Nicht lustig!
Fünf Thesen kursieren landläufig über die Schweizer Humorindustrie, die nicht erst seit gestern der Kritik ausgesetzt ist, massentaugliche Harmlosigkeit zu produzieren:
- Schweizer Humor war noch nie besonders lustig, geschweige denn bissig, weil die Schweizer Konsensgesellschaft in Humorfreiheit lebt.
- Ein mafiöses Humorkartell – Deckname Dick und Doof mit Segelohren – fördert das TV-taugliche Mittelmass.
- Den Humorverantwortlichen fehlt der Mut.
- Den Humorarbeitern fehlt das Geld.
- Die grössten Komiker sind heute in der Politik.
Seit sich der Berner SP-Stadtpräsident Alexander Tschäppät im vergangenen Dezember auf die Bühne des Comedy-Zelts wagte und abgestandene Italiener-Witze zum Besten gab («Wissen Sie, warum Italiener so klein sind? Weil ihnen ihre Mütter sagen: ‹Wenn du mal gross bist, musst du arbeiten gehen›»), ist der Schweizer Humor ins Gerede gekommen. Als das Schweizer Fernsehen SRF Ende 2013 im satirischen Jahresrückblick «Endspott» dann auch noch eine schwarz bemalte Birgit Steinegger über den Schirm flimmern liess und Komiker Massimo Rocchi unter Antisemitismus-Verdacht geriet («Bei jüdischem Humor gibt es immer Zinsen, die jemand verdienen will»), war eine aufgeregte mediale Debatte nicht mehr aufzuhalten: Wie lustig oder eben nicht lustig, wie rassistisch ist die Schweizer Humorindustrie?
Lustigkeiten am Laufmeter
Die Suche nach Antworten auf diese Frage geht davon aus, dass er im privaten Kreis und in der alkoholisierten Halböffentlichkeit an Stammtischen und Bartresen genauso geschmacklos ist, wie er eben sein darf: mal bösartig, mal verletzend, mal schadenfreudig und ironisch, gerne fremden- und noch lieber frauenfeindlich, häufig mit Blondinen als Zielscheiben, dafür kaum noch mit Manta-Fahrern. Worüber die Bewohner dieses Landes witzeln, spotten und lachen, wenn sie sich gesellig treffen, um sich derb bis justiziabel von der Traurigkeit der Realität abzulenken, soll hier nicht das Thema sein.
Das Thema ist die Comedy-Industrie, die keinen Tag vorüberziehen lässt, ohne Lustigkeiten zu produzieren, die Sendeminuten, Zuschauerränge und die Kehlen der Massen mit Gluckslauten füllt, höchst erfolgreich zwar, aber eben nicht immer lustig, wobei auch hier unterschieden werden muss.
Humor ist Geschmackssache. Die Brachialwitzigkeit eines Marco Rima («Ich habe kein Problem damit, wenn ein Neger Offizier der Schweizer Armee ist – aber er soll sich dann nicht beschweren, wenn ich ihn während der Nachtübung nicht sehe»), der ungekonnt am eigenen Anspruch scheitert, zum Nachdenken anregen zu wollen, kann getrost als Betriebsunfall vergessen werden. Die Schenkelklopfer eines Peach Weber («Meine Problemzone ist der Kopf. Mein Kopf sieht aus wie eine Frisur darauf notgelandet wäre») muss niemand lustig finden. Aber hier geht es jetzt um Satire, und mit Satire ist nicht zu spassen.
Satire, die glaubwürdigsten News
Der Wert von Satire als Spiegel für die gesellschaftliche Selbsterkenntnis kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Gerade auch, weil viele Medien in ihrem Bestreben, dem Publikum aus ökonomischem Anpassungsdruck immer häufiger nach dem Mund zu schreiben und senden, dieser Spiegel immer weniger sind. Es ist ja auch kein Zufall, dass Satireformate auf der Höhe der Zeit daher kommen wie Nachrichtensendungen. «Heute Show» und «The Daily Show» sind die «Tagesschau» der postdemokratischen Gegenwart, in der die Realität jeden noch so bösen Witz oft an Absurdität bei weitem übertrifft. Kein Wunder, gilt laut einer Umfrage des US-Magazins «Time» Komiker Jon Stewart, der für seine satirische Newssendung bei «Comedy Central» mit dem Slogan «the most trusted name in fake news» wirbt, bei amerikanischen TV-Zuschauern längst als glaubwürdigster Nachrichtensprecher.
