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Nebelpetarde des Chef-Lobbyisten: «Weniger Prämien dank Medikamenten» © Christian Zogg/Montage IS

Die statistische Akrobatik des Pharma-Lobbyisten

upg /  Medikamentenkosten: Berufs-Lobbyist Thomas Cueni wirft Infosperber «Irreführung» vor. Doch Meister der Irreführung ist er selber.

Thomas Cueni wird von der Pharmabranche dafür bezahlt, dass er den Nutzen von Medikamenten übertreibt, Nebenwirkungen bagatellisiert, und vor allem, dass er dafür sorgt, dass die Pharmakonzerne mit ihren Medikamentenverkäufen hohe Gewinne erzielen können (siehe «Gezielte Irreführung»). Dank seiner Milliarden-Konzerne im Hintergrund kann er direkt bei Bundesräten und Amtsdirektoren vorsprechen, Parlamentsmitglieder zu «Brainwashing»-Anlässen einladen und Einfluss auf Medien nehmen.
Der Pharma-Lobbyist kämpft gegen «die weit verbreitete Meinung» an, die Medikamentenpreise in der Schweiz seien «überteuert». Auf der Interpharma-Webseite verkündet er keck: «Weniger Prämien dank Medikamenten». Die Medikamentenpreise seien seit 2005 «deutlich gesunken». Die Interpharma vereinigt Novartis, Roche, Merck und andere in der Schweiz tätige Pharmakonzerne.

Irregeführt mit Statistik und falschem Vergleich
Diese Pharma-Mär von gesunkenen Medikamentenausgaben hat Infosperber schon mehrmals ins rechte Licht gerückt. Zum Beispiel:

  • «Roche-CEO Severin Schwan verbreitet Unwahrheiten». Schwan hatte behauptet: «Es ist kaum jemandem bekannt, dass die Pharmaindustrie in den letzten Jahren sogar zur Entlastung der Prämien beigetragen hat, denn in der Schweiz sinken die Medikamentenpreise.»
    Eine Irreführung ist dies deshalb, weil die Medikamenten-Ausgaben der Kassen in Wahrheit stark gestiegen sind. Schwan stützt sich auf einen realitätsfremden Index (siehe weiter unten «Cueni: «Weniger Prämien dank Medikamenten»).

  • «Gezielte Irreführung des Thomas Cueni». Cueni verkündete am Radio: «Wir geben in der Schweiz 65 Milliarden für das Gesundheitswesen aus. Die Kassen zahlen nur etwa vier Milliarden für Medikamente, also lächerliche sechs Prozent.»
  • Eine Irreführung ist es deshalb, weil Cueni nicht mehr von der obligatorischen und sozialen Grundversicherung sprach, um die es ging, sondern schnell auf den Masstab sämtlicher Gesundheitsausgaben wechselte, darunter Ausgaben für Kosmetik, Wellness oder Privatpatienten.

23 Prozent der Grundversicherung für Medikamente

Infosperber hatte folgende Fakten festgehalten:

  • Pro Kopf der Bevölkerung müssen die Krankenkassen in der Schweiz für Medikamente fast 50 Prozent mehr ausgeben als die Kassen in Holland, und 26 Prozent mehr als in Deutschland (zu einem Wechselkurs von 1.32 umgerechnet).
  • In keinem andern Land Europas verschlingen Medikamente mit 23 Prozent einen so hohen Anteil an den Ausgaben der Grundversorgung wie in der Schweiz.

Gegen solche Darstellungen muss sich Cueni von Berufs wegen wehren. Via Interpharma verbreitet er, diese Aussagen seien «irreführend». Um dafür den «Beweis» zu erbringen, übt sich Cueni in statistischer Akrobatik, täuscht mit «gesunkenen Medikamentenpreisen» und erklärt den Vergleich mit dem Ausland für «unzulässig». Im Folgenden geht Infosperber auf die Argumente Cuenis im Detail ein, so dass sich jeder ein eigenes Urteil bilden kann.

