Schweizer Energiestrategie wird ziellos
Den Energieverbrauch senken und erneuerbare Energie fördern: Das sind die beiden Pfeiler der «Energiestrategie 2050», die der Bundesrat letzten September beschloss und dem Parlament vorlegte. Demnach soll der gesamte Energieverbrauch in der Schweiz bis zum Jahr 2035 um 43 Prozent pro Person vermindert werden, der Stromverbrauch allein um 13 Prozent. Im gleichen Zeitraum, so beantragte die Landesregierung weiter, sei die Stromproduktion aus erneuerbarer Energie (exklusive Wasserkraft) auf 14,5 Milliarden kWh oder einen Viertel des heutigen Stromkonsums zu steigern.
«Ein misslungener Start»
Die Energiekommission (UREK) des Nationalrates hat am Montag und Dienstag mit der Detailberatung dieser Vorlage begonnen. Dabei kippte sie den einen der beiden Pfeiler. Konkret: Mit Stichentscheid des Kommissionspräsidenten (SVP-Nationalrat Hans Killer) beschloss eine knappe bürgerliche Mehrheit, Artikel 3 mit den erwähnten Verbrauchs- respektive Sparzielen ersatzlos zu streichen. «Prognosen auf eine so lange Frist sind unzuverlässig und als Massgabe für die Reduktion des Verbrauchs nicht ausreichend», begründete die Mehrheit ihren Entscheid. Den Zielen zum Ausbau der erneuerbaren Stromproduktion hingegen stimmte die Kommission zu.
Der Verzicht auf Verbrauchsziele stiess bei der rotgrünen Minderheit auf Unverständnis und Empörung: «Das macht die Energiewende unglaubwürdig», kommentierte UREK-Mitglied Beat Jans (SP) auf Anfrage von Infosperber. Und UREK-Mitglied Bastien Girod (GP) liess sich in einer Medienmitteilung der Grünen mit folgenden Worte zitieren: «Das ist ein wahrlich misslungener Start in die Energiestrategie.» Girod, der nebenbei als Vizepräsident der Vereinigung für Windenergie amtet, kritisiert auch, dass die Energiekommission es ablehnte, die bundesrätlichen Ziele zur erneuerbaren Stromproduktion zu erhöhen.
Strominitiative erhält Auftrieb
Der gestrige Beschluss gibt der Strominitiative Auftrieb, die ein bunt gemischtes Komitee, angeführt vom freisinnigen Nationalrat Ruedi Noser, im letzten Mai einreichte. Diese Volksinitiative verlangt: «Die Stromeffizienz ist bis 2035 so weit zu steigern, dass der jährliche Stromverbrauch dannzumal das Niveau von 2011 nicht überschreitet.» Die Initiative ist zwar weniger streng als die Sparziele des Bundesrates, immerhin noch verbindlicher als der ziellose Beschluss der Energiekommission.
Ebenfalls umstritten ist eine Bestimmung zum Thema Gaskraftwerke: Der Bundesrat beantragte, dass Kantone, die ein fossil-thermisches Kraftwerk bewilligen wollen, vorgängig prüfen müssen, ob der damit produzierte Strom nicht aus erneuerbarer Energie gewonnen werden kann. Die Mehrheit der Energiekommission strich diesen Passus im Energiegesetz und räumte damit der Gaskraft eine kleine Hürde aus dem Weg. Zwei grössere Hürden aber bleiben: Erstens sind neue Gaskraftwerke zurzeit nicht rentabel, weil Atom- und Kohlestrom dank Subventionen Strom billiger produzieren. Zweitens müssen die Betreiber von neuen Gaskraftwerken deren CO2-Emissionen anderswo kompensieren.
SVP und FDP wollten Vorlage zurückweisen
Niederlagen gab es aber auch für rechtsbürgerliche Politiker: Die Mehrheit der Energiekommission lehnte alle Anträge der SVP und FDP ab, welche die Vorlage zur Energiestrategie an den Bundesrat zurückweisen wollten.
Der Freisinn verknüpfte seinen Rückweisungsantrag mit dem Auftrag, der Bundesrat solle dem Parlament das (später vorgesehene) «zweite Massnahmenpaket» zur Umsetzung der Energiestrategie vorlegen. In dieser zweiten Etappe sieht der Bundesrat eine Energie-Lenkungsabgabe vor. Eine solche Abgabe, die linke Politiker und liberale Ökonomen seit Jahrzehnten forderten, scheiterte bisher aber stets am Widerstand des Freisinns und der SVP. Der Umstand, dass freisinnige Nationalräte jetzt die ferne Lenkungsabgabe vorziehen und dafür die naheliegende Vorlage zurückweisen wollen, nährt den Verdacht, dem Freisinn liege die Verzögerung der Energiestrategie näher als die Lenkungsabgabe.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Hanspeter Guggenbühl ist Autor des Buches «Die Energiewende, und wie sie gelingen kann», Rüegger-Verlag 2013. Darin plädiert er für eine griffige Energielenkungsabgabe, welche die wachsenden Subventionen für alle Energieträger ersetzen soll.
Die Schweiz bezieht 77% der Primärenergie aus dem Ausland. Allesamt nicht erneuerbar, hauptsächlich Erdöl, Erdgas und Uran. Sollen diese langfristig ersetzt werden, ist es schwer vorstellbar, dass dabei gleichzeitig der Stromkonsum zurück gehen wird.
Man denke dabei nur an die Mobilität, die heute 35% des Endverbrauches ausmacht. Und dies fast ausschliesslich in Form von Erdölprodukten.
Würde man mit diesen Erdölprodukten zuerst Strom produzieren und dann die Mobilität mit Strom antreiben, würde der Bedarf alleine durch diese Massnahme um die Hälfte sinken. Einfach durch die Tatsache, dass der Gesamtwirkungsgrad deutlich besser wäre.
Wir sollten aber langfristig ganz weg vom Erdöl. Das geht aber nur mit zusätzlichen Strom, selbstverständlich aus erneuerbaren Quellen.
Natürlich dürfen dabei andere Massnahmen wie Mobility-Pricing, die Reduzierung von Pendlerpauschalen oder die Siedlungspolitik nicht unberücksichtigt bleiben.