Satire ist also eine todernste Sache. Aber da fängt es ja schon an mit der Begriffsverwirrung in der Schweizer Humorszene: Da wird gar nicht unterschieden zwischen Satire, Comedy und Kleinkunst, da ist als humoristischer Eintopf alles ein bisschen alles. Hauptsache, es wird gelacht. Was beim SRF-Humorflaggschiff «Giacobbo/Müller» dem Publikum als Satire verkauft wird, kommt meist über den Kalauer nicht hinaus.
Der Konsens ist nicht das Problem
Was Satire tatsächlich leisten kann, zeigt zum Beispiel die deutsche ARD mit ihrem Format «Neues aus der Anstalt». Kürzlich gaben dort vier Satiriker deutsche Einwanderungsbeamte, die Barmherzigkeit mit technokratischer Gründlichkeit exekutierten und im Akkord der Realität entnommene Asylgesuche mit realen Ablehnungsgründen abschmetterten: «So, was haben wir denn da? Fall Munirau. Sie will ihre Tante nach Deutschland holen, die eine schwerbehinderte Tochter hat und von Heckenschützen bedroht wird. Okay, schutzbedürftig, passt. Aber Moment: Die ist ja noch in Syrien! Um nach Deutschland einreisen zu dürfen hätte sie bis zum 31. März 2013 in den Libanon flüchten müssen. Abgelehnt! Und das nächste Mal einfach etwas früher fliehen.» Das ist so nah an der Realität, dass jedes Lachen im Hals stecken bleibt.
Die ernsthafte Frage lautet: Warum bringen diese Schärfe die Humorarbeiter hierzulande kaum je hin?
Der verbreiteten These, dass die Schweizer Konsensgesellschaft bissige Satire unmöglich macht, hat Slam-Poet und Theaterautor Gabriel Vetter kürzlich in einer Humordebatte bei der «TagesWoche» mit dem Hinweis auf die Satirequalitäten der Schweden gekontert. «Was den diskursiven Konsens und die politische Korrektheit angeht, ist Schweden noch um einiges radikaler als die Schweiz», sagt Vetter. «Umso erstaunlicher ist, dass der Humor in Schweden generell schärfer, hinterhältiger und komplexer ist als der Schweizer Humor.» Als Beispiel dafür erwähnt der Slam-Poet die schwedische Sketch-Show «Hipp-Hipp», die immer wieder die in Schweden sehr beliebten Sozialreportagen persifliert, in denen aufgezeigt wird, wie gesellschaftliche Aussenseiter ihr Leben meistern. In einem der Sketchs ist einer der Aussenseiter ein junger Nazi. «Heute wird viel über sogenannte Nazis geredet. Aber wie lebt es sich wirklich als Nazi im Schweden von heute? Wir haben einen Nazi besucht», sagt der Moderator im typischen TV-Slang. Dann beginnt die Reportage. Der Clou: Der Nazi ist blind. Und er schildert seine Alltagsprobleme: Dass er als blinder Rassist nicht sehen kann, ob er einen Ausländer vor sich hat oder nicht. Die satirische Reportage zeigt ihn zum Beispiel, wie er einen Hot-Dog-Verkäufer rassistisch beschimpft, im Glauben, einen Kebab-Verkäufer vor sich zu haben.
Aus Ernst wird scharf
Warum ist das gute Satire? Weil der in Schweden allgegenwärtige mediale Sozialdrama-Porno ebenso bitterböse aufs Korn genommen wird wie die Dummheit von Rassisten aufgespiesst. «Sogar die Blindheit funktioniert hier jenseits jeglicher platten Behinderten-Diskriminierung. Gleichzeitig nimmt der Sketch den jungen Nazi an sich absolut ernst, statt sich über ihn einfach nur lächerlich zu machen – was den Humor noch schärfer, noch pointierter, noch besser macht», sagt Vetter. Womit wir wieder beim entscheidenden Punkt angelangt sind: Professioneller Humor ist eine ernsthafte Angelegenheit. Und teuer. Natürlich müssen bei der Bewertung des Schweizer Humors auch die Mittel und damit das Personal berücksichtigt werden, die zur Verfügung stehen. So muss zum Beispiel die Sendung «Giacobbo/Müller» mit vier fest verpflichteten Gagschreibern auskommen, während bei der «Heute Show» im ZDF drei Dutzend angestellt sind. Und die paar wenigen freien Gagschreiber hierzulande erhalten pro verwendete Pointe gerade mal 70 Franken. Vielleicht wäre es ja tatsächlich lustiger in diesem Land, die gebührenfinanzierten Sender würden im Dienst des Schweizer Humors satirischen Talenten ein Auskommen garantieren statt ihre Mittel in immer neue, eingekaufte Spielshowformate zu stecken. Dies nur als kleiner Ernst am Rande.
