diesen Kantonen ein geringerer Kostenanstieg festzustellen sein. Offensichtlich funktioniert diese Billigstmedizin aber nur im finanziellen Interesse der Ärztenetzwerke speziell auf Kosten der teuersten Risiken: chronisch Kranke, Behinderte und Senioren.
Es bedarf somit einer generellen unabhängigen Versorgungsforschung um kosteneffizient Indikations- und Behandlungsqualität zum Wohle der Patienten in Ärztenetzwerken mit Budgetverantwortung fördern zu können.
Dies stellt aber offensichtlich eine Gefahr für alle dar, die Transparenz fürchten (Schweiz. Ärztezeitung Nr. 33/2014:1199-1201), denn über medizinisch angemessene Behandlung können nebenbei sämtliche finanziellen Fehlanreize eliminiert werden, mit der schrecklichen Nebenwirkung für unsere Gesundheitsindustrie, nicht mehr alles einfach willkürlich ohne Nutzenbeleg bewerben, über finanzielle Fehlanreize behandlungsbeeinflussend fördern oder eben auch rationierend steuern zu können.
Dies müsste primär im Interesse eines jeden Patientenschützers stehen, oder etwa nicht?! Dann kann man anfangen Tarmed etc. ökonomisch zu optimieren
"Teure Patienten» sind für die Versicherer nicht unbedingt ein Verlustgeschäft. Der Risikoausgleich macht es möglich. Junge «gesunde» Männer sind zwar kein Budgetproblem für HMOs, können aber wegen der Risikoausgleichstransfers für Kassen schön teuer zu stehen kommen. Kassen, welche also kostengünstige HMOs organisieren, um junge gesunde Männer anzulocken, müssen vielleicht über die Bücher gehen.
Es gibt immer verschiedenen Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Ein Gesundheitsprogramm, welches im makroökonomischen Rahmen, d.h. auf der Basis der Gesamtheit der Kosten/Nutzen-Relation vernünftig erscheint, muss nicht für alle Partner im Geschäft vernünftig sein. Der Leistungserbringer ist durch den Risikoausgleich nicht betroffen. Die Versicherer, und schliesslich die Prämienzahler aber sehr wohl.
"Finanzielle Fehlanreize» – für Patienten oder Leistungserbringer ? – können sich sehr wohl als zweischneidige Instrumente erweisen. Kostengünstigkeit gemäss KVG muss aber nicht zwingend als «Billig-Medizin"interpretiert werden.
Finanzierungsprobleme der Kassen haben aber mit der Qualität der therapeutischen Pflege nur wenig zu tun. Diese Dichotomie macht die politische Diskussion rund um die Frage der Einheitskasse nicht einfacher. Fakt ist aber, dass bei einer Einheitskasse, die Frage nach dem Risikoausgleich und der daraus folgenden Ungereimtheiten institutionell «ab initio» gelöst ist. Allerdings nicht unbedingt das Grundproblem der Solidarität.
Kostengünstigkeit oder Billigstmedizin muss nicht nachteilig sein, wenn deren medizinische Indikations- und Behandlungsqualität über Begleitforschung als kosteneffizient belegt werden kann. Die in unseren Ärztenetzwerken integrierter Versorgung mit Budgetverantwortung (Managed Care) angebotene Grundversorgung erweist sich aber leider nicht als kosteneffizient, sondern dient nur der Förderung der Wirtschaftlichkeit der einzelnen Krankenversicherer, um die Kosten ihrer teuersten Risiken niedrig halten zu können, gesamthaft gesehen aber im ganzen System leider zu weiteren Kostenanstiegen führt (gemäss meinem Einschreiben an BR Berset vom 16. Januar 2014 oder VEMS-Dossier http://physicianprofiling.ch/VEMSVersorgungssicherheit032014.pdf )
So gesehen verfehlen die in diesen Netzwerken geleisteten ‚finanziellen Fehlanreize’ oder Retrozessionen (Bonifikationen, Provisionen, Kickbacks) gegenüber unseren Ärzten das gesundheitspolitisch angestrebte Ziel. Diese auf Kosten der Prämienzahler finanzierten Retrozessionen sind hinsichtlich ‚Medical Outcome’ deshalb nicht als ‚zweckmässig’ sondern leider als missbräuchlich einzustufen.
Die nächste kostenverteuernde gesundheitspolitische Fehleinschätzung nach Swiss DRG …
Das Problem liegt also wahrscheinlich in der Handhabung der vorgegebenen Budget-Limiten. Gemeinschaftspraxen und andere HMO-ähnliche Organisationen könnenaber durchaus für die Patienten einen echten Mehrwert schaffen.
