CodeOdessa

Der unter dem Code-Namen «Odessa» auftretende Talkshow-Teilnehmer: Der Journalist soll sich schämen! © ua-tv

Britischer Reporter schockt die Ukraine

Christian Müller /  Ein Journalist der Sunday Times wagte in einer Talkshow in Kiev zu sagen, was er gesehen hatte. Doch man bezichtigte ihn der Lüge.

Man kann es in den westlichen Medien kaum lesen. Und trotzdem ist es bittere Realität: Die ukrainische Armee schiesst im Osten des Landes auf die eigenen Staatsbürger und bombardiert Siedlungen, in denen ganz normale Menschen leben, Zivilisten, die gerne arbeiten und ihr bescheidenes Leben in Frieden fristen würden. Es hat in Folge dieser Angriffe der ukrainischen Armee bereits mehrere hundert Tote gegeben, davon, gemäss Human Rights Watch, etwa 3/4 Zivilisten, und natürlich noch viel mehr Verwundete, und Tausende sind bereits auf der Flucht – der Situation entsprechend vor allem Richtung Russland. Es herrscht Bürgerkrieg, wenn auch lokal begrenzt.

Doch wer kämpft eigentlich gegen wen? Die Regierung in Kiev behauptet, dass die Separatisten massiv von Putin unterstützt würden, sowohl mit einer Unmenge Geld und schweren Waffen als auch mit Spezialeinheiten des Präsidenten der Teilrepublik Tschetschenien, Kadyrow. Und sie nennt die Separatisten natürlich Terroristen und die Einsätze der eigenen Armee nennt sie Bekämpfung des Terrorismus. Die meisten westlichen Medien übernehmen diese Darstellung ungeprüft.

Ein britischer Reporter berichtet

Aber es gibt sie noch, die Reporter, die auf der Suche nach der Wahrheit sind und die sich nicht scheuen, selber in die Krisen- oder gar Kriegsgebiete zu gehen und vor Ort mit Kämpfenden und Zivilisten, mit Tätern und Opfern zu reden. Einer von diesen ist Mark Franchetti, der für die britische Sunday Times in Moskau stationiert ist. Franchetti spricht fliessend fünf Sprachen, darunter Russisch. Und Franchetti scheut sich nicht, das zu beschreiben, was er erlebt, gesehen und gehört hat. So etwa war Franchetti mehrere Male im Irak, in Afghanistan, Dutzende Male in Tschetschenien oder auch etwa in Georgien. Für seine Reportagen hat er schon mehrere internationale Auszeichnungen erhalten.

Nun war Mark Franchetti auch in der Ostukraine und berichtete darüber in der Sunday Times. Zuerst mischte er sich unter die Bevölkerung in Donezk. Aber er ging auch zu den Separatisten vom so genannten Battalion Vostok (Batallion Ost). Mit diesen Leuten erlebte er einen Angriff der ukrainischen Armee. Drei Wochen war er im Donbass auf Recherche.

Auftritt im Ukrainischen Fernsehen

Am 13.6.2014 war er nun als Gast in der Talkshow «Schuster live», die in der Ukraine in der Primetime ausgestrahlt wird und zu den beliebtesten Talkshows gehört. Der Moderator, Sawik Schuster, stellte Mark Franchetti nicht nur als hervorragenden Journalisten vor, sondern bezeichnete ihn auch als guten Freund. Hier sollte er nun erzählen, was er in der Ostukraine gesehen hat, von all den russischen Einmischungen und Übergriffen und von der Unterstützung der Separatisten durch russisches Militär und durch beste russische Waffen.

Aber es kam anders: Mark Franchetti weigerte sich zu bestätigen, dass das Battalion Vostok von russischen bzw. tschetschenischen Militärs geführt werde. Er wies im Gegenteil mehrmals darauf hin, dass diese Separatisten des «Battalion Vostok», die von Kiev als die brutalsten Kämpfer bezeichnet werden, die auch vor dem Töten von Zivilisten nicht zurückschreckten, ganz normale Leute aus der Bevölkerung des Donbass sind, zum grössten Teil schlecht bewaffnet und ohne jede militärische Ausbildung. «Ich sage einfach, was ich selber gesehen habe», sagte Franchetti.

Weil nicht sein kann, was nicht sein darf

Die anwesenden Zuschauer der Talkshow, darunter etwa ein «Berater» des ukrainischen Innenministeriums, zeigten sich empört über solche «Lügen» dieses Journalisten und behaupteten, Franchettis Reportage sei vollständig von den Russen organisiert gewesen, damit der Westen durch einen Ausländer falsch informiert werde.

Ein – notabene verhüllter! – Anwesender an der Talkshow etwa sagte wörtlich, in Donbass kämpfe die Ukraine «persönlich gegen Putin, gegen Janukowitsch und gegen andere Arschlöcher, Arbeitslose, Drogensüchtige und Alkoholiker». Micheil Saakaschwili, der ebenfalls als Gast zur Talkshow eingeladene ehemalige Präsident Georgiens, nannte Franchetti schlicht einen «Idioten».

Die Talkshow ist im ukrainischen Fernsehen in voller Länge aufgezeichnet und abrufbar. Eine auf 16 Minuten gekürzte Version ist als Youtube-Video abrufbar – mit deutschen Untertiteln (Wer beim Abrufen keine deutschen Untertitel sehen kann, kann rechts unter dem Bild das kleine zweite Symbol von links anklicken und dort das Einblenden der deutschen Untertitel einschalten). Hier geht’s zum Video.

Ein Lehrstück

Diese ukrainische Talkshow ist ein Lehrstück, wie im internationalen Machtgerangel nichts unterlassen wird, um der Bevölkerung die eigene Position beliebt zu machen und den «Feind» zu verteufeln. Da haben selbst Journalisten, die den Mut haben und sich Zeit nehmen und selber für mehrere Wochen vor Ort gehen, einen äusserst schweren Stand.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

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