Milch

Fehlende Kontrollen bei den Liefermengen von Milch führen zu Überproduktion © swissmilk

Warum die Milchbüchleinrechnung nicht aufgeht

Eveline Dudda /  Milchkaufverträge sollen den Milchmarkt stabilisieren. Doch Bauern liefern oft mehr ab als vereinbart. Kontrollen gibt es keine.

Vertragliche Abmachungen sind normalerweise für beide Parteien bindend. Doch das gilt offensichtlich nicht für die Milchkaufverträge der Bauern. Die Verträge sollten nach der Aufhebung der Milchkontingentierung den Bauern ein sicheres Einkommen garantieren. Sie sollten Milchpreise und -mengen stabilisieren, das Entstehen von Spotmärkten für Überschussmilch verhindern und für Transparenz sorgen. So sah es das Parlament vor, als es die Milchkaufverträge als Teil der flankierenden Massnahmen absegnete. Doch das Gegenteil war der Fall: Von Anfang an lieferten Bauern zu viel Milch, der Milchpreis sank 2012 auf ein Rekordtief.
Zufall ist das nicht. Denn die gelieferten Milchmengen stimmen häufig nicht mit den vertraglich festgelegten Mengen überein. Es gibt Bauern, die laut Vertrag mehr als 3 Millionen Kilogramm Milch melken müssten, aber nur 150’000 Kilogramm abliefern. Andere wiederum liefern 100’000 Kilogramm, obwohl im Vertrag nur 100-Kilogramm vereinbart wurden. In mehr als zehn Prozent der Fälle wurde die in der DB-Milch erfasste Vertragsmenge um mehr als 50’000 Kilo überschritten, Tausende Betriebe haben offiziell nicht einmal einen Vertrag.
Bewährte Strategie: Aussitzen
Ein Teil der Abweichungen lässt sich mit der speziellen Erfassungsweise von Betriebsgemeinschaften oder Sömmerungsbetrieben erklären, aber längst nicht alles. Die Diskrepanzen haben einen anderen Grund: Es gab und gibt keine Kontrollen. Laut Bernard Lehmann, Direktor des Bundesamts für Landwirtschaft, musste ein Milchkaufvertrag eine Vereinbarung über Milchmenge und Milchpreise enthalten. Es gab aber keine gesetzliche Bestimmung zur Überwachung und Kontrolle der vereinbarten Milchmengen. Für FDP-Nationalrat Jaques Bourgeois ist klar: «Verträge müssen kontrolliert werden oder die Vertragspartner müssen klagen können, wenn Verträge nicht eingehalten werden. Andernfalls haben Verträge keine Wirkung.» Die grüne Nationalrätin Maya Graf sieht das ähnlich: «Ich erwarte mindestens stichprobeweise Kontrollen und natürlich sollte immer dann kontrolliert werden, wenn der Verdacht auf fiktive Mengen besteht.» Das Parlament hat zwar die Milchkaufverträge beschlossen, aber eine Verordnung dazu gab es nie. Ein Fehler, wie sich nun herausstellt. «Die Bundesbehörden waren zu lange untätig», sagt Bourgeois.
Auch die Branchenorganisation kontrolliert nicht
Inzwischen ist es zu spät. Seit 2014 sind die Milchkaufverträge nicht mehr im Gesetz verankert. Dafür kommt nun die Branchenorganisation Milch (BO-Milch) zum Zug. Die Bauern müssen die allgemeinverbindlichen Standardverträge der BO-Milch einhalten. Aber dort werden die Milchkaufverträge genauso wenig kontrolliert wie früher beim Bund. Das bestätigt Stefan Kohler, Geschäftsführer der BO-Milch: «Bei rund 24’000 Milchproduzenten in der Schweiz können wir nicht überprüfen, ob die Verträge korrekt sind. Auch nicht ob die gelieferten Milchmengen mit den tatsächlichen Vertragsmengen übereinstimmen.» Für die BO-Milch sei nur wichtig, dass der Mustervertrag eingehalten werde.
Dieser Mustervertrag sieht eine Segmentierung in A-, B-, und C-Milch vor. Der Unterschied liegt im Preis: Am teuersten ist die A-Milch für den geschützten Inlandmarkt. Etwas günstiger ist die B-Milch für Milchprodukte ohne Grenzschutz oder Rohstoffpreisausgleich, die für den lnlandmarkt und den Export in die EU vorgesehen sind. In das niedrigpreisige C-Segment fallen ausschliesslich Molkereierzeugnisse für den Export ausserhalb der EU.
Weil jedoch die Vertragsmenge insgesamt häufig nicht eingehalten wird, kann auch die Aufsplittung in A-, B-, und C-Milch völlig willkürlich sein. Die Verträge bieten viel Spielraum, um Diskrepanzen in den Segmenten auszugleichen. Etwa wenn wieder einmal viel billige C-Milch auf dem Markt ist. Ein Beispiel: Zwei Thurgauer Milchproduzenten liefern zusammen 7,5 Millionen Kilogramm weniger Milch als in ihren Verträgen steht. Mit dieser Milchmenge lässt sich die Überproduktion von anderen Milchbauern kaschieren.
Es ist paradox: Der Bund gibt für das Erfassen und Auswerten von Milchdaten 2,7 Millionen Franken im Jahr aus. 4,5 Arbeitskräfte beschäftigen sich mit nichts anderem als mit der Erhebung und Bearbeitung von Milchkaufvertrags- und Milchproduktionsdaten. Aber wie viel ABC-Milch die Milchhändler bei den Bauern bestellen und abrechnen, kontrolliert niemand. Dabei liegt genau dort das Problem. Denn wo sonst, wenn nicht bei den Bauern, kann Überproduktion entstehen?


