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Am grossen Schachbrett – mit ungleichen Waffen © Patrick Chappatte in «The International New York Times»

Warum Putin den Westen nicht mehr fürchtet

Robert Ruoff /  Was Chappatte in der Zeichnung zeigt, sagt Ben Judah im sarkastischen Text.

Ben Judah, Autor einer Studie über Putins Politik der Machtsicherung in den letzten Jahren, äussert sich in «Politico» sarkastisch über die Schwäche des Westens gegenüber Putins Annexion der Krim in den letzten Tagen.

Der Westen kann es nicht glauben, schreibt Ben Judah: Putin hat einfach so eine Invasion in die Ukraine gemacht. Die deutschen Diplomaten, französischen Eurokraten und grossen amerikanischen Publizisten sind alle vor den Kopf geschlagen… Sie haben nicht kapiert, dass Russland denkt, dass der Westen keine Kreuzzugsgesellschaft mehr ist, wie im Kalten Krieg, sondern dass sich alles nur ums Geld dreht.

Putins Gefolgsleute wissen das persönlich. Die russische Führungsschicht kauft Europa seit Jahren. Sie haben Landhäuser und Luxusapartments von Londons West End bis zu Frankreichs Côte d’Azur. Ihre Kinder sind sicher untergebracht in britischen Privathäusern und Schweizer Privatschulen. Und ihr Geld ist in österreichischen Banken und britischen Steueroasen gut untergebracht…

…Wir sprechen nicht von grossem Geld, sagt er. Wir sprechen von sehr grossem Geld, das in britischen Banken gebunkert ist… Und hinter der europäischen Korruption sehen die Russen Europas Schwäche – mit Ausnahme von Deutschland –, und sie sehen wie Europas Krisenstaaten von Portugal über Spanien, Italien bis Griechenland darum buhlen, die besten europäischen Handelspartner Russlands zu werden. Und wie sie im Austausch dafür darauf verzichten, die Verletzung der Menschenrechte auch nur zu erwähnen [während Proteste in Russland unterdrückt und ernstzunehmende Oppositionelle wie Alexei Anatoljewitsch Nawalny oder die Frauen von Pussy Riot gleichzeitig einen grösseren Teil ihres Lebens unter Hausarrest oder im Straflager verbringen. R.].

…Und die russische Führungsschicht sieht Beweise für ihre neue Überzeugung in Tony Blair, der jetzt die Diktatur in Kasachstan berät, wie sie ihr Image im Westen verbessern könnte. Und in Nicolas Sarkozy, der darüber nachgedacht hat, einen Hedge Fonds auf die Beine zu stellen mit Geld aus dem absolutistischen Qatar. Und Gerhard Schröder, Angela Merkels Vorgänger als deutscher Bundeskanzler, ist der Vorsitzende der North Stream AG, die mit einer Pipeline Russland durch die Ostsee direkt mit Deutschland verbindet, und die mehrheitlich im Besitz der russischen Staats-AG Gazprom ist. [Die North Stream AG wurde im Dezember 2005 in Zug in das Schweizer Handelsregister eingetragen. Neben Gazprom sind die deutschen Wintershall (BASF) und E.on sowie die niederländische Gasunie beteiligt.R.]

Russland wurde im Dezember 2011 von Massenprotesten durchgeschüttelt. Mehr als 100’000 kamen in Sichtweite des Kreml zusammen mit der Forderung, dass Russland eine andere Führung brauche. Die Protestierenden wurden von den Strassen verjagt, aber das Problem der Legitimation der Regierung blieb. Putin hatte sich dem russischen Volk verkauft als der Mann, der den Staat stabilisieren und die Einkommen steigern würde…
….Russland würde die ganze Ukraine geschluckt haben, aber die Show muss weiter gehen. Das russische Fernsehen braucht für Putin jeden Abend neue Ruhmesmeldungen. In der russischen Politik geht es um das gute Verkaufen, nicht um die Substanz. Die Substanz der russischen Politik ist es, Milliarden von Dollars aus dem Land heraus zu ziehen und sie in einer tropischen Steueroase im Westen unterzubringen, und darum braucht die russische Politik die ewige Propaganda und das ewige Drama um Putin, um all das vor der Bevölkerung verborgen zu halten. – Ist jemand empört darüber, dass Putin für 1 Milliarde Dollar eine Luxus-Luftflotte für den Kreml hat bauen lassen? Ist jemand zornig darüber, dass vom 50-Milliarden-Budget für die Olympischen Spiele von Sotschi in Kickbacks verschwunden sind?
Vergesst es! Russland marschiert wieder.

