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Peking bei klarer Sicht und bei Smog © Peter Barwick/Flickr/cc

176 Tage gut – 58 Tage miserabel

Peter G. Achten /  Giftiger Smog vernebelt Chinas Grossstädte. Die Zentralregierung will Abhilfe schaffen und setzt auf «saubere» Atom-Energie.

Was für ein erholsamer Tag. Der Luftqualitäts-Index der chinesischen Hauptstadt wies am vorletzten Wochenende einen Wert von 42 auf. Das sind nur 17 Punkte über dem empfohlenen Grenzwert der Weltgesundheitsorganisation WHO von 25 Mikrogramm Feinstaub pro Kubikmeter Luft. Die Luftqualität wird deshalb von der Umweltbehörde mit dem seltenen Prädikat «exzellent» versehen. Maskenfreie Spaziergänge in der 20-Millionen-Metropole sind für einmal selbst für Kleinkinder mit zarten Lungen ohne Risiko zu bewältigen.
Wenige Tage zuvor war das noch ganz anders. Sicht zwischen 100 und 200 Meter. Maskierte Menschen eilten durch den Dschungel der Grossstadt. Szenen wie aus einem Science-Fiction-Film. Die städtischen Messstationen zeigten Werte weit über 500. Der Spitzenwert von 671 wurde weltweit medial verbreitet. Auch der Verkauf von Schutzmasken erreichte neue Rekordwerte. Mittlerweile kann man in Peking solche Masken fast an jeder Ecke kaufen. Das teuerste Modell schützt vor den besonders heimtückischen Partikeln, die kleiner sind als 2,5 Mikrometer. Teilchen dieser Grösse können beim Atmen bis tief in die Lunge eindringen.

Aktionsprogramm für den Umweltschutz

Beim Thema Luftverschmutzung ist Peking in den Medien weltweit präsent, noch schwerer betroffen vom Smog ist jedoch Shijiazhuang, die Hauptstadt der benachbarten Provinz Hebei. In keiner anderen chinesischen Stadt herrscht so häufig dicke Luft, dass die Messwerte auf über 500 Punkte steigen. Doch das soll sich ändern. Allein für dieses Jahr haben die Stadtväter umgerechnet rund eine Milliarde Franken zur Bekämpfung der Umweltverschmutzung – Luft, Wasser, Erde – bereitgestellt. Nicht ganz freiwillig wohl. Der Autoverkehr wird eingeschränkt, die Industrielandschaft – in Hebei geprägt von Eisen und Stahl – soll umgekrempelt werden. Der Druck der Zentralregierung nimmt zu. Ein Wachstum ohne Nachhaltigkeit – so das neue Mantra – führe mittel- und langfristig in eine Sackgasse und sei dem Volkswohl abträglich.
Der Staatsrat hat deshalb schon im vergangenen Jahr mit einer Politik zur «Verhütung von Umweltverschmutzung» und einem «Aktions- und Kontrollplan» die Weichen richtungsweisend neu gestellt. Das ganze Programm soll in den nächsten vier Jahren Investitionen in der Höhe von umgerechnet rund 250 Milliarden Franken kosten. Davon sollen für saubere Energie 70 Milliarden, für energiefreundliche Automobile 30 Milliarden und für Strukturanpassungen in der Wirtschaft 200 Milliarden aufgewendet werden. Für die hundert grössten Städte sowie für verschiedene Regionen werden verbindliche Ziele zur Verbesserung der Umwelt gesetzt.