Allzu wahr ist heikel
Und natürlich fehlt es den Humorverantwortlichen oft auch einfach an Mut, wie ein weiteres Beispiel von Gabriel Vetter zeigt. Seit 2012 produziert Vetter jeden zweiten Samstag auf Radio SRF1 die Satiresendung «Vetters Töne», für die er Originalaussagen von Politikern, Wirtschaftsführern und anderen Prominenten neu zusammenschneidet. Im Oktober 2012, nachdem im Mittelmeer vor Lampedusa ein Boot mit 500 Flüchtlingen gekentert war, spielt er Aussagen von UBS-Chef Marcel Ospel ein, dessen Grossbank genau fünf Jahre zuvor mit Steuergeldern hat gerettet werden müssen: «Es ist nicht meine Art, im Sturm die Segel zu streichen. Wenn ich trotzdem heute von Bord gehe, dann aus der Überzeugung, dass wir das Schlimmste überstanden haben, dass sich das Sturmtief langsam verzieht und wir bald wieder in ruhigeren Gewässern kreuzen werden», so der gescheiterte Wirtschaftskapitän bei seinem Abgang an der Generalversammlung. «Wenn die Flüchtlingsboote nicht nur mit Menschen gefüllt wären, sondern zum Beispiel mit UBS-Aktien, dann wäre das Boot ‹too big to sink› und würde gerettet», spottete Vetter in seiner Sendung. «Oder wenn ein somalischer Flüchtling sich statt Schwimmflügeli zwei Goldbarren an die Oberarme binden würde, wären seine Überlebenschancen relativ gesehen grösser». Radio SRF1 war das zuviel, wie Gabriel Vetter erstmals publik macht: «Es hiess, ich würde mich auf Kosten von Toten lustig machen.» Die übliche Wiederholung der Sendung wurde deshalb gestrichen.
Zensur oder eine Frage der Qualität?
Aber erklären die Schweizer Humorproduktionsbedingungen, die von wenig Geld und mutlosen Vorgesetzten geprägt sind, lächerlich platte Sketchs wie jener mit Birgit Steinegger, die im SRF-Jahres-«Endspott» mit schwarzer Schuhwichse im Gesicht Frau Mgubi gibt? Der Sketch, der eine Satire auf die «Rassismushysterie» (SRF-Unterhaltungschef Christoph Gebel) sein sollte, die nach dem missglückten Handtaschenkauf der US-Milliardärin Oprah Winfrey im Sommer 2013 in einer Zürcher Luxusboutique angeblich grassierte, bediente sich nicht nur der längst als rassistisch enttarnten Kulturtechnik des «Blackfacing» (weisse Künstler malen sich schwarz an), sondern bemühte im Versuch, alles so ausgeglichen wie möglich der Lächerlichkeit preis zu geben auch das mehrheitstaugliche Bild der armen Schweiz, die am Gängelband von internationalen Organisationen wie der UNO zappelt. Selbst bei SRF hielten die Verantwortlichen diesen Sketch inzwischen für völlig missglückt, konterten aber Kritik mit den Worten: «Wir werden die Satirefreiheit verteidigen».
Eine symptomatische Reaktion, nicht nur in diesem Fall: Während der ganzen Humordebatte der letzten Monate konterten die führenden Humoristen des Landes die aufkommende Kritik mit Protestgeschrei gegen gefährliche Zensurbehörden und Gejammere gegen den erstens angeblich humorlosen und zweitens angeblich linken Mainstream. Sie imprägnieren sich damit erfolgreich gegen jede Qualitätsdebatte. Zu recht verteidigte «Magazin»-Kolumnist Daniel Binswanger die Strafanzeigen gegen das «Steinegger»-Blackfacing und den Rocchi-Antisemitismus mit dem bedauernden Satz: «Bevor nicht geklagt wird, geschieht – rein gar nichts.» So steckte hinter der angedrohten Rassismusklage von Theaterregisseur Samuel Schwarz und Musiker Raphael Urweider gegen SRF denn auch die Intention, eine Diskussion anzustossen. «Es stört mich ganz grundsätzlich, dass die Schweizer Humorszene oft Witze auf Kosten von Albanern, Dicken oder anderen Minderheiten und Ausgegrenzten macht, gleichzeitig aber mit eingeladenen Polit-Grössen harmlos herumblödelt. Satire sollte sich gegen Mächtige und nicht gegen Schwache richten», sagte Urweider damals.
Das zielte direkt auf Mike Müller und Viktor Giacobbo, die im Ruch stehen, das einheimische Humorschaffen zu monopolisieren und als Teil der Humorelite nicht mehr gewillt zu sein, sich mit bösartiger Satire Feinde zu schaffen.