Cueni: «Weniger Prämien dank Medikamenten»
Der Titel «Weniger Prämien dank Medikamenten» von Cuenis Interpharma-Beitrag weckt den falschen Eindruck, dass die Ausgaben der Krankenkassen für Medikamente gesunken seien. An anderer Stelle räumt Cueni jedoch selber ein, dass von 2001 bis 2011 «die Ausgaben je Versicherten für Medikamente im Durchschnitt um 2,4 Prozent pro Jahr gestiegen sind». Bei dieser Zahl klammert er die am teuersten gewordenen Spitalmedikamente erst noch grosszügig aus.
Mit «Weniger Prämien dank Medikamenten» macht Cueni lediglich die banale Aussage, dass die Prämien noch höher wären, wenn die Kassen für Medikamente noch mehr zahlen müssten. In diesem Sinne könnten auch Spitäler, Ärzte oder Pflegeheime sagen «Weniger Prämien dank Spitälern, Ärzten und Pflegeheimen».
Cueni: «Die Medikamentenpreise in der Schweiz sind seit 2005 deutlich gesunken.»
Cueni weckt den falschen Eindruck, die Kassen müssten für Medikamente heute weniger ausgeben. Die Realität sieht anders aus: Gemäss offizieller Statistik des BAG gaben die Kassen im Jahr 2012 für Medikamente 23 Prozent mehr aus als im Jahr 2005.
Bei diesen 23 Prozent sind die Medikamente im stationären Spitalbereich noch nicht berücksichtigten. Josef Hunkeler, bis 2011 Medikamentenspezialist beim Preisüberwacher, hat bei allen Spital-Medikamenten eine Kostensteigerung seit 2005 von happigen 58 Prozent berechnet.
Cuenis oben zitierten Aussage, die Medikamentenpreise seien seit 2005 deutlich gesunken, stützt sich auf einen Preisindex, den das Bundesamt für Statistik aufgrund von Zahlen der Pharmabranche erstellt. Am Ende seiner Ausführungen räumt Cueni selber ein, dass ein Rückgang dieses Medikamentenpreisindexes «nicht gleich bedeutend mit entsprechend weniger Ausgaben für Arzneimittel» ist, weil «innovative Medikamente teuer sind».
Der Index des Bundesamts für Statistik «ist unrealistisch und taugt nichts», sagt Hunkeler. Denn entscheidend für die Medikamentenkosten der Grundversicherung sei nicht irgendein Index, sondern die effektiven Ausgaben der Krankenkassen. Das Bundesamt für Gesundheit BAG gibt Hunkeler recht: Dieser Index «reflektiert nicht die Marktrealität», denn die immer teureren, innovativen Medikamente seien in diesem Index «gar nicht berücksichtigt».
Cueni: «Ein Vergleich mit dem Ausland ist irreführend, denn kein anderes Land kennt unsere Mischung von Kopfprämien, steuerfinanzierten Prämienzuschüssen, allgemeinen Steuermitteln und Beiträgen der Haushalte.»
Um Verwirrung zu stiften, vermischt hier Cueni die Kosten mit deren Finanzierung. Kopfprämien, steuerfinanzierte Prämiensubventionen und Beiträge der Haushalte haben nichts zu tun mit dem Anteil der Medikamentenkosten an den Totalausgaben der Kassen.
Unabhängig davon ist es so, dass auch das Ausland solche Finanzierungsarten kennt: In Deutschland zahlt die öffentliche Hand 30 Milliarden Euro an die Kosten von Minderjährigen, Ehegatten und Familienangehörige von Rentnern. Auch das beeinflusst die Finanzierung, nicht aber die Ausgaben.
Die Beiträge der Haushalte, also Selbstbehalte und Franchisen, beeinflussen – anders als von Cueni suggeriert – den Anteil der Medikamente an den Gesamtausgaben der Kassen nicht. Denn in der BAG-Statistik der Ausgaben der Grundversicherung sind Franchisen und Selbstbehalte inbegriffen.
Cueni: «Ein Vergleich mit dem Ausland ist irreführend, denn das Schweizer System entlastet die Prämien, indem allgemeine Steuermittel die Spitäler fast zur Hälfte finanzieren.»
Cueni will damit sagen, der Anteil der Medikamente an den Kassenkosten seien in der Schweiz auch deshalb höher, weil die Kassen nur die Hälfte der Aufenthaltskosten in einem Spital zahlen müssen. Er weckt den falschen Eindruck, dass die Sozialversicherungen im Ausland alle Spitalkosten selber zahlen. Cueni räumt lediglich ein, dass «statistische Vergleiche fehlen».
Tatsächlich zahlt der Staat auch in Deutschland, Dänemark, Belgien oder Italien die Investitionskosten der Spitäler – ähnlich wie in der Schweiz. Das führt dazu, dass die Kassen beispielsweise in Deutschland sogar 40 Prozent ihres Geldes für Spitäler ausgeben, die Kassen in der Schweiz dagegen nur 36 Prozent.
Cueni: «Die einzige international relevante Statistik über den Anteil der Medikamentenausgaben stammt von der OECD: Seit 2006 ist der Medikamentenanteil an den gesamten Gesundheitskosten bei uns von 11,8 Prozent auf 9.4 Prozent gesunken (mit den stationären Spitalmedikamenten auf ‹knapp über 10 Prozent›).»
Erstens weckt Cueni den falschen Eindruck, dass es bei der OECD-Statistik um die Medikamentenkosten der Grundversicherung geht. Die zitierte Statistik umfasst aber auch alle Arzneimittel, die die nicht kassenpflichtig sind, wie Vitamine, Stärkungsmittel, Mineralien oder Verhütungspillen.
Zweitens zitiert Cueni eine Statistik mit Kosten, die «kaufkraftbereinigt» sind. Das tun auch andere Anbieter wie die Automobil-Hersteller, die damit ihre überrissene Preise in der Schweiz rechtfertigen möchten: Man schöpft dort ab, wo viel Geld vorhanden ist. Eine solche Preispolitik hat mit einem freien Markt nicht das Geringste zu tun. Keine Konsumentenorganisation vergleicht die Preise «kaufkraftbereinigt», auch nicht der gemeinsame Preisbarometer.
Zu den realen Wechselkursen wären die gesamten Arzneimittelausgaben in der Schweiz fast 30 Prozent höher als in der von Cueni zitierten kaufkraftbereinigten OECD-Statistik ausgewiesen.