Schmutzige Städte am Pranger

Auch für das ganze Land wurden neue Ziele definiert. So soll bis ins Jahr 2017 der Anteil von Kohle an der Stromproduktion auf 65 Prozent sinken (2013: 67%). Gleichzeitig soll der Anteil nicht-fossiler, das heisst «sauberer» Energie bis 2020 auf über 20 Prozent gesteigert werden – in China gehört dazu auch die Atomenergie.
Die Zentralregierung will diese Vorgaben mit Härte durchsetzen. Das ist schwierig, selbst in einem autoritären System. Denn in den Provinzen, Präfekturen und Kreisen wird oft selbstherrlich entschieden. Je weiter von Peking entfernt, umso eigenmächtiger. Doch die allmächtige Kommunistische Partei hat ein wirksames Druckmittel in der Hinterhand: Beförderungen. Früher war dafür fast ausschliesslich wirtschaftliches Wachstum das Kriterium. Neu kommt jetzt das Erreichen der gesteckten Umweltziele dazu. Wie die offizielle Regierungszeitung «China Daily» schreibt, könnten Städte, welche die Zielvorgaben nicht erfüllen, sogar «öffentlich an den Pranger gestellt werden». Schliesslich geht es auch um die Volksgesundheit. Jährlich sterben rund eine halbe Million Menschen vorzeitig an den Folgen der Luftverschmutzung. Zudem könnte die Lebenserwartung von derzeit 74 Jahren stagnieren oder gar wieder sinken.

Toxischer Cocktail hält Touristen fern

Die Stadt- und Provinzregierungen sind bereits eifrig daran, eigene Aktionspläne zu entwickeln. Besonders gefordert ist natürlich Peking. Bürgermeister Wang Anshun hat denn auch versprochen, im laufenden Jahr «entschieden durchzugreifen». Allein für die Verbesserung der Luftqualität will die Hauptstadt des Reichs 2014 umgerechnet über zwei Milliarden Franken aufwenden.
Es ist auch höchste Zeit. Im letzten Jahr war die Stadt an 58 Tagen «schwer verschmutzt». Zhang Dawei von der Pekinger Umweltbehörde formuliert es, typisch chinesisch, etwas weniger drastisch: «Betrachtet man das ganze Jahr, dann war die Luftqualität in Beijing an insgesamt 176 Tagen gut». Dann fügte Wang hinzu: «Dem stehen aber 58 Tage mit extrem schwerer Luftverschmutzung gegenüber. Das heisst, schwere Luftverschmutzung gibt es durchschnittlich alle sechs bis sieben Tage und damit viel zu oft».
Der Cocktail aus Schwefel- und Stickstoffdioxid, Kohlenmonixid, Ozon und Feinstaub hat nicht nur gesundheitliche Folgen. Wie Pekings Tourismusbehörde mitteilt, sind im letzten Jahr satte zehn Prozent weniger Touristen angereist als im Jahr zuvor.
Die Situation in Peking und China wird sich verbessern. Aber das braucht Zeit. Chinesische Politiker und Umweltwissenschaftler weisen zu Recht darauf hin, dass China jetzt die selben Erfahrungen macht, welche Industrieländer in Europa, Amerika und Japan bereits hinter sich haben. Auch in diesen Ländern sei die Wirtschaft mit der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert ohne Rücksicht auf die Umwelt schnell gewachsen. Noch in den 1950er-Jahren in England oder in den 1960-Jahren in Japan sei die Luftverschmutzung ähnlich hoch gewesen wie heute in China. Der dicken Luft in London fielen noch zu Beginn der 1960er-Jahre Hunderte von Menschen zum Opfer.

Atom-Energie statt Kohlekraft

Während in den Ländern Europas über den Atomausstieg diskutiert wird, ist die grosse Herausforderung für China der Ausstieg aus der Kohle-Energie. Der Rohstoff Kohle ist reichlich vorhanden und relativ billig. Doch so wenig es einen schnellen, reibungslosen und schmerzfreien Atomausstieg in den Industrieländern geben wird, so wenig wird es einen schnellen, reibungslosen und schmerzfreien Ausstieg aus der Kohle für China geben. Was in den nächsten Jahrzehnten hilfreich sein wird in Ost und West, sind technologische Neuerungen und Durchbrüche. Mit dem moralischen Zeigefinger grüner Gutmenschen, auch wenn sie es noch so gut meinen, wird wenig bis nichts bewegt.
Im übrigen ist es erstaunlich, dass in Sachen Luftverschmutzung China weltweit im Brennpunkt steht und nicht etwa Indien. Die Luftverschmutzung in Delhi oder Mumbai kann es mit jener von Peking oder Shanghai ohne weiteres aufnehmen. Der einzige Unterschied: Im autoritären China ist der Druck von Seiten der Bevölkerung weit grösser als im demokratischen Indien.