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Eveline Dudda ist Agrarjournalistin und Chefredaktorin von «Freude am Garten», www.dudda.ch

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4 Meinungen

  • am 27.04.2014 um 14:14 Uhr
    Permalink

    Und warum klagen denn Emmi AG und Hochdorf AG sie bekämen zu wenig Milch?

  • am 29.04.2014 um 09:55 Uhr
    Permalink

    Das wirkliche Problem der Milchproduktion liegt weder bei der blossen Menge noch beim Preis, den die Bauern erhalten. Die Frage ist, wie viele Kühe sind für das vorhandene Land tragbar? Und wie sieht eine artgerechte Fütterung für Milchvieh aus?
    Seine Verdauung ist nicht für das sogenannte ‹Kraftfutter› eingerichtet, es wird nur zur Erhöhung der Milchmenge und des Eiweissgehaltes zugefüttert, führt zu Gärungen und Blähungen und Ausstoss von Treibhausgasen. Viel davon wird zudem importiert, teilweise gar aus illegal gerodeten Gebieten Südamerikas oder Flächen, die Nahrungsmittel für die dortige Bevölkerung produzieren sollten.
    Unser Milchvieh soll aus eigenen Ressorcen ernährt werden, und es soll wieder eine ausgewogene Fruchtfolge zwischen Acker- und Grünland eingehalten werden. Dann wird der Milchviehbestand wohl um einiges sinken. Und damit auch die für den Bund teuren Überschüsse an Milch, Butter und Käse.

  • Eveline_Dudda
    am 29.04.2014 um 14:55 Uhr
    Permalink

    Global gesehen bringt es wenig, die Milchproduktion in der Schweiz herunterzufahren und dafür ins Ausland zu verlagern, wo der Soja- und Kraftfuttereinsatz in der Milchproduktion ein x-faches höher ist als hierzulande.
    Es gibt übrigens eine interessante Studie von Greenpeace, die nie an die grosse Glocke gehängt wurde. Sie kommt nämlich zum Schluss, dass bei einer konsequent ökologischen Nutztierhaltung in der Schweiz der Milchkuhbestand ruhig noch zunehmen dürfte, dass man aber auf die Produktion von Poulets und Eier in der Schweiz gänzlich verzichten sollte. Geflügel frisst nunmal nur Getreide und es hat in der Schweiz schlicht zu wenig ackerfähiges Land dafür. Wir sind nun Mal dafür prädestiniert Kuhschweizer zu sein.
    Die Studie findet man hier: http://www.greenpeace.org/switzerland/de/Publikationen/Landwirtschaft/Wieviel–Fleisch-Milch-und-Co-ist-umweltvertraeglich/

  • am 29.04.2014 um 22:33 Uhr
    Permalink

    Wir brauchen nicht unbedingt Milch aus dem Ausland, wir könnten auch mit weniger auskommen – das wäre gemäss vielen Ernährungsfachleuten auch gesünder. Milch ist ja eigentlich die Nahrung der Jungtiere. Und Hühner fressen Insekten noch lieber als Körner, somit müssten wir nicht völlig auf Eier verzichten. Auch unser Fleischkonsum liesse sich wieder etwas zurückfahren, ohne dass wir Mangel leiden müssten. Klar sind die Hügel und Berge eher für Viehzucht geeignet, anderseits könnten im Mittelland mehr Lebensmittel statt Silomais angebaut werden. Es kommt halt darauf an, was einem wichtig ist. Konsumentinnen und Konsumenten hätten schon Macht, wenn sie bewusst einkaufen.
    Sehens- und hörenswert ist Meisterlandwirt und Kuhfreund Martin Ott: http://www.youtube.com/watch?v=cmTKtQTx_Go

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