Pfeilschwanzkrebs

Das blaue Blut der Pfeilschwanzkrebse wird im Labor entnommen © cc

Urzeitliche Krebse in der modernen Medizin

Billo Heinzpeter Studer /  Aus dem blauen Blut von Pfeilschwanzkrebsen lässt sich eine Testsubstanz gewinnen, die Bakterien aufspüren kann.

Der Pfeilschwanzkrebs (Limulus polyphemus) ist etwa eine halbe Milliarde Jahre alt und an den flachen Sandküsten tropischer Meere anzutreffen. Seit einigen hundert Jahren nutzt der Mensch diese Tiere: zuerst als Dünger für die Felder, später als Schweinefutter und als Köder für die Jagd nach Wellhornschnecken.
Besonders interessant ist der Pfeilschwanzkrebs jedoch für die pharmazeutische Industrie. Seit etwa dreissigen Jahren wird aus dem Blut der Krebse eine Testsubstanz gewonnen, die dazu dient, Bakterien aufzuspüren. Denn der Limulus verfügt über einen einmaligen chemischen Trick. Sein Blut enthält in den Abwehrzellen (Amöbozyten) ein Lysat, das wie ein primitives Immunsystem funktioniert. Sobald im Blut kleinste Konzentrationen von Endotoxinen (Zerfallsprodukten von Bakterien) vorhanden sind, gerinnt das Blut lokal und schliesst die Keime ein, so dass sie im Organismus keinen weiteren Schaden anrichten können.
Blut spenden für den Limulus-Test
Die Pharmaindustrie nutzt die Eigenschaft des Limulus-Blutes als Detektor für schädliche Keime in Impfstoffen, Infusionen oder an medizinischen Geräten. Immer wenn die aus dem Blut gewonnene Flüssigkeit gerinnt, liegt eine bakterielle Verunreinigung vor. Der hierfür entwickelte Limulus-Amöbozyten-Lysat-Test (LAL-Test) ist heute zum Beispiel die Voraussetzung für die Freigabe neuer Medikamente, eines Herzschrittmachers oder eines Implantats durch die US-Gesundheitsbehörde FDA.
Die Tiere müssen für die Blutentnahme nicht getötet werden. Sie kommen nach dem Fang in grossen Behältern in eine der weltweit fünf pharmazeutischen Fabriken, die auf die Gewinnung des Lysats spezialisiert sind. Jedes Jahr wird dort einer halben Million Krebse das Blut abgezapft, ähnlich wie bei einer Blutspendenaktion von Menschen. Mit zwei Unterschieden: Das Blut der Krebse ist blau, weil der Sauerstoff im Blut durch Kupfer und nicht wie bei uns durch Eisen transportiert wird. Und die Spende ist für Krebse nicht freiwillig.
Blutentnahme schwächt die Krebse
Nach der Blutentnahme werden die Tiere wieder freigelassen, und zwar an Stellen wo man keine Krebse zur Blutentnahme fängt. Damit soll sichergestellt werden, dass die Tiere nicht übermässig geschwächt werden. Die Prozedur geht dennoch nicht spurlos an ihnen vorbei. So stellte man in der Fangregion Pleasant Bay in Massachusetts fest, dass immer weniger Krebsweibchen zum Laichen ins Watt kommen. Forscher vermuten, dass Tiere, denen Blut entnommen wurde, lethargischer werden und die Kraft nicht mehr aufbringen, um innert weniger Wochen mehrmals zum Strand zu schwimmen und dort zu laichen. Das heisst: Selbst wenn kaum ein Tier wegen der Prozedur stirbt, könnte die Blutentnahme doch zum langsamen Wegsterben des Krebsbestands führen. Darum sucht die Industrie nun nach synthetischen Ersatzstoffen.
Am Ende wird der Pfeilschwanzkrebs wieder zur Beute von Fischern, die ihn als Köder benutzen. Dabei stirbt er zwar, vielleicht aber nicht gleich seine Art…

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Präsident fair-fsh international, Co-Präsident fair-fish Schweiz, Beirat von Friend of the Sea.

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