Klassische Zeitungsente

Kommt hinzu, dass Journalisten oft wie Lemminge reagieren. Hat einmal eine Agentur oder ein Weltblatt das Thema aufgegriffen, gibt es für die anderen digitalen und gedruckten Medien kein Halten mehr. Aktuellstes Beispiel: Als kürzlich in Peking die Sicht auf hundert Meter schmolz, wurde diese Meldung in einigen Medien mit Fotos illustriert, die einen Riesen-LED-Bildschirm auf dem Tiananmen-Platz zeigten. «Sonnenaufgänge für die Bevölkerung, welche die Sonne nicht mehr sieht», war zu lesen. Flinke Journalisten übernahmen das Thema. Kritiklos. Ein Telefonanruf hätte genügt, um festzustellen, dass der Riesen-Bildschirm für Werbung und gelegentliche Propaganda-Slogans schon seit mehr als vier Jahren auf dem Tiananmen-Platz steht. Und: Die Bilder des Sonnenaufgangs, die über den LED-Bildschirm flimmern, sind Teil der Tourismuswerbung der Provinz Shandong. Doch das wäre keine Meldung wert gewesen und hätte auch nicht die erhofften tausendfachen Klicks generiert. Lieber also eine klassische Zeitungsente.
Vielleicht müsste die Luftqualität in den News-Rooms westlicher Medien einmal wissenschaftlich gemessen werden. Danach könnte – warum nicht von den Chinesen lernen? – ein digitaler «Aktions- und Kontrollplan» der Chefredaktion für präzisere Berichterstattung sorgen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Peter Achten arbeitet seit Jahrzehnten als Journalist in China.

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2 Meinungen

  • am 16.02.2014 um 12:14 Uhr
    Permalink

    Schön, dass Peter Achten über die Luftverschmutzung in China und Indien berichtet. Auch den Zeigefinger zu erheben und korrekten Journalismus zu fordern ist richtig und wichtig.
    Nur aufgepasst, dass der Zeigefinger nicht ins Auge geht. Peter Achten’s Behauptung, «mit dem moralischen Zeigefinger grüner Gutmenschen, auch wenn sie es noch so gut meinen», werde «wenig bis nichts bewegt» ist grösserer Humbug als die beklagte Berichterstattung über die Sonne auf dem LED-Bildschirm auf dem Tiananmen-Platz.
    Im Gegensatz zu letzterer Berichterstattung ist die herablassende Haltung gegenüber Umweltschützern in Achten’s Berichterstattung kein harmloser journalistischer Unfug. Es sind immer die Umweltschützer (zusammen mit den Gesundheitsschützern), die in solchen Fragen Fortschritte erzielen. Dies auch dann, wenn der Fortschritt schliesslich in der Form technologischer Änderungen daherkommt. Auch technologischer Fortschritt wird durch Umweltschützer bewirkt — praktisch immer und fast ausschliesslich — weil nur sie die Haltungen und schliesslich die Rahmenbedingungen ändern, damit es sich lohnt, technische Verbesserungen zu entwickeln und zu verbreiten.
    Es ist grossartig, ein grüner Gutmensch zu sein. Journalistische (und andere!) Schlechtmenschen bringen nichts — nichts Fortschrittliches, jedenfalls. Nehmen Sie sich zuerst selbst and der Nase, Herr Achten!

  • am 16.02.2014 um 19:57 Uhr
    Permalink

    Die Erneuerbaren sind im Artikel nicht erwähnt und werden insbesondere für China noch massiv unterschätzt. China hat aber sowohl bei Wind wie auch bei Photovoltaik die Weltspitze beim Zubau übernommen. China will die grüne Revolution anführen. Exponentialfunktionen haben die Eigenschaft, dass man sie zu Beginn lange nicht wahrnimmt. Es scheint, dass der Smog in Peking vor allem die klare Sicht des Westens vernebelt. Man führe nur mal die Zahlen in folgenden Links 5 oder 10 Jahre fort … :
    http://www.volker-quaschning.de/datserv/pv-welt/index.php
    http://www.volker-quaschning.de/datserv/windinst/index.php

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