Dierk_Maass

Herzchirurg und Fotograf Dierk Maass präsentiert sich auf seiner Homepage © Dierk Maass

Ein Herzchirurg, der das System schamlos ausnützt

upg /  Er ritzt das Gesetz, um Kohle zu machen. Und er schmuggelt eine Leiche. «Das Magazin» veröffentlicht eine beispielhafte Recherche.

«Chirurgen ohne Berufsbewilligung, falsche Arztbriefe, eine geschmuggelte Leiche»: So fasst «Magazin»-Reporter Mathias Ninck seine Titelgeschichte über das «Herzzentrum Bodensee» zusammen. Die «Magazin»-Leserinnen und -Leser werden selten genug mit einer hervorragenden Recherche verwöhnt. Jetzt aber deckt eine 8-seitige Recherche die Machenschaften in einer Herzklinik auf, die der Kanton Thurgau bis heute auf seiner offiziellen Spitalliste aufführt.
Der 70-jährige Dierk Maass ist über eine Schweizer Holdinggesellschaft alleiniger Besitzer der beiden Privatspitäler «Herz-Neuro-Zentrum Bodensee» in Kreuzlingen und «Herzzentrum Bodensee» über der Grenze in Konstanz, die heute zusammen 350 Personen beschäftigen.
Lukrativer Handel mit Medizinalprodukten
Eigentlich dürfen Spitäler an Kathetern, Stents, Defibrillatoren oder Herzschrittmachern nichts verdienen. Zu gross wäre die Versuchung, solche Medizinalprodukte bei Patienten einzusetzen, ohne dass dies medizinisch notwendig ist. Deshalb schreibt das Kranken- und Unfallversicherungsgesetz KVG vor, dass Spitäler alle Rabatte und andern finanziellen Vorteile, die sie beim Einkauf von medizintechnischen Geräten erzielen, dem Versicherten bzw. den Krankenkassen weiter geben müssen.
Die Versuchung, beim Handel mit Medizinalprodukten abzusahnen, ist allerdings enorm.
Gemäss den Recherchen des «Magazins» verrechnete das «Herz-Neuro-Zentrum Bodensee» des Dierk Maass den Krankenkassen im Jahr 2011 für Stents den Schweizer Preis von 2781 Franken. Eingekauft hatte sie das Spital für 608 Franken. Ein Stent ist ein kleines Gittergerüst, das man in ein verstopftes Blutgefäss einführt.
Um die über 2000 Franken Marge pro Stent behalten zu können, betrieb Maass ein einfaches Umgehungsgeschäft. Zusammen mit seinem Geschäftsführer und dessen Frau gründete er im Jahr 2005 die Briefkastenfirma «Proventis Care Solutions AG» in der steuergünstigen Gemeinde Oberägeri im Kanton Zug. Als «Briefkasten» benutzte sie die «Hegglin Treuhand AG», die Dutzende weiterer Firmen «betreut».
Gegenüber dem «Magazin» räumte Herzchirurg Maass ein, dass niemand ausser ihm selbst für die «Proventis Care Solutions AG» arbeite. Die «Proventis» kaufte unter anderem die Stents günstig für rund 600 Franken ein und verkaufte sie dann für über 2700 Franken an das «Herz-Neuro-Zentrum». Dabei machte nur die Rechnung den Umweg über den Briefkasten in Oberägeri, nicht aber die Stents. Diese liess Maass direkt nach Kreuzlingen liefern.
Das KVG verbietet nicht, dass Handelsfirmen mit Medizinalprodukten Gewinne machen dürfen. Doch diese Briefkastenfirma ist ein offensichtliches Umgehungsmanöver, das vor Gesetz nicht standhalten dürfte. Noch ist nicht bekannt, ob das Bundesamt für Gesundheit ein Verfahren eröffnen wird.
Höherer Preis gegen «Gratis»-Katheter
