Was ist los beim Internationalen Währungsfonds?
Im Monatstakt überrascht uns der Internationale Währungsfonds (IWF). Ende Januar ermahnte seine Chefin Christine Lagarde Europas Politiker wegen ihrer Krisenpolitik. Es drohe Deflation und damit eine lange Phase der Stagnation mit gravierenden sozialen Nebenwirkungen. EU-Politiker reagierten entsetzt. Es gehe wieder aufwärts, hielten sie entgegen.
Das Reizwort «Deflation» verwendet der IWF inzwischen nicht mehr. «Low-flation» ist seine neue Wortschöpfung. Doch das macht die Lage nicht besser. Die Warnung aus der Washingtoner Zentrale lautet auch jetzt: Für die Eurokrisenländer werde es schwierig, aus der Rezession herauszukommen, die Schulden zu reduzieren und die Arbeitslosigkeit abzubauen – sofern sie nicht entschlossen gegensteuern.
Für Umverteilung
Anfang März legte sich der IWF gleich mit den Mächtigen und Reichen der Welt an. Seine Forscher wandten sich gegen die wachsende Ungleichheit in der Welt. Massnahmen zur Umverteilung – über Transfers und Steuern – seien gut statt schlecht. Sie würden das Wirtschaftswachstum nicht bremsen, wie oft behauptet wird. Im Gegenteil: Länder, welche die Ungleichheit reduzierten, erzielten ein höheres und länger anhaltendes Wirtschaftswachstum. Das haben IWF-Forscher in langen Zeitreihen und internationalen Vergleichen herausgefunden und geben jetzt jenen Ökonomen Recht, die bisher erfolglos gegen den Mainstream angeschrieben hatten.
«Too big to fail» in Milliarden-Subventionen umgerechnet
Anfang April waren die «Master of the Universe» an der Reihe. Der IWF rechnete vor, dass die Grossbanker letztlich Subventionsempfänger im Umfang von mehreren hundert Milliarden Dollar seien. Denn als systemisch relevante «too big to fail»-Banken könnten sie nicht nur nicht bankrott gehen. Sie können sich zinsgünstiger als ihre Konkurrenz verschulden. Dank staatlicher Rückendeckung könnten sie riskantere Geschäfte tätigen, die – wenn nichts schief geht – höhere Gewinne einbringen.
Für die US-Grossbanken beziffert der IWF die Subventionen auf bis zu 70 Milliarden Dollar. Allein für die «Top Fünf» J.P. Morgan, Bank of America, Citigroup, Wells Fargo und Goldman Sachs kann sich der staatliche Rückhalt auf bis zu 64 Milliarden belaufen – eine Summe, die in etwa dem Jahresgewinn dieser Banken entspricht. Oder wie die Wirtschaftsagentur Bloomberg maliziös vorrechnete: Ohne staatliche Stütze schafften sie es gerade noch schwarze Zahlen auszuweisen. Ihre Profite entsprächen letztlich Zahlungen, welche die Steuerzahler an die Bankaktionäre überwiesen.
50 Milliarden-Vorteil für UBS und CS
Noch besser gebettet sind die europäischen Banken. Für sie schauen bis 300 Milliarden raus. Auch die CS und UBS müssen nicht darben. Die staatliche Rückenkdeckung verschafft ihnen laut IWF einen staatlichen Bonus von bis gegen 50 Milliarden Franken.
Den US- und Schweizer Banken hält der IWF immerhin zu gute, dass sie ihre Lage zuletzt verbessert hätten. Anders sieht es in der EU aus. Ihre systemrelevanten Banken hängen unverändert am staatlichen Tropf. Und noch schlimmer: Obwohl sie ihre Bilanzsummen zwar massiv gekürzt haben, hat sich das Volumen notleidender Kredite dennoch verdoppelt auf neuerdings rund 800 Milliarden Euro. Auch das hat der IWF soeben publik gemacht im «Fiscal Monitor Report».
Der IWF «ist kein Hort liberaler Ökonomen» mehr, beklagt der NZZ-Wirtschaftskorrespondent in den USA (14.04.2014). Gewiss: Der bis zum Ausbruch der Finanzkrise als doktrinärer Finanzpolizist arg gebeutelte IWF hat seither manche Positionen revidiert. Auch Kapitalverkehrskontrollen beurteilt er im Gegensatz zu früher pragmatisch und nicht mehr ideologisch als Vergehen gegen die «reine Lehre».
Alles nur schöne Worte?
Doch hält die Praxis, was die Theorie verspricht? Zweifel sind angebracht. Die Nicht-Regierungsorganisation EURODAD (European Network on Debt and Development) hat soeben eine Studie publiziert, in der sie die seit Oktober 2011 vergebenen 23 Kredite analysiert.
Die IWF-Politik entwickle sich rückwärts, stellt EURODAD fest. Der Fonds knüpfe wieder deutlich mehr Bedingungen an die Kreditvergabe, als er vor ein paar Jahren versprochen habe. Und vor allem greife er in zentrale Politikbereiche der Kreditempfänger ein wie die Steuer-, die Sozial- oder die Lohnpolitik. Die Folgen sind verheerend. Zu beobachten in Griechenland oder Zypern. Die beiden Volkswirtschaften sind tief gefallen, die Arbeitslosenraten schnellten hoch, und wie meist, am stärksten trifft es die ärmeren Schichten.
Auch beim neusten Kreditabkommen mit der Ukraine stellt sich die «alte» Frage. Wird der beschlossene Kredit die jetzt schon prekäre Lage der breiten Bevölkerung sogar noch verschlimmern? In den Verhandlungen war auffallend viel von massiv höheren Energietarifen und flexiblem Wechselkurs die Rede. Massnahmen, welche die soziale Not noch grösser machen. Ausser vagen Versprechen, solchen Folgen Rechnung zu tragen, war bisher wenig zu hören.
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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Markus Mugglin war Leiter der Sendung «Echo der Zeit» von SRF. Er ist Vorstandsmitglied der Schweizerischen Gesellschaft für Aussenpolitik, SGA.