Zugegebenermassen, wurden solche Organisationen in erster Linie im Sinne der Jagd nach (vermeintlich) guten Risiken geschaffen, aber auch um durch Kostensenkungen bei einer relativ gesunden und vornehmlich jungen Kundschaft, Prämienrabatte generieren zu können, welche sich auf Zeit selbst für Kassen auszahlen könnten.
Die Systemmanipulationen «tout-azimut» haben die positiven Aspekte dieser Organisationsform wohl etwas in Zweifel gezogen.
Tatsache bleibt, dass ich kaum in Versuchung gerate einen solchen «Billigweg» einzuschlagen, da meine Kasse kein solches Angebot auf der westlichen Seite des Röstigrabens zu haben scheint. Belp und Murten sind für mich im voranschreitenden Alter auch keine Alternative zum Hausarzt, der dazu den Vorteil hat mich gesundheitlich vielleicht besser zu kennen als ich selbst.
Ich kann mich Ihrer Argumentation zur mangelnden Zielorientierung der Organisation im ambulanten Bereich wohl anschliessen.
suite Begriffe wie „Kosten-Eugenik“ sollten aber wohl mit äusserster Vorsicht verwendet werden. Es gibt auch therapeutisch relevante Argumente für die Zurückhaltung bei der Aufnahme neuer Medikamente in die Kassenpflicht. Ebenso gibt es auch gute Argumente, Doubletten in der Therapie zu vermeiden. Wenn so etwas über einen Budget-Deckel erreicht werden muss ist das sicherlich bedauerlich. Vielleicht müssten sich aber auch die Leistungserbringer fragen, ob ihre ethische Haltung nicht allzu leicht durch „finanzielle Fehlanreize“ geritzt wurde.
@Hunkeler: Angesichts der m.E. inakzeptablen und behandlungsdiskriminierenden Äusserungen der Patientenvertreterin und Präsidentin der Stiftung SPO, Nationalrätin Margrit Kessler (GLP) zur Therapieeinschränkung des neuen Hepatitis C Medikaments Sovaldi durch EDI/BAG anlässlich eines Interviews mit ‚20minuten’ vom 8. August 2014 (http://www.20min.ch/schweiz/news/story/31325483 ) muss man als politisch und finanziell unabhängiger Patientenvertreter leider mit aller Härte auf diese im Hintergrund bereits gesundheitspolitisch geförderte Kosten-Eugenik aufmerksam machen. Vorsicht ist hier nicht mehr angebracht, weil leider bereits Tatsache!
Bei dieser Lektüre kann ich natürlich Ihren Ärger verstehen. Wenn «Patientenschützer» zu Moralaposteln werden und das elementare therapeutische Denken irgendwie in den Hintergrund verschoben wird, haben wir ein echtes Problem.
Richtig ist aber auch, dass bei diesen experimentellen Präparaten die therapeutische Qualität oft noch lange nicht gesichert ist und die Frage, ob klinische Versuche über die soziale Krankenversicherung zu bezahlen seien, legitim sein muss.
Gerade bei Onkologika hat man doch sehr oft das Gefühl, dass es nicht um die Erhaltung lebenswerten Lebens von Patienten geht, sondern hauptsächlichst um Leidensverlängerung von Patienten, welche sich nicht dagegen wehren können oder wollen.
Bei der vorgewiesenen klinischen Evidenz war häufig von nicht mehr als von einer «nachweisbaren Ansprechrate» die Rede. Ob die positiven Resultat der Therapie, bei der naturgemäss kleinen Anzahl beobachteter Resultate, mehr als statistischer Zufall war, konnte von den Herstellern in vielen Fällen auch nicht überzeugend belegt werden.
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Bei dieser therapeutisch in keiner Weise überzeugenden Sachlage sind Ausdrücke wie «der Ferrari fürs Grab", aber auch die Frage nach der Kostenlimitierung aus der Basisversicherung legitim.
Es gab schon seit langem Vorschläge, solche Fälle über spezielle Kanäle, z.B. einen Hochrisikopool mit besonders therapeutisch kompetenten Spezialisten abwickeln zu lassen.
Als Ökonom habe ich aber auch die Frage gestellt, ob der Patient mit einem Karton Champagner nicht besser bedient wäre.
@Hunkeler: Aus diesem Grunde muss das WZW-Kriterium «Zweckmässigkeit» endlich an die Preisbildung und Preisüberprüfung dank Etablierung von Versorgungs-, resp. Zweckmässigkeitsforschung gekoppelt werden. Alles andere fördert ‹finanzielle Fehlanreize› auf Kosten der Versorgungs- und Behandlungssicherheit der Versicherten und Patienten der OKP, mit der grossen Gefahr der Verschärfung der Kosten-Eugenik in ‹wertes› und ‹unwertes› Leben (siehe: http://www.saez.ch/archiv/details/quo-vadis-preisgestaltung-und-nutzenbeleg-neuer-krebsmedikamente.html )