Die Neger der Kindsköpfe
Auf derartige Kritik reagiert Giacobbo eher humorlos. «Moralanwälte» seien die Kritiker, konterte er die Humorkritik in einem «Tages-Anzeiger»-Interview. «Die Linken reagieren in der Regel beleidigter als die Rechten.» Und Giacobbo verteidigte den Gebrauch des Worts Neger: «Jeder in meinem Beruf ist Trotz- beziehungsweise Kindskopf, dass er am liebsten Ausdrücke verwendet, die verboten sind.»
«Die Schweden», sagt Slam-Poet Gabriel Vetter, «haben wie alle Skandinavier einen Hang zum angelsächsischen Humor, der im Gegensatz zur deutschsprachigen Komik grossen Wert auf die literarische Tradition legt. Sprache ist dort Kritik, ist Politik.» Nimmt man Giacobbo beim Wort, wird der tatsächliche Grund für die flaue Satire hierzulande schonungslos offen gelegt: Die Schweizer Komiker nehmen den Humor zu wenig ernst.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Der Artikel erschien zuerst im Strassenmagazin «Surprise».
Es ist interessant, was ich hier lesen kann, ich bin nämlich nicht mehr der jüngste, habe aber im deutschen Fernsehen noch nie etwas im Ernst Lustiges wahrgenommen, so was kann nur behaupten, wer mit den dortigen Trotteln gleichgesinnt ist. Ausser Wilhelm Busch war vor allem Jean Paul der Meister des deutschen Humors, den lese ich seit Jahrzehnten, Gottfried Kellers Humor kommt auch von dort, sogar der derbere von Gotthelf. Giacobbo scheint mir nicht so schlecht, aber alles läuft sich mal aus, wohl immer noch geniessbarer als der deutsche TV-Humor, so in der Art von Wutbürger Hassknecht, und auch Thiel ist wie jeder andere auf Konsens und eben auch Gleichgesinnte angewiesen, darum ist Humor heute sowieso nicht mehr lustig, bei Jean Paul ging es nie um Gleichgesinnte. Völlig humorlos übrigens auch Nietzsche und Kant, weswegen diese beiden im Gegensatz zu Sokrates wohl nicht als Philosophen gelten können.
Man könnte jetzt mit dem «Uns Schweizern kann man vieles vorwerfen; aber an Humor leiden wir nicht"-Sprüchlein ein paar Aldi-Lacher einheimsen. Damit wären wir intellektuell sogar schon um Lichtjahre dem unsäglichen SRF-Tophotshot-Duo voraus. Aber wir wären eben immer noch genau so unwitzig. Satirisch sowieso noch lange nicht.
Mit stoischer Ruhe ertragen wir Giacobbo & Müller. Als Zielgruppen-Fremder habe ich mir im Selbstversuch (um meine latent masochistische Ader zu befriedigen) ein paar Sendungen von G & M angetan. Als Download in voller Länge. SRF, wie das Unding heute ja heisst, verabreicht uns ungefragt dieses peinsam unkomische Komödien-Missverständnis seit Jahren. Während Victor Giacobbo seinen Zenit unbemerkt vor Jahren schon erreichte, sucht ihn sein Partner noch. Jeden Sonntagabend werden wir Schweizer von ihnen in die Arbeitswoche geschickt. Ohne Aussicht auf Besserung. Ihre Satiresendung verkommt zur Realsatire. Kann man sich fragen, ob sie mitschuldig sind an der hohen Selbstmordrate in der Schweiz. Dass für viele Zuschauer das Frölein Da Capo der Höhepunkt der Sendung war, halte ich für ein Gerücht. Aber eines, das zum Nachdenken zwingt. Immerhin. Ich schätze, dass ungefähr 72% der Gebührenzahler, und diese Mengenangabe ist mit dem Auge fürs Realistische gewählt, durchaus ohne diesen TV-Müll auskommen würde. Der Monopolist (nein nicht SRF sondern Giacobbo) bestimmt, wer in der Schweiz lustig sein darf. Und hier hört dann der Spass eindeutig auf.
Der analytische Bierernst der Humorkritk von Christof Moser wär kaum geniessbar, wenn sie nicht vor unfreiwilligem Humor geradezu so strotzte.
Und ja , Herr Moser, es ist nicht «Rassismushysterie", es ist Rassismushysterie, die momentan die zumeist wenig erfolgreichen politisch korrekten Kulturschaffenden antreibt; es ist diese Rassismushysterie, die unfreiwillig den Rassismus verharmlost.
Schon wieder so einer, der mit heiligem Ernst erläutert, warum das, was er nicht lustig findet, nicht lustig sein kann. Langweilig.