Hier einige Auszüge in Englisch:

«The West is blinking in disbelief – Vladimir Putin just invaded Ukraine. German diplomats, French Eurocrats and American pundits are all stunned. Why has Russia chosen to gamble its trillion-dollar ties with the West?
Western leaders are stunned because they haven’t realized Russia’s owners no longer respect Europeans the way they once did after the Cold War. Russia thinks the West is no longer a crusading alliance. Russia thinks the West is now all about the money.

Putin’s henchmen know this personally. Russia’s rulers have been buying up Europe for years. They have mansions and luxury flats from London’s West End to France’s Cote d’Azure. Their children are safe at British boarding and Swiss finishing schools. And their money is squirrelled away in Austrian banks and British tax havens.»
….

«We are not talking big money. But very big money. None other than Putin’s Central Bank has estimated that two thirds of the $56 billion exiting Russia in 2012 might be traceable to illegal activities. Crimes like kickbacks, drug money or tax fraud. This is the money that posh English bankers are rolling out the red carpet for in London.
Behind European corruption, Russia sees American weakness. The Kremlin does not believe European countries – with the exception of Germany – are truly independent of the United States. They see them as client states that Washington could force now, as it once did in the Cold War, not to do such business with the Kremlin.

When Russia sees Spain, Italy, Greece and Portugal outbidding each other to be Russia’s best business partner inside the EU (in return for no mention of human rights), they see America’s control over Europe slowly dissolving.»

….

«The Kremlin sees its evidence in the former leaders of Britain, France and Germany. Tony Blair now advises the dictatorship in Kazakhstan on how to improve its image in the West. Nicholas Sarkozy was contemplating setting up a hedge fund with money from absolutist Qatar. And Gerhard Schroder is the chairman of the Nord Steam consortium – a majority Gazprom-owned pipeline that connects Russia directly to Germany through the Black Sea. [Richtig müsste es heissen: Baltic Sea. R.]»

Moscow was rocked by mass protests in December 2011. More than 100,000 gathered within sight of the Kremlin demanding Russia be ruled in a different way. The protesters were scared off the streets, but the problem the regime had in justifying itself remained. Putin had sold himself to the Russian people as the man who would stabilize the state and deliver rising incomes after the chaos of the 1990s. But with Russians no longer fearing chaos, but rather stagnation as the economy slowed – it was unclear what this »stability” was for.

Russia would rather have swallowed Ukraine whole, but the show must go on. Russian TV needs glories for Putin every night on the evening news. Russian politics is about spin, not substance. The real substance of Russian politics is the extraction of billions of dollars from the nation and shuttling them into tropical Western tax havens, which is why Russian politics needs perpetual PR and perpetual Putinist drama to keep all this hidden from the Russian people. Outraged Putin has built up a Kremlin fleet of luxury aircraft worth $1 billion? Angry that a third of the $51 billion budget of the Sochi games vanished into kickbacks? Forget about it. Russia is on the march again.

Ben Judah ist heute unter anderem Mitglied der European Stability Initiative ESI, eines publizistischen Think Tanks, der sich vor allem mit Süd-Osteuropa beschäftigt. ESI wird unter anderem unterstützt vom Open Society Institute (George Soros). Zahlreiche Stiftungen in Westeuropa und den USA haben ESI-Projekte unterstützt, ausserdem gab es Projektbeiträge von europäischen Regierungen, insbesondere Deutschland und Skandinavien.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

Zum Infosperber-Dossier:

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5 Meinungen

  • am 4.03.2014 um 20:16 Uhr
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    Es wird immer spannender in diesem Krimi. Fehlt nur noch, dass den Nordkoreanern die Geduld ausgeht, weil ihr Land unter dem Embargo der Usa ebenso leidet wie Kuba und andere Staaten, und diese die beim russischem Umsturz ergatterten SS20 (Nato Bezeichnung Saber) Richtung Usa auf die Reise schicken. Oder wo sind denn all die russischen R36 verblieben, mit ihren orbitalen Sprengköpfen, welche jede Nation erreichen können, wäre naiv zu glauben, dass die tatsächlich abgerüstet wurden. Es werden heute in russischen Randstaaten angeblich noch leere Silos gefunden, wo keiner mehr weiss, wo das jetzt ist was da mal drin war. So wie mitten in einer russischen Grossstadt ein Grosstank mit Sarin per Zufall gefunden wurde, welcher am durchrosten war. Wo nun vorher ein Raubtierkapitalistenkonglomerat a la Rockefeller, Rothschild, Carnegie, Harriman, Morgan, Schiff und Warburg allein für sich begann die Weltmacht in Anspruch zu nehmen, gedeckt durch die Streitkräfte der Usa und Bank of United Kingdom, steht nun plötzlich ein ebensolcher, sehr potenter Konkurrent auf der Matte der Weltpolitik: Putin, hinter ihm Russland, und eine Menge guter Beziehungen zu China, Korea, Kuba, Taiwan, und schon hofieren bei Putin die Verlierer der EU, Griechenland, Portugal, Spanien, u.s.w. Das kann ja heiter werden, 2 reissende Wölfe auf dem Parkett, ist immer noch besser als nur einer. Ich sehe Bush’s neue Weltordnung al la 1 Welt, 1 Firma 1 Bank eine Plutokratie den Bach hinunter gehen.

  • am 5.03.2014 um 10:13 Uhr
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    Danke für den Artikel mit Hintergrund-Infos. Eine andere Sicht als im vorherigen Artikel – gute Ergänzung! Infosperber ist da eine gute und wichtige Informationsquelle.

    Ob 2 reissende Wölfe wirklich besser sind als einer, da habe ich so meine Zweifel. Die Ausgeplünderten müssten sich schon zusammentun. Ob da die bisher gegen die Herrschenden gewonnenen Abstimmungen in der Schweiz helfen werden, muss sich zeigen. Die meisten wurden ja doch nicht umgesetzt: Alpenschutz-Artikel usw. usf.
    Demokratie ist halt relativ, wer Geld und Einfluss hat, kann immer seine Leute in die Parlamente bringen oder selber Einsitz nehmen. Oder dem Volk versprechen, Missstände zu bekämpfen, aber das Gemeinwesen abbauen und selber seine Schäfchen ins Trockene bringen. usw. usf.

  • am 5.03.2014 um 23:09 Uhr
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    "eines publizistischen Think Tanks» ist etwas verharmlosend. Genau solche NGO’s, finanziert u.a. von Soros, hat Putin die letzten Jahre verboten. Inzwischen dürfte klar sein wieso.

  • am 6.03.2014 um 10:29 Uhr
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    Wenn 2 reissende Wölfe auf dem Weltmarkt um die Gunst der Weltbevoelkerung, welche auch wirtschaftliche Kunden sind, buhlen, ist das weniger Schlecht als wenn es nur einer ist, wie es seit dem Mauerfall leider lange war. Der Bildungsstand in Sachen Ethik, Moral, sinnvolle kooperative Werte, Politik, hat sich im Volk auch exponentiell weiter entwickelt. So ist die jetzige Situation, welche natürlich katastrophal ist, immer noch weniger schlecht als die vorherige, wo wir alle mehr oder weniger diesem einen Bankenkonglomerat ausgeliefert waren. Dass fast alle Politiker, mit einigen Wenigen Ausnahmen, Lügen, Manipulieren, und hinten rum ihre Zusatzgeschäfte machen, weiss ja ohnehin schon jeder, über dies brauchen wir hier ja nicht zu disputieren. Wichtig ist es, das grosse Ganze in Betracht zu ziehen, und die so gewonnen An und Einsichten mit anderen zu teilen, um seinen Horizont zu erweitern und sich gegenseitig durch die unterschiedlichen Sichtweisen und Erfahrungen zu bereichern. Wie alle hier, habe auch ich meine Informationen aus zweiter Hand. Oder geht jemand von euch mit Putin regelmässig Mittag essen? Danke, und mit einem leicht ironischen Auge, Gruss Beatus Gubler Projekt Streetwork Basel.

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