Wenn die Basler Polizei den Nestlé-Chef beschützt
Einige Streifenwagen, etwa zwei Dutzend bewaffnete Polizeibeamte, beschlagnahmte Flyer und weggewiesene Flyer-Verteiler: Die Basler Universität wurde am Montag, 18. November, zum Schauplatz einer Aktion, die Beachtung verdient. Und zwar über Basel hinaus.
Kritik an Nestlé unerwünscht
Doch zuerst die Fakten. Auf Einladung der Statistisch-Volkswirtschaftlichen Gesellschaft Basel (SVG) – einer Gesellschaft, deren antiquierter Name auch schon ein guter Hinweis auf deren Geist ist – sollte am Montagabend Nestlé-CEO Paul Bulcke in einem Hörsaal der Uni Basel ein Referat halten. Thema: «Die Rolle der globalen Nahrungsindustrie in der Gesellschaft». Doch wer hingehen wollte, wurde überrascht. Nicht etwa ein harmloser Securitas-Mann stand am Eingang, da standen zwischen zwanzig und dreissig bewaffnete Basler Polizeibeamte und kontrollierten die ankommenden Vortragsgäste und ihre mitgebrachten Effekten. Und nicht nur das, sie beschlagnahmten auch deren mitgebrachte Flyer, so sie denn solche fanden. Etwa ein Dutzend Leute wurde nicht in den Saal gelassen, sondern weggewiesen, zwei Personen wurden in einem separaten Raum längere Zeit festgehalten, eine Person wurde auf die Polizeistation mitgenommen, obwohl sie sich mit Personal-Ausweisen identifizieren konnte. Auf den Flyern wurde Kritik am Nestle-Konzern geübt, der wegen seiner Wasser-Strategie und seinem Umgang mit einheimischen Arbeitnehmern zum Beispiel in Kolumbien auch international in der Kritik steht.
Anwesend am Ort des Polizei-Grosseinsatzes war auch Sicherheitsdirektor Baschi Dürr (FDP). Wie sollte da ein Polizist auf die Idee kommen, etwas Unrechtes zu tun, wenn selbst sein oberster Vorgesetzter vor Ort war und dem Treiben seiner uniformierten und bewaffneten Bediensteten genüsslich zuschaute?
Die Uni geht auf Distanz
Die Universität hat sich von diesem Polizeieinsatz umgehend distanziert. Sie betonte, die Polizei nicht gerufen zu haben und von der Polizei auch nicht im voraus informiert worden zu sein. Personenkontrollen durch bewaffnete Ordnungshüter passen klar nicht zum freiheitlichen Geist einer Universität. Staatsrechtsprofessor Markus Schefer nannte das Vorgehen der Polizei denn auch –diplomatisch ausgedrückt – «fragwürdig». Aber auch die Statistisch-Volkswirtschaftliche Gesellschaft SGV hatte die Polizei nicht aufgeboten, sie war mit der Securitas zufrieden. Die Polizei kam aus eigener Initiative – sagen wir: auf Befehl von oben. Von wie hoch oben, ist (noch) nicht bekannt. Der vor Ort anwesende Sicherheitsdirektor lässt entsprechende Mutmassungen immerhin zu.
Die Intelligenz der Studenten unterschätzt
Dass hinterher die Polizei mangels Beweisstücken für die Gefährlichkeit der Flyer-Leute alles herunterzuspielen versuchte, macht die Aktion nun allerdings nicht besser. Im Gegenteil. Ihre nachträgliche Behauptung, keine Flyer beschlagnahmt zu haben, erwies sich als Lüge. Einer der Flyer-Verteiler liess sich nämlich, clever wie er war, von der Polizei eine Quittung für die unfreiwillige Übergabe ausstellen, die er auch prompt erhielt, wie in der Basler TagesWoche nachzulesen ist.
Ein nur lokales Ereignis?
Die Polizei ist gefragt, da, wo es zu Gewaltanwendung kommt. Keine Frage. Wo aber die Polizei, «Dein Freund und Helfer» – das geflügelte Wort stammt aus Nazi-Deutschland, wo es galt, der Polizei ein menschenfreundliches Image zu verpassen –, wo aber die Polizei schon dort erscheint, wo sich einige Aktivisten erlauben, ihre kritische Meinung einem grossen «Tier» bzw. einem Weltkonzern gegenüber in ein paar Flugblättern zum Ausdruck zu bringen, da heisst es AUFGEPASST. Nestlé, deren Strategien in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern zu berechtigter Kritik Anlass geben, muss sich auch im Land seines Konzernsitzes – gewaltlose – Kritik gefallen lassen. Vorauseilender Gehorsam der Ordnungskräfte bzw. ihrer Vorgesetzten zum Schutze, wie es hiess, der freien Meinungsäusserung eines der mächtigsten Wirtschaftsbosse der Welt und zur gleichzeitigen Beschränkung der Meinungsäusserungsfreiheit von ein paar (mittellosen) Studenten und des kleinen Mannes von der Strasse, solcher Gehorsam gegenüber den Mächtigen dieser Welt gehört angeprangert, nicht nur «diskutiert» in den lokalen Medien.