Schon vor 2005 waren dem Herzchirurgen und seinem Geschäftsführer Mittel und Wege eingefallen, wie sie aus dem Handel mit Medizinalprodukten eine Goldgrube machen können. Mit dem Stent-Hersteller «Jomed» in Beringen SH hatten sie folgenden – in der Branche wohl nicht einmaligen – Deal vereinbart: «Jomed» verkauft Stents und Ballonkatheter der Herzklinik in Kreuzlingen zu einem stark erhöhten Preis, den diese den Krankenkassen verrechnete. Als Gegenleistung liefert «Jomed» zu jedem verkauften Katheter und Stent je einen «Gratis-Katheter» und «Gratis-Stent» an das «Herzzentrum Bodensee» in Konstanz. Das Spital verrechnete diese Stents zum normalen Preis den deutschen Krankenkassen und Patienten.
Pech für Herzchirurg Dierk Maass: Im Jahr 2003 flog der Deal auf, weil «Jomed» der Bilanzfälschungen überführt wurde und die Firma in Konkurs ging.
Vor zwanzig Jahren Schlagzeilen mit «Weltpremière»
Wie «Das Magazin» berichtet, machte Dierk Maass bereits in den Neunzigerjahren Schlagzeilen. 1994 kaufte er für eine halbe Million Franken eine Laser-Maschine. Bald meldete der «Blick» euphorisch: «Weltpremière im Herzzentrum Bodensee: Zwei Patienten wurden am Herz operiert – ohne Öffnung des Brustkorbs». Auch der «Spiegel» habe den Arzt als Pionier gefeiert. Laserstrahlen sollten winzige Löcher verursachen, die im Herzmuskel neue Blutgefässe entstehen lassen. An einem Herz-Kongress in Paris habe Maass «ganz eindeutige Erfolge» verkündet und stehende Ovationen erhalten.
Doch 1999 veröffentlichte die Fachzeitschrift «Lancet» eine Studie, wonach gelaserte Patienten eine kürzere Lebenserwartung haben als normal operierte. Die Aktienkurse des Laserherstellers sanken in den Keller. Mit dem Lasern am Herzen war es vorbei – ausser in Kreuzlingen. Noch 2005 bot das «Herzzentrum Bodensee» die Laserbehandlung als «neue Hoffnung» an. Die Studie schlug Maass als «Neid-Studie» in den Wind.
Thurgauer Behörden waren gewarnt
Wie «Das Magazin» herausfand, hatten Insider der Maass-Spitäler bereits vor einigen Jahren ein vier Zentimeter dickes Dossier anonym an die «Schweizerische Gesellschaft für Thorax-, Herz- und thorakale Gefässchirurgie» gesandt, die das Dossier dem Gesundheitsdepartement des Kantons Thurgau weiter gab, weil der Sekretär der Gesellschaft das Gefühl gehabt habe, «etwas stimme nicht mit dieser Klinik».
Doch laut Recherchen des «Magazins» hat der Kanton Thurgau das Dossier ohne weitere Abklärungen weggeschmissen, «weil die Anschuldigungen kaum belegt und anonym waren», erklärte jemand, der in das Dossier Einsicht hatte.
Derweil machte und macht sich der Herzchirurg mit Ausstellungen und Büchern seiner Fotografien einen Namen als Künstler.

PS. Über die von Konstanz nach Kreuzlingen geschmuggelte Leiche und das Ausstellen eines falschen Todesscheins lesen Sie im Magazin-Artikel.

Es wird häufig beklagt, dass ständig gekürzte Redaktionsbudgets keine aufwändigen Recherchen mehr ermöglichen. Wird jedoch eine solche veröffentlicht, wird sie weder von der Schweizerischen Depeschenagentur noch von andern Medien aufgegriffen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

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Eine Meinung zu

  • am 18.11.2013 um 12:48 Uhr
    Permalink

    Fürchterlich, diese Gier! Ich denke, alle erfolgreichen (geldreichen) Aerzte, Banker, Anwälte, Manager sind so. Für sie: die Autobahnvignette à 1000 Franken (Giacobbo-Müller). «Man will doch zeigen, was man hat."

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