«Selbst ernannter Konsumentenschützer»
Wer – wie ich auf Infosperber – Darstellungen der Interpharma mit Zahlen und Fakten widerlegt, wird von Thomas Cueni zurechtgewiesen. Doch weil seine Argumente offensichtlich zu wenig stichhaltig sind und für eine überzeugende Replik nicht genügen, hat Cueni wiederholt zu einer unteren Schublade gegriffen und versucht mich als «selbst ernannten Konsumentenschützer» zu disqualifizieren. Eine PR-Regel empfiehlt, auf die Person zu zielen, wenn man mit anderen Argumenten nicht überzeugen kann. Doch selbst dieser Versuch zielt daneben. Wie Cueni weiss, vertrete ich in der Eidgenössischen Arzneimittelkommission den Dachverband der Patientenstellen, die SKS und das welsche Konsumentenforum.

Fazit ohne statistische Akrobatik
Wenn wir uns nicht ablenken lassen von einem unbrauchbaren Preisindex oder von Ausgaben ausserhalb der Grundversicherung, sondern die tatsächlichen Ausgaben der sozialen Grundversicherung für Medikamente vergleichen, bleiben folgende beiden Aussagen gültig:


  1. In keinem andern Land Europas müssen die Krankenkassen so hohe Preise für Medikamente zahlen wie in der Schweiz.

  2. «In keinem andern Land Europas verschlingen Medikamente mit 23 Prozent einen so hohen Anteil an den Ausgaben der Grundversorgung wie in der Schweiz.»


 

Der Originalbeitrag von Thomas Cueni «Weniger Prämien dank Medikamenten» auf der Interpharma-Seite.

Siehe auch
«Gezielte Irreführung des Thomas Cueni» vom 13.3.2013
«So lullt die Pharma Parlamentarier ein» vom 15.5.2012
«Pharmafirmen setzen Bundesrat Berset unter Druck» vom 21.2.2012


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor vertritt Prämienzahlende und PatientInnen in der Eidgenössischen Arzneimittelkommission

Zum Infosperber-Dossier:

Medikamente_Antibiotika1

Preise von Medikamenten

Medikamente verschlingen jeden vierten Prämienfranken. Warum müssen die Kassen viel mehr zahlen als im Ausland?

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2 Meinungen

  • am 3.12.2013 um 16:13 Uhr
    Permalink

    In den Medien erscheinen immer wieder die gleichen Lobbyisten, doch keinen empfinde ich derart aalglatt und vor allem so unglaubwürdig wie Herrn Cueni. Manchmal kann ich schmunzeln über seine Nebelpetarden und seine aufgeblasene Argumentation, meistens bin ich aber einfach verärgert darüber, für wie dumm uns die Pharma verkauft.
    Würde die Pharma-Industrie (ja gerade auch jene in unserem Land!) dafür sorgen, dass die Entwicklungsländer selber Generika zur Bekämpfung von Aids und anderen schweren Krankheiten herstellen könnten, ohne auf ihrem Patenschutz zu beharren, würde sich die Glaubwürdigkeit dieser Industrie schlagartig ganz enorm erhöhen.

  • am 13.12.2013 um 00:02 Uhr
    Permalink

    Unter Würdigung des Beitrages von Ueli Ganz erlauben Sie mir bitte aus der Sicht eines deutschen Personalausweisinhabers folgende Beobachtung zu berichten :

    Trotz erheblicher Skrupel möchte ich den z. T. » handwerklichen » Bereich der Medizin ( z. B. Chirurgie , Orthopädie , Zahnmedizin) einmal zaghaft beiseite nehmen .
    .
    Schulmedizin, resp. jene Medizin , die an Universitäten u. Mediz. Hochschulen nach (natur-) wissenschaftlichen Grundsätzen gelehrt rund entwickelt wird, ist bis dato den Beweis einer exakten Wissenschaft schuldig geblieben . – Diese Branche hat unter dem Begriff » Medizin » ein Geschäftsmodell gestaltet , dem in Deutschland p. a. ca. 300 Mrd. Euro kredenzt wird. Diese Wahnsinnssumme wird von einem kollektiv agierenden Ärztestand unter Drohgebärden vereinnahmt .

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