Unterdrückung der freien Meinung hat Tradition
Wer von Polizeieinsatz im Rahmen einer Flugblatt-Verteilung hört, denkt automatisch an den grossen Dichter, Denker und Naturwissenschafter Georg Büchner. Dieser verteilte im Jahr 1834 als 21jähriger selbstverfasste Flugblätter, in denen er die hessische Landbevölkerung zur Revolution gegen die Unterdrückung aufforderte. Die Parole hiess: «Friede den Hütten! Krieg den Palästen!» Und natürlich: Die Polizei kam, beschlagnahmte alle Flugblätter, deren sie habhaft werden konnte, und Georg Büchner musste sich eine neue Wirkungsstätte suchen. Er fand sie, nach einem Umweg über Strassburg, – Ironie des Schicksals – ausgerechnet in Zürich, wo er an der Universität nicht nur zum Doktor der Philosophie avancierte, sondern nach einer Probevorlesung auch gleich zum Privatdozenten ernannt wurde und fortan Vorlesungen in Zoologie hielt. Leider starb der junge Revoluzzer aber schon ein Jahr darauf – 1837 – an Typhus. – Vielleicht müsste der Basler Sicherheitsdirektor Baschi Dürr einmal nach Zürich pilgern und sich am Grab von Georg Büchner ein bisschen in die Geschichte der Freiheit einführen lassen. Zumindest etwas wird er lernen müssen: Die Polizeieinsätze waren auf dem Weg zu unserer Freiheit fast immer ein Hindernis, das es zu überwinden galt.
Aber noch etwas
Für einmal waren es die Boulevard-Medien «Blick» und 20min-Online, die den Fall wenigstens in ein paar Zeilen erwähnten. Polizeieinsätze gehören bei diesen Medien zum Pflichtstoff. Für die grossen Medien-Gruppen NZZ, Tamedia und AZ Medien aber war es kein Thema. (Die «Schweiz am Sonntag», die zur AZ Gruppe gehört, berichtete darüber nur in der Basler Splitausgabe, und zwar, dem Thema ausweichend, nur gerade über die SVG.) Man solidarisiert sich auf den Chefetagen im Zweifelsfall halt lieber mit den Mächtigen dieser Welt als mit jenen, die diesen auf die Finger schauen – auch wenn gerade dies eigentlich der Job der Medien wäre.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine.
Nun, der Polizeieinsatz war tatsächlich mehr als fragwürdig. Allerdings ist den Baslern – sowohl den Veranstaltern wie der Uni – Respekt zu zollen. Anders nämlich als z.B. die PH Bern vor gut einem Monat sind sie nicht vor dem Druck der Strasse eingeknickt und haben den Anlass durchgeführt. In Bern wurde eine Veranstaltung mit Brabeck nämlich wegen ähnlichen Vorkommnissen abgesagt. Nun mag man die «Flugblättler» natürlich mit Büchner vergleichen – ein Blick nach Bern liesse aber auch einen Vergleich mit den rechten bzw. linken Saalstürmern der 1930er-Jahre zu. Damals wurden unliebsame Veranstaltungen auch gestürmt, niedergeschrieen und mehr. Nach dem Polizeieinsatz ist es nun müssig, darüber nachzudenken, in welche Kategorie die weggewiesenen Kritiker gefallen wären …
Dieser Bericht ist tatsächlich ausgesprochener Sprengstoff, insbesondere dass viele «kritische Medien» diesem falsch verstandenen Polizeieinsatz keine Zeile gewidmet haben, lässt tief blicken. Ja, die Polizei der Stadt Zürich kämpft ja zur Zeit mit anderen Problemen! «Honni soit qui mal y pense!» Die ganze Übung ist ein einziger Skandal, nicht nur, weil der Basler Polizeidirektor nicht unbeteiligt ist. In der Schweiz besteht Meinungs- und Demonstrationsfreiheit, zumal in einem durchaus friedlichen Umfeld. Wer stützt eigentlich wen in unserem System? Es wäre wünschenswert, wenn sich alle Bürger, ob in verantwortungsvoller Wirtschaftsposition oder im Auftrag des Souveräns (Regierungsräte) sich auf ihren Kernauftrag konzentrieren würden. Was hat eigentlich Paul Bulcke zu fürchten, die öffentliche Meinung?
Marketing wird als Information verkauft, die Polizei schützt offenbar diesen Deal und die Uni gibt Gastrecht. Liberal? – nein nur wirtschaftsliberal, nein eigentlich nicht einmal das, eher konzern-liberal…
Konzerne befehlen unsre Departementsvorsteher, Konzerne sponsern unsre Ausbildungsstätten, sie machen über Lobbyisten Steuerpolitik, welche die Schulen zum übermässigen sparen zwingt. Bald werden sie auch die Lehrpläne bestimmen, wenn es so weitergeht.
FDP-Liberale NR erwähnen im öffentlichen Radio (Streitgespräch über 1:12) diesen Konzern wegen der Kapselfabrik als innovativ-wohltätig-sozial…. und eben durch eine staats-diktatorische Verhältniszahl gefährdet, bzw zur Auswanderung gedrängt. (Die Steuergeschenke der korrupten Regierung kommt nicht zur Sprache.)
Dies beweisst doch, dass die Macht bei den grossen Privatfirmen und nicht beim Bürger liegt. Das Recht auf freie Meinungsäusserung ist anscheinend nicht mehr so wichtig wie das Recht auf Geld zu verdienen.